Frauenstimmrecht. Brigitte Studer

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Frauenstimmrecht - Brigitte Studer

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Journalistin initiierte und präsidierte 1919 zuerst die kurzlebige Ligue vaudoise féministe antisuffragiste, 1920 dann die nationale Organisation Ligue suisse des femmes patriotes, die eine intensive Propaganda gegen das Frauenstimmrecht lancierte.167 Doch nach 1959 war die Schlacht in den drei frankofonen Westschweizer Kantonen geschlagen, die Gegnerinnen konzentrierten sich nun auf diejenigen Deutschschweizer Kantone, in denen ihr Kampf am erfolgreichsten schien. Zwischen den beiden verfeindeten Verbänden der Gegnerinnen und Befürworterinnen gab es freilich auch gewisse Gemeinsamkeiten. Als Erstes fällt der hohe Anteil Akademikerinnen auf. Betrachtet man die Ausbildung und den Beruf der Frauen, zeigt sich, dass von den zehn führenden Gegnerinnen, über die Daten vorhanden sind,168 vier studiert hatten, drei davon bis zur Promotion (zwei in den Geisteswissenschaften, eine in den Rechtswissenschaften). Auch die Anzahl Lehrerinnen ist mit drei von zehn Personen hoch zu veranschlagen. Von den anderen, die eine berufliche Ausbildung vorweisen konnten oder einen Beruf ausübten, hatte eine Frau eine Handelsschule und je eine andere eine Haushaltungs- sowie die Soziale Frauenschule in Luzern absolviert (doch waren beide nicht erwerbstätig), eine weitere war Anwältin und Quästorin des Aargauischen Hochschulvereins, eine war Angestellte des Fürsorgeamts in Sarnen und eine war Mitinhaberin eines Baugeschäfts in Winterthur. Ein drittes Vergleichselement scheint auf den ersten Blick die gesellschaftlich privilegierte Stellung der Mitglieder dieser Gruppe zu sein. Von den 15 Frauen waren 12 verheiratet, und zwar mit Männern in statushohen und finanziell gut dotierten Berufsgattungen. Vier waren mit einem Arzt verheiratet, eine mit einem Notar und Regierungsstatthalter, zwei mit einem Anwalt, eine mit einem Gymnasiallehrer, eine mit einem Kantonsschullehrer, der auch Bankier war, und eine mit einem Baugeschäftsleiter. Eine auffällige soziokulturelle Differenz im Vergleich zu den Frauenrechtlerinnen war aber der hohe Anteil an Hausfrauen und mithelfenden Familienmitgliedern. Illustrieren lässt sich das an den beiden prominentesten Frauen, der Präsidentin Gertrud Haldimann-Weiss (1907–2001) aus Bern und der Vizepräsidentin Josefine Steffen-Zehnder (1902–1964) aus Luzern. Haldimann-Weiss, die ein Pharmaziestudium vorweisen konnte, half ihrem Mann in seiner Arztpraxis, Steffen-Zehnder, die in Geschichte promoviert hatte, führte mit ihrem Mann zusammen ein Heim für Studierende. Beide Frauen waren dank ihres Studiums und ihrer Ehe soziale Aufsteigerinnen: Haldimann-Weiss war die Tochter eines Spenglermeisters, die einen Augenarzt geheiratet hatte, und Mutter von sechs Kindern; Steffen-Zehnder war die Tochter eines Bauern, die einen Gymnasiallehrer geheiratet hatte, und Mutter von drei Kindern. Durch die gewählte Berufsausübung machten sie ihren sozialen Aufstieg bewusst stärker von der Stellung ihres Mannes als von der Valorisierung ihres eigenen Studiums abhängig. Die traditionelle Geschlechterordnung war folglich für sie mit Privilegien verbunden – Privilegien, die eine Entwicklung der weiblichen Gleichberechtigung womöglich hätten gefährden können. Höher als materielle Interessen dürfte freilich die ideologische Einstellung veranschlagt werden. Politisch unterschieden sich die beiden Gruppen deutlich. Vier der Ehemänner waren National- und/oder Ständeräte, wobei mit ihrer Zugehörigkeit zur CVP, der FDP und der Republikanischen Bewegung allesamt bürgerliche bis rechtsbürgerliche Positionen vertraten. Sozialdemokratische oder linksliberale Affinitäten lassen sich bei den Gegnerinnen nicht finden.

Die Argumente

      Die beinahe hundertjährige Schweizer Debatte über das Frauenstimmrecht scheint auf den ersten Blick ein Gewusel von Argumenten, deren Vielfalt über Raum und Zeit kaum fassbar ist. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass sich die Auseinandersetzung im Kern um die drei Pole «Geschlecht – Staat – Macht» drehte. Die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen waren sich uneinig, ob das Diktum «Der Staat ist der Mann» des Staatsrechtlers Johann Caspar Bluntschli (1808–1881) im 20. Jahrhundert noch Gültigkeit hatte oder nicht, und was es bedeutete, wenn sich die traditionelle Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft modifizierte. Denn wie eine Gegnerin ausrief: «Die Politik ist dasjenige Gebiet, das die Frau am meisten ihrer wahren Lebensaufgaben entfremden kann.»169

      Auf dem Spiel stand die gesellschaftliche Arbeits- und Sphärenteilung zwischen Frau und Mann, Privatheit und Öffentlichkeit, Familie und Staat. Mitverhandelt wurden jeweils Gesellschaftsentwürfe, Paarbeziehungen, nationale Selbstbilder, das helvetische politische System, Gerechtigkeitsvorstellungen, Stadt-Land-Konflikte, weibliche Lebensentwürfe sowie nicht zuletzt Unsicherheiten und Ängste, die durch den gesellschaftlichen Wandel oder die vielfältigen Phänomene hervorgerufen wurden, die mit der Moderne in Verbindung gebracht werden können. Es ging um Werte und Weltanschauungen, aber auch um Emotionen und Interessen, um den Zugang zu Ressourcen und letztlich um Macht, oder anders formuliert, um die männliche Herrschaft – Inhalte, die jedoch im politischen Alltag meist taktisch verkleidet wurden und deren Konstanz und Wandel es zu erfassen gilt.

      Zur Strukturierung der Argumente dienen folgende drei Leitkategorien:

      1)Geschlechterordnung (geschlechtsspezifische Aufgabenzuteilungen und Geschlechtscharaktere),

      2)Staatskonzeption (Staatsaufbau, Demokratie und politische Repräsentation) und

      3)ethisch-juristische Prinzipien (Macht und Recht).

      –Unter die Leitkategorie Geschlechterordnung fallen die Argumente, die sich affirmativ oder kritisch auf anthropologische und soziostrukturelle Aspekte des Verhältnisses von Frau und Mann beziehen, in erster Linie die vermeintlich natürliche Rolle der Frau als Hausfrau, Mutter und Gattin und ihre daraus abgeleiteten gesellschaftlichen Pflichten im Privaten. Je nach Meinung lag der Cursor näher bei Gleichheit oder bei Differenz, oder genauer: bei Differenzierung. Dazu zählen auch Argumente, die sich an die in der bürgerlichen Gesellschaft den Geschlechtern jeweils zugeschriebenen Charaktere anlehnen: den Männern das rationale Denken, den Frauen das emotionale Denken und die daraus abgeleiteten vermeintlichen Fähigkeiten, Interessen und Wünsche.

      –Unter der Leitkategorie Staatskonzeption werden sprachliche Interventionen berücksichtigt, die sich auf das politische System der Schweiz beziehen. Das betrifft in erster Linie die Definition der Demokratie respektive des Souveräns, dann aber auch die Auseinandersetzungen über den Impact von Gestaltungsprinzipien, Regulativen und Praktiken des Schweizer politischen Systems wie Föderalismus, Referendum, direkte Demokratie oder Landsgemeinde auf die Einführung des Frauenstimmrechts.

      –Mit der Leitkategorie ethisch-juristische Prinzipien werden Stellungnahmen erfasst, die sich auf die Idee der Gerechtigkeit beziehen, auf Menschenrechte und auf Würde sowie auf das Prinzip Emanzipation.

      Ergänzt werden die Leitkategorien durch die folgenden transversalen, heuristischen Kategorien:

      –historische Argumente (Wandel versus Tradition);

      –funktional-praktische (politischer Nutzen der weiblichen Differenz versus Gefahren der weiblichen politischen Partizipation);

      –ökonomische (weibliche Leistungen / Beteiligung am Arbeitsmarkt, die mit der Gewährung des Frauenstimmrechts anerkannt respektive «entlohnt» oder «belohnt» werden, Zusammenhang zwischen Pflichten und Rechten versus Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt);

      –komparatistische (Vergleich mit dem Ausland und mit anderen Kantonen);

      –konjunkturell-taktische (argumentativer Bezug zur aktuellen Politik, wie etwa das Heraufbeschwören der Gefahr des Kommunismus im Kalten Krieg);

      –machtpolitische (Hinweis auf politische Kräfteverhältnisse, politisches Gewicht der Frauen(stimmrechts)vereine oder der Frauen versus Macht und Stellung der Männer);

      –dialektische (Entkräften der gegnerischen Argumente).170

      Die Argumente bezogen sich oft auf mehrere Aspekte, die miteinander kombiniert wurden. Häufig geschah dies wie im folgenden Beispiel mit Bezug sowohl auf die Geschlechterordnung als auch auf die Schweizer Staatsordnung, die mit anderen Ländern als

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