Frauenstimmrecht. Brigitte Studer

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Frauenstimmrecht - Brigitte Studer

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basierte auf der Angst vor «fremden Richtern» aus Strassburg. Aus gegensätzlicher Warte lehnten die Parteienvertreter der PdA und ein Teil des LdU eine Unterzeichnung mit Vorbehalten als der Schweiz unwürdig ab, während die FDP unter dem Druck gewerblicher Vertreter argumentativ lavierte. Sie verlangte zwar ebenfalls zuerst die Aufhebung der Vorbehalte, zeigte aber eine grundsätzliche Skepsis gegenüber ausländischen Einflüssen und bemängelte, dass diese Frage nicht einer Volksabstimmung unterworfen werde.129 Für die Sozialdemokraten und ihren Bundesrat war die Frage derart prestigeträchtig, dass Eggenberger, der Motionär und Rapporteur der Kommissionsmehrheit, nicht davor zurückschreckte, den Frauenorganisationen Sturheit vorzuwerfen und sogar drohte, dass dies bei einer kommenden Abstimmung über das Frauenstimmrecht die «Männer negativ beeinflussen könnte».130 Der Ständerat folgte jedoch dem Bundesratsvorschlag nicht. Mit 20 zu 22 Stimmen nahm er die Botschaft des Bundesrats nur zur Kenntnis.

      Politik ist ein Kampfsport

      Der Bundesrat verharrte danach weiterhin abwartend zum Frauenstimmrecht, immer noch von der Angst einer internationalen Blamage im Falle eines negativen Volksentscheids gelähmt. Erst die unerwartete öffentliche Mobilisierung der Frauenbewegung in einem damals noch unbekannten Umfang drängte ihn endlich zum Handeln: Am 1. März 1969 demonstrierten 5000 Frauen und etliche Männer vor dem Bundeshaus in Bern. Sie skandierten «Frauenstimmrecht ist Menschenrecht» und pfiffen den Bundesrat aus. Die Aktion ging auf die Neue Frauenbewegung zurück. Die sich formierende Frauenbefreiungsbewegung (FBB) hatte am 10. November 1968 die 75-Jahrfeier der Zürcher Sektion des SVF gestört und die Bravheit der Stimmrechtlerinnen kritisiert. Bei diesem Ereignis kollidierten nicht nur zwei Generationen Feministinnen, sondern auch zwei politische Stile, Sprachen und Programmatiken. Für die FBB stellte das Frauenstimmrecht nur eine Diskriminierung unter vielen dar. Sie forderte nichts weniger als die Emanzipation der Frauen und ihre Befreiung von der männlichen Herrschaft. Dafür war sie bereit, provokatorische Aktionsmittel einzusetzen wie anlässlich des jährlichen Fackelzugs der Stimmrechtsaktivistinnen; im eng gezogenen politischen Handlungsrahmen der damaligen Schweiz überschritten sie damit schnell die Toleranzgrenzen. Aus Angst vor weiteren Störaktionen der «progressiven Mädchen», wie sie die NZZ nannte,131 weigerte sich die Mehrheit des SVF danach, am «Marsch nach Bern» teilzunehmen. Die FBB ihrerseits verzichtete auf eine Teilnahme, weil die geplante Demonstration an einem Samstag geplant war, an dem das Parlament nicht tagte.

      Die Demonstration war gleichwohl für die damalige Zeit ein Grosserfolg. Wie effektiv der Druck dieser öffentlichen Kundgebung der bis dahin stets in institutionellen Bahnen agierenden Stimmrechtsaktivistinnen auf die Bundesbehörden war, zeigt die Tatsache, dass sich der Bundesrat nur vier Tage später bereit erklärte, endlich auf die Motionen von Fritz Tanner (1923–1996; LdU) vom 4. Juni 1968 sowie die ältere von Henri Schmitt und die Standesinitiative von Neuenburg einzutreten und eine neue Abstimmungsvorlage zu präsentieren. Nachdem somit die behördliche Erstarrung gebrochen worden war, versuchten zwei sozialdemokratische Interventionen (Motion des Zürcher Gewerkschafters Max Arnold, 1908–1998, und Postulat des Basler Rechtsanwalts Andreas Gerwig, 1928–2014) doch noch über den Interpretationsrespektive den Gesetzesweg das Frauenstimmrecht zu implementieren und so die Hürde der Volksabstimmung zu umgehen. Es war ein Zeichen der herrschenden Skepsis gegenüber einem Urnengang und den Effekten der Transformationen der Gesellschaft – doch das Parlament und der Bundesrat gingen nicht darauf ein.

      Nach dem Vernehmlassungsverfahren im Sommer 1969 (bei dem der SVF beinahe übergangen worden wäre), legte die Regierung am 23. Dezember 1969 ihre Botschaft vor.132 Sie war mit 42 Seiten vergleichsweise knapp und schlug die Einführung des Frauenstimmrechts über die Partialrevision von Artikel 74 der BV vor. Die Vorlage passierte die eidgenössischen Räte, wenn nicht ganz ohne Diskussion, so doch am Schluss einstimmig. Die letzten Verzögerungsversuche durch die Verschiebung der Abstimmung auf ein Datum nach den Nationalratswahlen im Herbst 1971 wurden ebenso deutlich abgelehnt wie derjenige des Rechtspopulisten James Schwarzenbach (1911–1994), der noch zu diesem Zeitpunkt zuerst eine Konsultativabstimmung unter Frauen durchführen wollte.

      Ebenso wenig ging das Parlament auf den Vorschlag Arnolds ein, im Sinne «des Grundsatzes der Rechtsgleichheit» den Absatz zu streichen, dass «Abstimmungen und Wahlen der Kanhtone und Gemeinden weiterhin dem kantonalen Recht vorbehalten» seien. Bundesrat Ludwig von Moos (1910–1990) wehrte den Antrag als «mit der föderativen Struktur unseres Staates nicht vereinbar» ab. Denn «die Bezeichnung und Umschreibung des Staatsund Wahlkörpers» sei eines der wichtigsten Prärogative der Kantone.133 Der katholisch-konservative Innerschweizer Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements hatte in der vorparlamentarischen Phase bereits auf Verwaltungsebene verhindert, dass die Einführung des Frauenstimmrechts durch den Bund auch auf die Kantonal- und Kommunalebene ausgedehnt werde und sich dabei gegen das EPD durchsetzen können. Dieses war nämlich der Meinung, dass ansonsten der Vorbehalt zum Frauenstimmrecht bei der EMRK nicht aufgehoben sei.134 Derselben Meinung war Nationalrat Arnold. Sein parlamentarischer Antrag wurde jedoch mit 16 gegen 122 Stimmen abgelehnt, womit er seine Befürchtung realisiert sah, dass «es im Ermessen der Kantone [liegen bliebe], ob wir in 10, 15 oder 20 Jahren in kantonalen Angelegenheiten noch weibliche Untertanen haben werden».135

      Das Ergebnis der Volksabstimmung am 7. Februar 1971 war mit 65,7 Prozent Ja-Stimmen und einer Stimmbeteiligung von 57,7 Prozent eine deutliche Zustimmung zur politischen Teilhabe der Schweizerinnen. Acht Kantone (AR, AI, GL, OW, SZ, SG, TG, UR) lehnten das Begehren aber nach wie vor ab.

Die Akteurinnen und Akteure

      Dieses Kapitel zeichnet eine Art Phantombild der zentralen Aktivistinnen und Aktivisten für und gegen das Frauenstimmrecht. Das skizzenhafte Kollektivporträt der Kämpferinnen und Kämpfer für das Stimmrecht fragt nach dem Geschlecht, der sozialen Herkunft, dem familiären Umfeld, dem Beruf, dem Alter, dem Zivilstand, dem weltanschaulich-politischen Hintergrund und den Motiven des Engagements sowie nach dem Wandel dieser Analysekategorien über die Zeit. Es bezieht sich fast ausschliesslich auf die Verbandsspitzen auf ausgewählter lokaler und auf nationaler Ebene.136 Einfache Mitglieder des SVF und Aktivistinnen anderer Frauenorganisationen sowie politischer Parteien, insbesondere der Frauengruppen der beiden Linksparteien SP und KP, bleiben daher ausgeblendet. Für die Mobilisierung der Stimmbürger und den Mentalitätswandel der Menschen brauchte es jedoch zahlreiche Frauen wie Marie Schmid, eine ehemalige Hilfsarbeiterin aus Basel, die vor jedem Urnengang auf der Strasse Flugblätter verteilten, Stände aufstellten und Passantinnen und Passanten ansprachen, um sie zu überzeugen.137 Gegen aussen und in der medialen Öffentlichkeit waren es jedoch die Mitglieder der Leitungsgruppe, die den Frauenstimmrechtskampf repräsentierten. Dies trifft auch auf die Gegnerinnen zu, hier analysiert anhand des Zentralvorstands des 1959 gegründeten Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht.138

      Eine kleine, organisierte Minderheit

      Hauptträger des politischen Handelns für das Frauenstimmrecht war zwischen 1909 und 1971 der kontinuierlich aktive Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht (SVF), wohingegen sich die Gegnerinnen in wechselnden, meist ad hoc gebildeten Bündnissen organisierten.

      Obschon zahlenmässig bedeutender als die gegnerischen Organisationen, handelte es sich beim SVF, auf dem im Folgenden der Fokus liegt, um einen relativ schwachen Kollektivakteur. Zur Zeit der Gründung der nationalen Organisation 1909 zählte er wie erwähnt 765 Mitglieder und sieben Sektionen, während der BSF 1904 33 Mitgliedervereine und 11 000 Frauen repräsentierte.139 Bis 1916 gab es mehr SVF-Sektionen in der Westschweiz, dann kehrte sich das Verhältnis um. 1950 konnte der Verband 33 Sektionen ausweisen.140 1959 hatte sich die Anzahl Mitglieder nach Jahren des Rückgangs auf 6056 und die Zahl der Sektionen auf 34 erhöht.141 In der Zeit zwischen 1934 und 1968 oszillierte die Mitgliederzahl zwischen 4000 und 6000.142 Der SVF war eine gemischte Organisation und zählte vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten etliche

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