Frauenstimmrecht. Brigitte Studer
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Das schlechteste Resultat dieser fünf Kantone wies Zürich mit weniger als einem Fünftel Ja-Stimmen (19,6%) auf. Dort hatte sich im Vergleich zu den Kantonen Neuenburg (60:33) und Basel-Stadt (63:34) bereits im Grossen Rat eine bedeutende Gegnerschaft gezeigt (103:90). In der Stadt Zürich sprachen sich 27 Prozent der stimmberechtigten Männer für das Frauenstimmrecht aus. Die Zustimmung in den Arbeiterquartieren, den Kreisen 3, 4 und vor allem 5, lag mit bis zu 36 Prozent höher, während sie in damals noch eher ländlichen Gemeinden wie Affoltern, Seebach und Schwamendingen (heute Kreis 11) mit 27 Prozent deutlich tiefer war. Die niedrigste Zustimmungsrate zeigten jedoch die bürgerlichen Kreise 2 und 7 und das Stadtzentrum mit zwischen 20 und 23 Prozent. Auch wenn lange nicht alle Arbeiter für das Frauenstimmrecht stimmten, korrelierte die Unterstützung doch mit der sozialdemokratischen Parteibindung.51
Im Kanton Glarus erfolgte am 1. Mai 1921 eine Abstimmung über das Frauenstimmrecht. Sie beruhte auf einem Vorstoss von Dr. iur. Léonard Jenni, der Ende 1920 im Namen von 60 Kantonsbewohnern (darunter 22 Frauen) einen Vorstoss einreichte. Die Landsgemeinde erteilte dem Anliegen, wie es der Landammann empfohlen hatte, «mit grossem Mehr» eine Absage.
Den Abschluss dieser ersten Reihe von Abstimmungen über ein kantonales und kommunales Frauenstimmrecht machte der Kanton Genf am 16. Oktober 1921. Erstmals lancierten die Stimmrechtsaktivistinnen eine Initiative, ein politisches Instrument, das sie auf eidgenössischer Ebene nie, auf kantonaler nur ganz selten ergreifen sollten. Die Genfer Sektion des SVF hatte am 4. Oktober 1920 eine von 2915 Stimmbürgern, also nur von Männern, unterzeichnete Initiative auf der Staatskanzlei deponiert. Sie verlangte die Ergänzung von Art. 21 der Kantonsverfassung, «les citoyens âgés de 20 ans révolus ont l’exercice des droits politiques», durch die drei Wörter «des deux sexes». Die Abstimmungskampagne verlief heftig und brachte nicht nur Gegnerinnen auf den Plan, sondern auch ein männliches Unterstützungskomitee. Doch nur 31,9 Prozent der Stimmbürger sagten Ja.52
Im Kanton Tessin erfolgten in dieser Zeit zwei Vorstösse auf Ebene der Legislative. 1919 akzeptierte der Grosse Rat die Möglichkeit, dass eine Frau, wenn sie einer grundbesitzenden Familie angehörte, anstelle ihres Mannes in ihrer Bürgergemeinde (patriziato) stimmen dürfte; das Referendum wurde nicht ergriffen. Neu konnten sich Frauen auch als Vertreterinnen ins ufficio wählen lassen, das heisst in die Exekutive der patriziati. Es handelte sich um ein Familienstimm- und Wahlrecht auf Zensusbasis. Auch wenn die Novität unter diesen Bedingungen eine weibliche Ermächtigung bedeutete, so folgte sie doch einer anderen Logik, denn im Tessin fehlte es wegen der starken Migration an Männern.53 Ein zweiter Vorstoss, diesmal für ein Frauenstimmrecht auf Gemeindeebene, also auf der Ebene der Wohngemeinde, wurde 1921 von der sozialdemokratischen Fraktion des Verfassungsrats mit Unterstützung durch persönliche Anträge mehrerer bürgerlicher Parteivertreter lanciert. Er scheiterte hingegen bereits im Grossen Rat.54 Die von der Zeitschrift Frauenbestrebungen geäusserte Hoffnung, dass die Tessinerinnen als Erste politische Rechte erhalten würden, erfüllte sich nicht.55
Die Aufbruchsphase war von kurzer Dauer. Im Vergleich zu ihren ausländischen Schwestern, die in zahlreichen Ländern das Wahlrecht erhalten hatten, waren die Schweizer Feministinnen ins Hintertreffen geraten, wie sie im Juni 1920 als Gastgeberinnen des Genfer Kongresses des Weltbundes für Frauenstimmrecht, der erste nach Kriegsende, enttäuscht konstatieren mussten.56
Die Zwischenkriegszeit und die Kriegsjahre: Stagnation und Rückschläge
Zwischen 1921 und 1940 wurde in der Schweiz nur ein einziges Mal über die Frage der weiblichen Partizipation auf Kantons- und Gemeindeebene abgestimmt. Am 15. Mai 1927 stimmten die stimmberechtigten Basler Männer über eine entsprechende Initiative der KP ab. Sie erreichte nicht einmal dreissig Prozent Ja-Stimmen, das Frauenstimmrecht wurde also noch höher verworfen als 1920.57 Zwei weitere Abstimmungen verliefen ebenfalls negativ, betrafen aber nur die Bezirks- und Gemeindeebene (Zürich 1923) und die Schul- und Armenkommission (Basel-Landschaft 1926).
Beschränktes Aktionsrepertoire
In einer Standortbestimmung analysierte der SVF 1921 seine Handlungsmöglichkeiten.58 Sie waren bescheiden. Zum einen fehlte den Frauen eine direkte Einflussmöglichkeit in den politischen Parteien, denn ausser der SP nahm keine der grossen Parteien Frauen auf. Zum anderen blieben ihnen die wichtigsten institutionellen politischen Handlungsinstrumente (Initiative, Referendum, parlamentarische Intervention) verwehrt; genutzt werden konnten sie höchstens über männliche Vermittler. Um sich Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern zu verschaffen, verfügten die Aktivistinnen für das Frauenstimmrecht nur über die Petition oder die Entsendung einer Delegation zu den Behörden, beides Mittel mit geringer Wirksamkeit. Auch öffentliche Versammlungen und die Vereinspresse waren wenig effektive politische Druckmittel. Obschon sich der SVF über die Beschränktheit seiner Handlungsoptionen im Klaren war, entschied er sich gleichwohl, auf militante Protestformen zu verzichten. Damals zur Diskussion gestanden hatten auch ein Steuerstreik, der Abbruch jedes weiteren sozialen oder philanthropischen Engagements und die Verweigerung von Spenden bei Geldsammlungen.59
Der SVF beschränkte sein Aktionsrepertoire Anfang der 1920er-Jahre ganz bewusst auf den Rahmen von Verfassungs- und Gesetzeskonformität. Bis zur ersten eidgenössischen Abstimmung von 1959 behielt er dies auch bei. Nur in Einzelfällen griff er zu expressiven Aktionen wie Demonstrationen, so 1928 anlässlich des SAFFA-Umzugs mit der überdimensionierten Schnecke, die den Fortschritt des Frauenstimmrechts symbolisieren sollte, oder am 13. Juli 1935 mit einer Protestkundgebung mit Automobilen durch die Stadt Genf, weil Frauen von der für die Zukunft der Demokratie entscheidenden Abstimmung über die Totalrevision der Bundesverfassung ausgeschlossen blieben.60 Initiantin war in beiden Fällen die dem egalitaristischen Feminismus zugehörige Emilie Gourd. Nach den Abstimmungsniederlagen Anfang der 1920er-Jahre verlagerte der SVF seinen Fokus von der formalen auf die faktische Gleichstellung, indem er sich für die Mutterschaftsversicherung und die Lohngleichheit engagierte. Parallel dazu verstärkte er seine Mobilisierungsanstrengungen sowohl intern als auch extern. Intern schuf er mit den Sommerferienkursen und der Präsidentinnenkonferenz neue Strukturen, die sowohl den Austausch und den Zusammenhalt zwischen den Aktivistinnen stärken als auch neues Wissen und eine gemeinsame praktische Erfahrung ermöglichen sollten. Extern galt es dank der Subventionen, welche die Amerikanerinnen ab 1924 jährlich an die Sektionen der IWSA verteilten, die noch für das Frauenstimmrecht kämpfen mussten, die Vereinspresse und die Propaganda aufzubauen.61
Dabei setzte der SVF weiterhin auf die bislang eingeschlagene Strategie der partiellen Verfassungsrevision. Erst Aussenstehende brachten mit der Idee der Verfassungsinterpretation eine davon abweichende Strategie ein. Am 5. April 1923 versuchte die Bernerin Hilda Lehmann, Angestellte beim Metallarbeitersekretariat in Bern, sich ins Stimmregister der Stadt eintragen zu lassen, scheiterte aber. Rechtsanwalt Jenni appellierte daraufhin beim Kanton und ging danach bis vor Bundesgericht. Er argumentiere mit der in Art. 4 BV festgehaltenen Rechtsgleichheit, doch sein Rekurs wurde zurückgewiesen. Ein zweiter, ähnlicher Versuch 1928 bei der höchsten Schweizer Gerichtsinstanz scheiterte ebenfalls.62 Der SVF distanzierte sich öffentlich von Jennis Vorgehensweise.63
Das Frauenstimmrecht galt in den 1920er-Jahren selbst bei Frauenorganisationen vermehrt als extrem und verlor an Unterstützung. Anlässlich der nationalen Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA, die vom 26. August bis zum 30. September 1928 in Bern stattfand und mit 800 000 Besucherinnen und Besuchern ein Publikumserfolg war, musste sich der SVF mit einer Ecke im Ausstellungsbereich Soziale Arbeit begnügen. Für die Mehrheit der Ausstellungskommission galt die Forderung nun als ein Sonderdesiderat. Die Katholikinnen, der konservative Flügel der Sittlichkeitsbewegung sowie Teile des SGF lehnten Werbung für das Frauenstimmrecht an der SAFFA ab. Die Ausstellung war als Leistungsschau