Frauenstimmrecht. Brigitte Studer

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Frauenstimmrecht - Brigitte Studer

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Über die weiblichen Vorstandsmitglieder ist weniger bekannt. Die Gründerin und Präsidentin Antonia Girardet-Vielle (1866–1944) war die Witwe eines Architekten, die nach dem Tod ihres Mannes in ihrer grosszügigen Villa eine Pension für ausländische Studenten eröffnete, um den Lebensunterhalt für sich und ihre drei Kinder zu bestreiten. Lucie Dutoit (1868–1937), die Mitgründerin, Sekretärin und ab 1916 Präsidentin des Waadtländer Vereins, war Deutschlehrerin an der privaten École Vinet, der ersten Sekundarschule für Mädchen im Kanton Waadt. Dank ihrer Deutschkenntnisse sicherte sie zwischen 1924 und 1936 als Sekretärin und Übersetzerin des SVF den Kontakt zur deutschen Schweiz.150 Auch Eva Rouffy (1866–1961) war als diplomierte Hebamme eine ökonomisch selbstständige Frau. Sie war zudem Präsidentin der Société vaudoise des sages femmes und lebte seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihrer Lebensgefährtin zusammen.151

      In La Chaux-de-Fonds, der Stadt der Uhrenindustrie, war die soziale Zusammensetzung der lokalen Sektion des SVF stärker als anderswo von den Mittelschichten und Funktionären der Arbeiterbewegung geprägt, die nun in der sozialdemokratisch regierten Stadt die politisch-administrativen Eliten darstellten. Doch auch hier gehörte das bürgerliche Element (im sozialen Sinn) dazu, in bildungs- und unternehmensbürgerlicher Form.152 Die Initiantin und erste Präsidentin, Marie Courvoisier-Sandoz (1842–1921), nannte sich den Konventionen der französischen Oberschichten gemäss Madame James Courvoisier und stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie der Gegend. Ihr Mann war ein renommierter Pastor und einer der Gründer des lokalen Stimmrechtsvereins. Sie war sehr religiös, eine Veteranin der Sittlichkeitsbewegung, in der sie mit Émilie de Morsier (1843–1896) zusammengearbeitet hatte, der Mutter von Auguste de Morsier, der selbst 1908 mehrmals nach La Chaux-de-Fonds reiste, um die Gründung der lokalen Gruppe zu unterstützen. Ferner war sie im Internationalen Verein der Freundinnen junger Mädchen aktiv, der in Neuenburg seinen Sitz hatte. Ein weiteres prägendes Mitglied des ersten Komitees war Jeanne Vuilliomenet-Challandes (1870–1938), Tochter eines Patrons einer kleinen Uhrgehäusefabrik und eines Mitglieds der Freisinnigen Partei, die mit einem Kunstmaler verheiratet war. Sie ersetzte bald Marie Courvoisier als lokale Präsidentin, leitete zwischen 1914 und 1918 das nationale Sekretariat des SVF und hatte zwischen 1926 und 1932 in dessen Zentralvorstand Einsitz; anschliessend arbeitete sie als Journalistin. 1923 vertrat sie den SVF am 9. Internationalen Kongress der International Woman Suffrage Alliance in Rom. Ein weiteres Mitglied, Marie Wasserfallen-Ducommun (1868–1948), früher Lehrerin, war die Frau des Direktors der Primarschule in La Chaux-de-Fonds und Mutter von sechs Kindern. Die vierte Frau, über die Daten greifbar sind, war die Sozialdemokratin und frühere Lehrerin Blanche Graber (1878–1975), Tochter eines Pastors und Frau des prominenten sozialdemokratischen Politikers Ernest-Paul Graber (1875–1956), Redaktor, Grossrat und ab 1912 Nationalrat. Überhaupt waren im Komitee von La Chaux-de-Fonds Lehrerkreise stark vertreten. So war auch der Sozialdemokrat Henri-Justin Stauffer (1854–1935), der ab 1912 der städtischen Exekutive vorstand, Gymnasiallehrer, ebenso Adolphe Grosclaude (1880–1962), späterer Direktor des Gymnasiums. Letzterer gehörte zu den Gründern der Parti progressiste national, einer im Kanton Neuenburg als Reaktion auf den Generalstreik von 1918 gebildeten rechtsbürgerlichen Partei. Ferner sassen ein Bildhauer und Lehrer der Kunstgewerbeschule, ein Bijoutier und ein ehemaliger Gemeinderat im Komitee sowie der Gewerkschafter Charles Schürch, eine führende Persönlichkeit der sozialdemokratischen Partei des Kantons und erster Motionär für das Frauenstimmrecht im Grossen Rat.

      Sittlich-soziales Engagement und Erwerbstätigkeit

      Ein Blick auf die nationale Ebene zur Zeit des ersten Zentralvorstands nach der Gründung des SVF am 28. Januar 1909 verweist ebenfalls auf den gut situierten, elitären Charakter der Verbandsführung. Unter den sieben Vorstandsmitgliedern gilt dies jedenfalls für den Präsidenten Auguste de Morsier, die Vize-Präsidentin Klara Honegger (1860–1940), Tochter eines Zürcher Regierungsrats, die Sekretärin Antonia Girardet-Vielle und die Beisitzerin Marie Courvoisier.153 Ein weiteres markantes Charakteristikum der Gruppe ist das Gewicht des sozialen Engagements im Leben der Beteiligten. Neben de Morsier und Courvoisier hatten mindestens auch Klara Honegger und Louisa Thiébaud (1869–1940) durch ihr Engagement in der Sittlichkeitsbewegung erste politische Erfahrungen und waren sozialreformerisch tätig.

      Eine spätere Momentaufnahme der acht Sektionspräsidentinnen, die 1959/60 einen Beitrag im Aktivitätsbericht des SVF über seine letzten 25 Jahre verfassten und über die Daten vorhanden sind, zeigt sowohl Elemente des Wandels als auch der Kontinuität in der soziokulturellen Zusammensetzung des SVF auf lokaler Ebene. Es handelte sich um die Präsidentinnen der Kantone Genf, Neuenburg, Waadt, Basel (Stadt und Land), Tessin, Zürich, Bern und Solothurn.154 Die Genfer Präsidentin Marcelle A. Prince-Koiré (1892–1975), in Batumi in Georgien geboren, war die Tochter eines russischen Reeders und einer Französin, die seit 1901 in der Schweiz lebte und im Ersten Weltkrieg als freiwillige Krankenpflegerin in Marseille im Einsatz gewesen war. Sie lebte in grossbürgerlichen Verhältnissen und engagierte sich nach 1960 in der Liberalen Partei. Die in Schaffhausen geborene Clara Waldvogel (1889–1972), Tochter eines Deutschlehrers des Collège latin in Neuenburg, war in derselben Stadt Lehrerin für Deutsch und Englisch an der Mädchensekundarschule, Pazifistin, Freundin des Gründers des Service Civil International Pierre Cérésole und Mitglied des Schweizerischen Frauen-Alpenclubs, der 1918 nach dem Ausschluss der Frauen aus dem SAC 1907 gegründet worden war. Auch ihr Bruder war ein pazifistischer Aktivist; er war Mitglied der Gruppe der antimilitaristischen Pastoren. Als Tochter eines Neuenburger Pastors und einer Schottin dürfte auch die Waadtländer Präsidentin und Anwältin Antoinette Quinche in einem Elternhaus mit hohen moralischen Ansprüchen an den Einzelnen und die Gesellschaft sozialisiert worden sein. Eine Prägung durch die Sittlichkeitsbewegung findet sich ferner bei der Basler Lehrerin Anneliese Villard-Traber (1913–2009), die ihren Mann – einen Dienstverweigerer – in der schweizerischen abstinenten Jugendbewegung kennengelernt hatte. Ein gemeinnütziges Engagement neben demjenigen für das Frauenstimmrecht prägt auch die Biografie von Marie Jäggi-Schitlowski (1904–1981), Tochter russischer Einwanderer, Fürsprecherin und mit einem Kunstmaler verheiratet, die nicht nur Vorstandsmitglied des Frauenstimmrechtsvereins Bern, sondern auch der Sektion Bern des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins war. Ihre Co-Präsidentin des Frauenstimmrechtsvereins Bern, Adrienne Gonzenbach-Schümperli (1900–1987), war als Lehrerin tätig. Seit den 1930er-Jahren war sie in der FDP engagiert, wo sie die lokale Frauensektion aufgebaut hatte. Die Tessinerin Alma Zeli-Bacciarini (1921–2007), die jüngste dieser Gruppe, war die Tochter eines Ingenieurs. Nach einem Studium der französischen und italienischen Literatur in Zürich und Genf wurde sie Mittelschullehrerin. Zwischen 1954 und 1963 war sie auch Vizepräsidentin des Schweizerischen Verbands. Nach Einführung des Frauenstimmrechts sass sie für die FDP im Grossen Rat und im Nationalrat.155 Die Zürcherin Erika Grendelmeier (1906–1988), ursprünglich Deutsche, Tochter eines Kaufmanns, war die Ehefrau des langjährigen LdU-Nationalrats und Anwalts Alois Grendelmeier. Sie präsidierte den Zürcher Frauenstimmrechtsverein von 1954 bis 1962. Als eine der wenigen Hausfrauen in der Leitung des Stimmrechtsvereins diente sie laut Gertrud Heinzelmann «als Aushängeschild zur Demonstration ‹normaler Weiblichkeit› in der Öffentlichkeit».156

      Von den ledigen Lehrerinnen zu den verheirateten Juristinnen

      Fragt man nach den Gemeinsamkeiten dieser Gruppe und nach dem, was sie spezifisch machte, fällt nicht nur auf, dass erstens mindestens die Hälfte der Frauen aus einem Pastorenhaus stammten respektive stark religiös oder sittlich-sozialreformerisch geprägt waren. Trotz der durch die Kleinheit des Samples beschränkten Aussagekraft manifestiert sich zweitens auch ein allmählicher Wandel des Berufsspektrums: Es figurierten nun zwei Juristinnen unter den Sektionspräsidentinnen; die Lehrerinnen mit vier Vertreterinnen überholten sie damit allerdings nicht. Zwei Frauen waren ferner nicht erwerbstätig, eine war Hausfrau, während die andere ihren Lebensverhältnissen entsprechend sehr wahrscheinlich Hauspersonal hatte. Festzustellen ist drittens eine Zunahme der verheirateten Frauen, die mit sechs Personen die Mehrheit gegenüber den ledigen bildeten. Für weltgewandte Milieus spricht

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