Frauenstimmrecht. Brigitte Studer
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Die Mutlosigkeit der Landesregierung – das Argument der «Unzeitigkeit» und die eigene politische Untätigkeit
Als der Bundesrat am 2. Februar 1951 den Bericht «über das für die Einführung des Frauenstimmrechts einzuschlagende Verfahren» publizierte, ging er auf von Rotens Anliegen nicht ein. Stattdessen beharrte er darauf, dass die Einführung des Frauenstimmrechts dem Bundesgericht zufolge nur über eine Partialrevision der Bundesverfassung möglich sei.81 Der Bericht beschränkte sich auf zehn Seiten und die Landesregierung auf die Feststellung, dass eine Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz verfrüht sei. Die Frage müsse zuerst auf Kantons- und Gemeindeebene gelöst werden. Dieser Schluss folgte paradoxerweise einer detaillierten Aufzählung aller kantonalen Vorstösse und Abstimmungen, die gemäss der obersten Landesbehörde zeigte, «dass bis jetzt noch kein einziger Kanton sich für das uneingeschränkte Stimm- und Wahlrecht der Frauen ausgesprochen hat». Der Bundesrat kommentierte dies in einer Art und Weise, die als zynisch bezeichnet werden muss: «Dem Aufbau unserer Schweizerischen Eidgenossenschaft entspräche es sicher besser, wenn vorerst in Fragen der Kirchgemeinde, des Vormundschaftswesens, in Bereichen des Armenwesens sowie der Erziehung in Gemeinde und Kanton den Frauen das Stimmrecht eingeräumt würde. Ihre Erfahrungen, ihre Kenntnisse, ja ihre ganz besondere Eignung für solche Aufgaben lassen es als besonders begründet erscheinen, dass sie vor allem dort aktiv und passiv wahl- und stimmberechtigt sein sollten. Wäre es nicht etwas eigenartig und würde nicht dem Wesen unseres föderativen Staates widersprechen, wenn zwar in den Gemeinden und Kantonen für Fragen, für welche die Frauen besonders geeignet sind, Stimm- und aktives und passives Wahlrecht nicht oder nur vereinzelt bestehen, in eidgenössischen Fragen aber der Schritt zuerst gemacht werden soll?»82
Ob die Schweizerinnen das Stimmrecht denn überhaupt wollten, fragte sich ferner der Bundesrat. Um dies zu erfahren, hatte er eine Konsultativabstimmung unter den Frauen ins Auge gefasst. Angesichts der negativen Rückmeldungen der Kantone auf die Umfrage der Bundesverwaltung erachtete er eine solche aber als nicht realisierbar. Er meinte, es könnte nämlich ein falsches Bild entstehen, da nur die Befürworterinnen teilnehmen würden, die Gegnerinnen hingegen nicht – und wiederholte damit ein altes gegnerisches Argument. Der Bundesrat führte auch die hohen Kosten und die praktischen Schwierigkeiten einer solchen Operation an. Eine erstaunliche Argumentation für das politische System der Schweiz, mit seinen zahlreichen Abstimmungen und seinem dank Föderalismus ausgebauten administrativen Zugriff auf die Bevölkerung! Auf die materielle Frage trat die Landesregierung in ihrer ersten Stellungnahme zu einem Gegenstand, der seit rund einem halben Jahrhundert ein politisches Traktandum war, gar nicht ein. Sie verweigerte sich folglich der politischen Entscheidung und schob den Ball den unteren Staatsebenen zu, indem sie sich sowohl hinter dem Föderalismus als auch dem Bundesgericht versteckte. Weder war sie bereit, eine Vorlage für eine eidgenössische Volksabstimmung zu erarbeiten noch einen Weg über eine Gesetzesreform zu beschreiten. Daneben bediente sie sich in ihrer Selbstlegitimation arrogant bei den Stereotypen der patriarchalischen Geschlechterordnung, welche die Frauen auf soziale Aktionsfelder verwies und sie weiterhin als Unfähige von den politischen Belangen ausschloss.
Es kann daher nicht verwundern, dass der SVF auf diesen Affront schon wenige Wochen später schriftlich reagierte. Er tat dies freilich auf dem eingespielten Pfad der institutionellen Spielregeln mit einer juristische Gegenargumentation.83 Immerhin rief die bundesrätliche Stellungnahme nun auch den international renommierten Staatsrechtler Max Huber (1874–1960) auf den Plan, der in der NZZ das Recht der Bundesversammlung verteidigte, die Verfassung neu zu interpretieren.84 Seine zahlreichen Ehrungen und Posten, seine frühere Funktion als Bundesratsberater und seine Herkunft aus der Zürcher Oberschicht gaben seiner Meinung Gewicht. Huber verfügte als Vertreter der Schweiz im Völkerbund und als langjähriger Präsident des IKRK über Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Frauen auf Führungsebene. Wohl einerseits dank solch prominenter Unterstützung, andererseits infolge der stärkeren Vehemenz, mit welcher der SVF seine Forderungen in der Stellungnahme vorgebracht hatte, wurden die Frauenrechtlerinnen nun zum ersten Mal von einer nationalrätlichen Kommission empfangen, um ihre Sichtweise darzulegen. Die Kommission trat zwar nicht auf ihre Forderung ein, den gesetzlichen Weg einzuschlagen, präsentierte dem Nationalrat aber eine vom St. Galler sozialdemokratischen Rechtsanwalt und späteren Bundesrichter und Bundesgerichtspräsidenten sowie Vize-Präsidenten des IKRK Harald Huber (1912–1998) eingebrachte Motion, die den Bundesrat einlud, den Räten einen neuen Bericht und eine Abstimmungsvorlage für die Einführung des Frauenstimmrechts zu unterbreiten. Der Nationalrat stimmte mit 85 zu 56 Stimmen für Annahme dieser Motion, doch der Ständerat lehnte mit 17 gegen 19 Stimmen ab. Mit 15 gegen 18 Stimmen lehnte er auch das Postulat des Genfer Liberal-Demokraten Albert Picot (1882–1966) ab, über das Stimmrecht eine konsultative Abstimmung unter Frauen durchzuführen. Damit stand das Anliegen im Herbst 1951 wieder auf Feld eins.
Es dauerte ein Jahr, bis der Ständerat und Genfer Staatsrat Picot im September 1952 mit einem neuen Postulat vom Bundesrat einen neuen Bericht verlangte. Im Nationalrat wurde er kurz darauf, am 5. Dezember, vom Zürcher Vertreter des LdU, Alois Grendelmeier (1903–1983), sekundiert, der aber explizit neben der partiellen Verfassungsrevision auch die Möglichkeit einer Gesetzesänderung erwähnte. Beide Postulate wurden vom Bundesrat als erheblich entgegengenommen.
Steigerung des politischen Drucks auf den Bundesrat
Allerdings brachten erst zwei Ereignisse genügend politischen Druck, um den Bundesrat zum Handeln zu bewegen und mit einem neuen Bericht grünes Licht für die erste eidgenössische Abstimmung über das Frauenstimmrecht zu geben.
Erstens hatte am 29. und 30. November 1952 in Genf eine Konsultativabstimmung unter den Schweizerinnen, die seit mindestens drei Monaten im Kanton wohnhaft waren, stattgefunden. Sie ging auf eine PdA-Motion zurück. Ihr Ergebnis war eindeutig: 84,8 Prozent der Frauen hatten sich bei einer Beteiligung von fast sechzig Prozent für die Einführung des integralen Frauenstimmrechts ausgesprochen. In seinem Postulat konnte sich Nationalrat Grendelmeier auf dieses Resultat stützen, da es die stets wiederholte Behauptung entkräftete, die Frauen wollten das Stimmrecht gar nicht. Eine Reihe weiterer konsultativer Abstimmungen, insbesondere in Basel-Stadt und der Stadt Zürich, bestätigten dies.
Zweitens verabschiedete der Bundesrat 1954 auf der Basis des Dringlichkeitsrechts der Kriegsjahre eine Zivilschutzverordnung, die auch die Frauen obligatorisch in die Landesverteidigung einbezog. Die Opposition gegen diese Vorlage, die Frauen neue Pflichten aufoktroyierte, ohne das Recht, darüber mitzuentscheiden, ging weit über den Kreis der Aktivistinnen und Aktivisten für das Frauenstimmrecht hinaus. Der Protest, der bis in die Reihen der Katholikinnen reichte, zwang den Bundesrat, das Projekt über den Weg einer Verfassungsrevision zu realisieren. Zudem modifizierten die Regierung und das Parlament das Projekt in dem Sinn, dass Frauen nur in die Hauswehren, deren Aktionsradius auf den Häuserblock beschränkt war, integriert werden würden. Die obligatorische Dienstpflicht behielten sie aber bei. Während die Politik also – in der Hoffnung auf grössere Akzeptanz – das Projekt auf die traditionelle Geschlechterordnung zuschnitt, sah sie kein Problem darin, den Frauen neue staatliche Pflichten ohne Rechte aufzubürden. Damit mutete sie den Frauen und einem egalitären Demokratieverständnis doch etwas viel zu! Erstmals war der Protest nicht mehr nur diskursiv auf die Presse und Versammlungen beschränkt. Medienwirksam leitete der dynamische von Roten, Präfekt des Bezirks Westlich Raron, in der kleinen Walliser Gemeinde Unterbäch eine provokatorische Aktion ein: Mithilfe des Gemeinderats wurden die Frauen zur Abstimmung über die Zivilschutzvorlage zugelassen. Ihre Stimmen wurden letztlich zwar nicht mitgezählt, doch war die symbolische Brisanz dieses von Fernsehen und Presse multiplizierten Tabubruchs erheblich: Erstmals partizipierten Frauen an der männlich kodierten staatsbürgerlichen Praktik des Urnengangs!
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