Frauenstimmrecht. Brigitte Studer

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Frauenstimmrecht - Brigitte Studer

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Bridel (1852–1913) sprachen sich beide für die Einführung des Frauenstimmrechts aus, allerdings mit jeweiligen Vorbehalten. Wuarin meinte, die Frauen müssten es sich zuerst durch Dienstleistungen an der Allgemeinheit verdienen; Bridel erwartete zwar eine moralische Besserung der Gesellschaft, plädierte aber für ein etappenweises Vorgehen in der Gleichstellungspolitik, beginnend bei der zivilrechtlichen Gleichstellung bis hinauf zur politischen.35 Der Kongress in Genf skizzierte einige der Pfade, die in den folgenden Jahrzehnten beschritten werden sollten: zum einen den meritokratischen Weg über den weiblichen Leistungsbeweis, zum anderen das schrittweise politische Vorgehen. Er zeigt im Übrigen die Rolle transnationaler Vorbilder für den politischen Lernprozess des Schweizer Feminismus auf. Die Organisatorinnen Julie Ryff (1831–1908), Helene von Mülinen (1850–1924), Emma Boos-Jegher (1857–1932), Pauline Chaponnière-Chaix (1850–1934) und Camille Vidart (1854–1930) folgten dem Muster der amerikanischen Feministinnen und ihrem Woman’s Building an der Weltausstellung von Chicago im Jahr 1893, zu deren Anlass diese den Weltkongress der Frauen durchführten. Auch die Schweizerinnen liessen ihren Kongress örtlich und zeitlich mit einem Grossereignis zusammenfallen und profitierten so von der öffentlichen Aufmerksamkeit, welche die Schweizer Landesausstellung generierte. Eduard, der Mann von Emma Boos-Jegher, der die Chicagoer Ausstellung besucht hatte, diente als transatlantischer Ideenübermittler.

      Die Gründung einer nationalen Stimmrechtsorganisation am 28. Januar 1909 ging ebenfalls auf einen internationalen Impuls zurück. Bis dahin existierten einzig kantonale respektive lokale Verbände, beginnend 1905 in den Städten Neuenburg und Olten, 1907 in Genf und Lausanne, gefolgt 1908 von Gruppierungen in den Städten Bern und La Chaux-de-Fonds. In Zürich bestand seit 1893 der Frauenrechtsschutzverein, der 1896 mit dem Schweizerischen Verein für Frauenbildungsreform zur Union für Frauenbestrebungen fusionierte. Erst auf Einladung der Präsidentin der IWSA, Carrie Chapman Catt, an den internationalen Kongress vom Juni 1908 in Amsterdam formierten die Schweizerinnen den gemischtgeschlechtlichen Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht (SVF) mit 765 Mitgliedern.

      In der Schweiz erhob 1897 mit Carl Hilty (1833–1909) erstmals ein gewichtiger Vertreter der Elite seine Stimme zugunsten des Frauenstimmrechts. In dem von ihm gegründeten «Politischen Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft» schlug der Professor des Bundesstaatsrechts und Völkerrechts an der Universität Bern, der bald darauf Vertreter der Eidgenossenschaft an der ersten Haager Friedenskonferenz und Mitglied des internationalen Schiedsgerichtshofs in Den Haag war, einen Verfassungsartikel vor, der allerdings den Kantonen die letzte Entscheidung vorbehielt.36 Hilty kritisierte zwar die herrschende Geschlechterordnung klar und deutlich als Machtausübung der Männer, die Frauen lieber ausgeschlossen haben wollten, doch in Bezug auf die politische Taktik blieb er zurückhaltend. Mit seinen föderalistischen Rücksichten legitimierte er ein etappenweises Vorgehen.

      Partielle Rechte oder integrales Stimmrecht?

      Die Forderung des Frauenstimmrechts gewann nach der Jahrhundertwende an Legitimität, beschränkte sich aber vorerst noch auf partielle Rechte. Die erste Abstimmung, am 4. November 1900 im Kanton Bern, war dank Eingaben durch den Berner Lehrerinnenverband und die Christlich-Soziale Vereinigung vom Regierungsrat veranschlagt worden, sie bezog sich aber nur auf die Wahl von Frauen in die Schulkommissionen. Fast siebzig Prozent der stimmberechtigten Männer lehnten ab. Der Berner Jura zeigte sich dem Anliegen gegenüber freundlicher gesinnt. Der Bezirk Freibergen stimmte sogar mit 632 zu 407 Stimmen zu.37

      Während die bürgerliche Frauenbewegung um die Jahrhundertwende erst moderate Anliegen wie das passive Wahlrecht für die Schul- und Armenbehörden anvisierte, begann die Arbeiterbewegung nach und nach, das Frauenstimmrecht zu befürworten und engagierte sich allmählich auch dafür. Als erste Schweizer Organisation sprach sich 1893 der Schweizerische Arbeiterinnenverband (SAV) für das integrale Frauenstimmrecht aus. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) folgte 1904, die österreichische war bereits 1892 vorausgegangen. Am Kongress von Stuttgart 1907 wurden alle Parteien der Sozialistischen Internationale auf die Verteidigung der Forderung verpflichtet. Doch erst am Parteitag von 1912 folgten auf Druck von weiblichen Mitgliedern auch Taten seitens der Schweizer Parteigenossen.38 So reichte der St. Galler sozialdemokratische Grossrat Johannes Huber noch im selben Jahr die erste Motion zugunsten des Frauenstimmrechts ein.39 Gleichzeitig folgten die Arbeiterinnenvereine dem Beschluss der Sozialistischen Internationale und traten als Organisation aus dem Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) aus, denn «sozialistische Frauenvereine dürfen nicht Kollektivmitglied bürgerlicher Frauenvereine sein».40 In Bezug auf die Frauenstimmrechtsvereine fehlte ein solcher Konsens. Als das Thema am Parteitag 1913 nochmals auf die Traktandenliste kam, wurde der Antrag, dass die Sozialdemokratinnen aus den «bürgerlichen» Stimmrechtsvereinen austreten sollten, abgelehnt. Eine Abgrenzung gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung blieb zwar bestehen, doch eine Zusammenarbeit war in Bezug auf das Frauenstimmrecht von Fall zu Fall möglich.41

      Mit dem SAV, der SP und dem SVF, der nur Sektionen aufnahm, die sich für das integrale Frauenstimmrecht aussprachen, stand nun die Forderung nach politischer Gleichstellung der Frauen mit den Männern im Raum. Mittlerweile hatten mit Finnland 190642 und Norwegen 1913 auch zwei europäische Länder den Frauen das integrale Wahlrecht gewährt. Bis dahin drehten sich die Debatten fast ausschliesslich um beschränkte politische Rechte wie das passive Wahlrecht oder ein partielles Stimm- und Wahlrecht in Schul- oder Armenkommissionen oder kirchlichen Angelegenheiten. Auf diesem Gebiet – und nur diesem – waren erste rechtliche Erfolge zu verzeichnen (passives Wahlrecht in die Schulkommissionen in Genf; Armenpflege im Wallis 1898; Schulbehörden in Basel-Stadt 1903, St. Gallen 1905, Waadt 1906, Neuenburg 1908 etc., siehe Karten 13, S. 191193). In der Praxis wurden aber nur wenige Frauen gewählt. In Genf wurde 1914 das aktive und passive Wahlrecht für die gewerblichen Schiedsgerichte durch eine Initiative sogar wieder abgeschafft.

      1916/17 bis 1921: das Opportunitätsfenster

      Die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs, das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit waren Umbruchzeiten, die von geopolitischen Neuordnungen, revolutionären Bewegungen, sozialen Konflikten und politischen Polarisierungen markiert waren. Es war auch eine Zeit des Wiederaufkommens und Erstarkens pazifistischer und internationalistischer Strömungen – und der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung der Geschlechter wurde lauter. 1917 führte die Russische Revolution die formale Geschlechtergleichstellung ein. 1918 erhielten die Frauen in Deutschland, Österreich, Polen, Luxemburg sowie mit Einschränkungen in Ungarn, Grossbritannien und Kanada das Wahlrecht, 1919 folgten die Niederlande und Schweden, 1920 Island sowie mit Einschränkungen die USA und Belgien. Im Schweizer Generalstreik vom November 1918 erhob das Streikkomitee die Forderung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen. Weniger als einen Monat später reichten die Nationalräte Herman Greulich (1842–1925) und Emil Göttisheim (1863–1938) je eine Motion zugunsten des Frauenstimmrechts ein. 1919 sprachen sich auch erstmals der BSF43 und sogar der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein (SGF) für das integrale Frauenstimmrecht aus.44

      In dieser Phase sozialpolitischen Aufbruchs erfolgten zahlreiche politische Interventionen auf kantonaler Ebene. Letztlich kam es aber nur zu fünf Abstimmungen über die Einführung des integralen Frauenstimmrechts auf kantonaler und kommunaler Ebene. Sie gingen alle negativ aus.

      Aufbruch in der zweiten Kriegshälfte

      Der Erste Weltkrieg ertränkte vorerst jegliche progressive Reformbemühung unter einer Welle patriotischen Enthusiasmus. Doch bereits ab 1915 erwachte international wieder der Geist pazifistischen und antimilitaristischen

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