Frauenstimmrecht. Brigitte Studer

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Frauenstimmrecht - Brigitte Studer

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suisse» die Haltung seiner Schweizer Geschlechtsgenossen, die er als Antifeminismus taxierte. Durch die Wahl dieses Begriffs machte er deutlich, dass die Verweigerung der weiblichen politischen Teilhabe mehr war als ein Gefühl oder eine spontane Reaktion, nämlich eine bewusste politische Abwehr der weiblichen Emanzipation.119 Wie rar eine derartige männliche Stellungnahme war, zeigt die Tatsache, dass er im selben Jahr als Hauptreferent der 49. Generalversammlung des SVF eingeladen wurde.

      Heinzelmanns Überlegungen lieferten den Stimmrechtsbefürworterinnen und -befürwortern sowohl neue juristische Argumente als auch neue Aktionsmöglichkeiten. In der Folge testeten in Genf beheimatete oder wohnhafte Schweizerinnen drei verschiedene Arten, ihr kantonales Stimmrecht auszuweiten. Die in Zürich etablierte Gertrud Heinzelmann, die das Genfer Bürgerrecht besass, wollte sich mit 13 anderen Romandes im Zürcher Stimmrechtsregister eintragen lassen. Die in Genf wohnhafte Mathilde de Stockalper liess sich im Wallis als Kandidatin auf eine Wahlliste setzen. Die sozialdemokratische Genfer Rechtsanwältin und die erste Frau, die in der Schweiz einen Grossen Rat präsidierte, Emma Kammacher (1904–1981), rekurrierte 1965 mit 564 weiteren Schweizerinnen gegen die Weigerung der Genfer Regierung, sie an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen teilhaben zu lassen, an den Bundesrat.120 In allen drei Fällen verliefen die zu einer partiellen Verfassungsrevision alternativen Praktiken erfolglos.

      Doch der Weg über eine Verfassungsrevision blieb auch auf kantonaler Ebene steinig. In den über dreissig Abstimmungen der 1960er-Jahre hatten meist nur minimale staatspolitische Reformen auf Gemeindeebene eine Chance. Erst 1966 folgte Basel-Stadt als erster Deutschschweizer Kanton den drei Westschweizer Pionierkantonen mit dem kantonalen und kommunalen Stimm- und Wahlrecht. Bis 1970 gesellten sich noch Basel-Landschaft sowie das Tessin, Wallis, Luzern und Zürich zu dieser Gruppe. Vor der zweiten eidgenössischen Abstimmung vom 7. Februar 1971 besassen also nicht mehr als zehn Kantone das integrale Frauenstimmrecht, wobei die vier letzten erst seit 1970 (siehe Karte 8, S. 197).

      1963 trat die Schweiz dem Europarat bei. Die Bundesbehörden erwogen, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) mit Vorbehalten zu unterzeichnen. Für die Frauenorganisationen war das eine Kriegserklärung, schwanden doch so ihre Chancen auf eine eidgenössische Normierung der politischen Partizipation. Ein Beitritt unter diesen Bedingungen hätte eine Klage der Schweizerinnen bei der Europäischen Menschenrechtskommission verhindert.121 Der SVF wies die Mitglieder des Parlaments in einer Eingabe augenblicklich auf die Problematik hin, erreichte aber nur eine provisorische Zurückstellung der Unterzeichnung der EMRK.

      Der Bundesrat befand sich in einem Dilemma. Einerseits erhielt die Diskriminierung der Schweizerinnen seit den 1960er-Jahren international wachsende Aufmerksamkeit. Der «Sonderfall» der «ältesten Demokratie der Welt» galt im Ausland zunehmend nicht mehr als bizarre Folklore, sondern als Rückständigkeit und anachronistische Ungerechtigkeit. Am Kongress der International Alliance of Women (ursprünglich IWSA) 1964 in Triest war die Tatsache, dass die Schweiz als einziges Mitgliedsland das Frauenstimmrecht noch nicht eingeführt hatte, prominentes Thema vor der internationalen Presse. Auch die offizielle Schweiz begann dieses Manko als Reputationsschaden wahrzunehmen.122 Innenpolitisch begannen sich in den Medien zudem die Stimmen zu mehren, die nicht nur das Frauenstimmrecht, sondern auch die Gleichstellung der Geschlechter als überfällig bezeichneten. Andererseits betrachteten der Bundesrat und weitere politische Kreise es als ebenso schädlich, wenn nicht gar schädlicher für das internationale Renommee des Landes, länger mit der Unterzeichnung der EMRK abzuwarten. In kurzen zeitlichen Abständen, am 30. November und am 14. Dezember 1965, wurden im Nationalrat zwei Motionen eingereicht, welche die Priorität jeweils unterschiedlich setzten. Der Genfer Regierungsrat Henri Schmitt (1926–1982), bald danach Präsident der FDP Schweiz, der im März mit einer kleinen Anfrage gescheitert war,123 forderte nun mit 13 Mitunterzeichnern den Bundesrat auf, eine neue Vorlage für eine Verfassungsrevision zugunsten des Frauenstimmrechts auszuarbeiten. Er wurde durch eine drei Monate später eingereichte Standesinitiative des Neuenburger Grossen Rates unterstützt. Sie forderte vom Bund zusätzlich die Einführung des Frauenstimmrechts in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Schmitts Motion wurde 1966 dem Bundesrat ohne zeitliche Verbindlichkeit überwiesen, die Neuenburger Standesinitiative ebenfalls. Der Sankt-Galler Sozialdemokrat Mathias Eggenberger (1905–1975) wollte hingegen, zusammen mit den übrigen sechs Fraktionspräsidenten, vom Bundesrat einen Bericht zum Beitritt der Schweiz zur EMRK, denn der Beitritt könne nicht ewig verschoben werden. Die Motion wurde als Postulat angenommen.

      Bis 1968, dem Internationalen Jahr der Menschenrechte, geschah nichts. Obschon der SVF am 5. Juni 1966 eine Audienz beim sozialdemokratischen Bundesrat Willy Spühler (1902–1990), Chef des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD), gewünscht hatte, um ihm seine Sicht der Dinge darzulegen, musste er fast zwei Jahre, bis zum 7. März 1968, warten. Eingeladen wurde aber nicht der SVF, sondern die Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau als Dachorganisation verschiedener Frauenverbände. Die Vertreterinnen von SVF, BSF, Katholischem Frauenbund und Evangelischem Frauenbund zeigten sich einig: Zwischen ihnen bestand Konsens, die Unterzeichnung der EMRK mit Vorbehalt abzulehnen. Doch genau diese Möglichkeit hatte Spühler, der die internationale Öffnung der Schweiz vorwärtsbringen wollte, am 1. Februar 1968 in einer öffentlichen Rede evoziert.124 Die Vertreterin der SP, Marie Boehlen (1911–1999), äusserte sich am direktesten und forderte den Bundesrat, der sich als Verfechter der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter bezeichnete, zu Taten statt Worten auf. Wie mit der Motion Eggenberger sichtbar wurde, waren die Stimmrechtsaktivistinnen daran, in dieser Frage ihren ältesten Allianzpartner, die SP, zu verlieren. Dass der Bundesrat bereits entschieden hatte, zeigte sich an der Delegiertenversammlung des SVF im Juni 1968. Da erfuhren die Anwesenden von Spühlers Chefbeamten Dr. Heinz Langenbacher (1919–2013) die Konturen des Regierungsszenarios. Die Schweiz als traditionsreiches Land der humanitären Hilfe und als Land der Freiheit und des Friedens, das «stets versucht habe, die Demokratie in grosser Reinheit zu erhalten» – so lautete die Argumentation –, könne sich die Chance, «Modell und Ansporn zu sein», nicht entgehen lassen. Ein Beitritt zur EMRK würde die «Bereinigung der noch bestehenden Unstimmigkeiten» (gemeint war das Frauenstimmrecht) zweifellos fördern, auch wenn in der Demokratie solche Prozesse stets zu «erdauern» seien. Es gehe jetzt darum, Rücksicht auf «höhere Interessen» zu nehmen, nämlich den Schutz der Menschenrechte in der Welt. Mahnend ergänzte der Chefbeamte, dass es der Sache der Menschenrechte keinen Dienst erweisen würde, wenn nun das Frauenstimmrecht unter Druck eingeführt werden müsse. Zum Schluss versicherte er den anwesenden Frauen, dass sowohl er persönlich wie auch das von ihm vertretene Departement voll hinter der Gleichstellung der Frauen und dem Frauenstimmrecht stünden.125

      Am 9. Dezember 1968 konkretisierte der Bundesrat seine Europapolitik mit einem Bericht über seine Haltung bezüglich der EMRK.126 Er gab der Unterzeichnung der internationalen Norm Priorität, da er die Zeit für die Einführung des Frauenstimmrechts noch nicht für reif hielt. Er folgte damit nicht nur der Aufforderung der Motion Eggenberger, sondern auch der theoretischen Legitimation des Verfassungsrechtsprofessors Dietrich Schindler (1924–2018), der in einer öffentlichen Stellungnahme die Meinung vertreten hatte, dass die Vorteile einer Unterzeichnung gegenüber den Nachteilen überwiegen würden. Schindler verstieg sich dabei zu einer Demokratiedefinition, welche die Anzahl der Stimmberechtigten und die Anzahl Urnengänge gegeneinander aufwog: «Das Fehlen des Frauenstimmrechts ist eine in der ganzen Welt bekannte Eigenheit der schweizerischen Demokratie, die teilweise immerhin dadurch kompensiert wird, dass die politischen Rechte in der Schweiz eine größere Ausdehnung haben als anderswo.»127 1951 hatte Max Huber, einer seiner Vorgänger an der Universität Zürich, daraus allerdings den umgekehrten Schluss gezogen, dass nämlich durch die grosse Anzahl Abstimmungen in der Schweiz der weibliche Ausschluss umso gravierender sei.128

      Der Nationalrat akzeptierte mit 88 zu 80 Stimmen den Vorschlag des Bundesrats nur knapp. Die Unterstützung kam vor allem von der sozialdemokratischen und der konservativ-christlichsozialen

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