Frauenstimmrecht. Brigitte Studer

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      Sozioökonomische Faktoren:

      –Als die Akzeptanz des Frauenstimmrechts fördernde Faktoren können der Protestantismus (im Unterschied zum Katholizismus), der Grad der Urbanisierung und ein eher zentralistischer Staatsaufbau gelten. Sowohl die Waadt als auch Neuenburg waren konfessionell mehrheitlich protestantisch oder wie im Fall von Genf trotz einer katholischen Mehrheit von confédérés protestantisch dominiert. Zudem waren die drei Kantone stark städtisch geprägt. Sie zählten mit Genf, Lausanne und La Chaux-de-Fonds drei Städte, die unter den zehn grössten der Schweiz figurierten; in Genf, Lausanne und Neuenburg war ferner dank einem ausgebauten Verkehrsnetz das funktionale Stadtgebiet überdurchschnittlich ausgedehnt.101 Ein mehr oder weniger ausgeprägter urbaner Charakter respektive die Existenz grösserer Städte kann als positiver Faktor gewertet werden. Städtische Gemeinden, die in der modernen Schweiz bis in die jüngste Gegenwart durchgehend einen höheren Anteil Frauen aufwiesen (auf dem Land waren hingegen die Männer in der Mehrheit),102 waren und sind Orte, die neue Lebensformen begünstigen und einen relativen Freiraum für weibliche Emanzipation bieten. Die Akzeptanz des Frauenstimmrechts war in den Städten stets signifikant höher als auf dem Land. Horte der Verteidigung von Männerprivilegien finden sich hingegen in den Landgemeinden. Der Widerstand gegen die politische Partizipation neuer Gruppen war in den Gemeinden mit ausgeprägten politischen Vorrechten besonders langdauernd.103 Wohingegen die Gemeinden der drei Westschweizer Kantone über eine geringe politische Autonomie im Vergleich zu den Deutschschweizer Kantonen verfügten.104

      –Eine Korrelation lässt sich ferner mit einer modernen Wirtschaftsstruktur und einem hohen Lebensstandard erkennen. Die drei Kantone wiesen 1960 einen hohen Anteil des Sekundär- (v. a. Neuenburg 61%) und des Tertiärsektors (Genf 56%) und einen wenig gewichtigen Primärsektor (Neuenburg 6,4%, Genf 3%) auf, wobei allerdings die Waadt mit 13 Prozent eine Ausnahme bildete. 1950 gehörten Genf und Neuenburg (neben Basel-Stadt und Zürich) zu den Kantonen mit den höchsten Volkseinkommen pro Kopf; die Waadt lag im Schweizer Durchschnitt. Alle drei wiesen ein überdurchschnittliches BIP auf (Genf und Neuenburg deutlich, die Waadt leicht).105 Thomas Held und René Levy konstatieren in ihrem Bericht über die Lage der Frauen in der Schweiz auch für 1970 einen Zusammenhang zwischen Bruttosozialprodukt pro Kopf und Zustimmung zum Frauenstimmrecht.106

      Soziokulturelle Faktoren:

      –Nicht zuletzt ist die ökonomische Stellung des weiblichen Geschlechts in den drei Kantonen hervorzuheben, die auf eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz der Gleichberechtigung hinweist. Verglichen mit Deutschschweizer Kantonen (mit Ausnahme von Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie dem Tessin) war der Mädchenanteil in den drei Westschweizer Kantonen 1970 in Mittel- und Maturitätsschulen überdurchschnittlich.107 Auch der Zuwachs an weiblichen Studierenden war zwischen 1950/51 und 1960/61 an den Universitäten Lausanne mit 95 Prozent, Neuenburg mit 139 Prozent und Genf mit 120 Prozent im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt (83%) deutlich höher.108

      –Die Kantone Genf und Neuenburg wiesen zwischen 1900 und 1950 eine überdurchschnittliche Frauenerwerbsquote auf. Für den Kanton Waadt galt das allerdings nicht. Zudem lag auch in einigen Deutschschweizer Kantonen wie Zürich und Glarus der Anteil erwerbstätiger Frauen an der weiblichen Bevölkerung über dem Schweizer Durchschnitt.109 Auffällig ist hingegen, dass die Bedeutung der weiblichen Erwerbstätigkeit im Vorfeld der drei Abstimmungen von den kantonalen Behörden positiv hervorgehoben wurde (im Unterschied zum Bundesrat in seiner Botschaft von 1957).

      –Schliesslich handelte es sich um «weltoffene» Grenz- und Universitätskantone, die wissenschaftlich, kulturell und im Fall von Genf auch politisch transnational intensiv vernetzt waren und deren Arbeitsmarkt eine hohe Anzahl ausländischer Arbeitskräfte respektive Grenzgängerinnen und Grenzgänger aufwies. Ein Vergleich von Deutschschweizer und Westschweizer Frauenpresse bei den beiden eidgenössischen Abstimmungen zeigt im Übrigen, dass Letztere öfter Vergleiche mit und Bezugnahmen zum Ausland machte, was offenbar in der deutschen Schweiz kaum je der Fall war.110 Einen Einfluss hatte möglicherweise auch die kulturelle Nähe zu Frankreich mit seinem nach dem Zweiten Weltkrieg sozialstaatlich geförderten positiven Frauenmodell der Verbindung von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit.

      Die 1960er-Jahre: progressive Radikalisierung

      Die katastrophale Niederlage von 1959 war für die Schweizer Frauen ernüchternd, provozierte Wut und führte auch zu Resignation. International löste das Abstimmungsergebnis Unverständnis aus, die Menschenrechtskommission der UNO erklärte, sie habe es mit «Enttäuschung» («disappointment») zur Kenntnis genommen.111 Der BSF bekräftigte gleichwohl sein Festhalten am eingeschlagenen Weg der sanften Überzeugungsarbeit der männlichen Stimmberechtigten.112 Der SGF hingegen distanzierte sich von den «schmollenden Frauenstimmrechtlerinnen».113

      Neue kritische Töne und radikale Praktiken

      Der Entscheid der Männer, die sich weiterhin über die Meinung der weiblichen Mehrheit hinwegsetzten, radikalisierte indessen einen Teil der Basler und der Zürcher Stimmrechtsbefürworterinnen. Von da an organisierten die Zürcherinnen am 1. Februar regelmässig Fackelzüge durch die Stadt. In einer nächtlichen Aktion überklebten sie zudem die Werbeplakate für den Frauenhilfsdienst mit dem Spruch «Nicht ohne Stimmrecht». Das waren in der Nachkriegszeit neue politische Praktiken. Grossen öffentlichen Widerhall provozierten die rund fünfzig Basler Lehrerinnen, die am Tag nach der Abstimmung streikten. Es war ein höchst gesitteter Streik.114 Die Schülerinnen des Mädchengymnasiums wurden am Morgen wieder nach Hause geschickt, und die Lehrerinnen publizierten eine Presseerklärung. Die Behörden sanktionierten die Lehrerinnen. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren meist heftig; von den Gegnern wurde der Streik in der ganzen Schweiz negativ rezipiert und die Lehrerinnen fehlender staatspolitischer «Mündigkeit» bezichtigt (dies zum Beispiel auch in der Debatte im Neuenburger Grossen Rat 1959). Man warf ihnen mangelndes Demokratieverständnis vor, weil sie sich dem Mehrheitsentscheid der Männer nicht fügen wollten. Demgegenüber zeigten die Lehrerinnen gerade ein elaboriertes Demokratieverständnis. In ihrer Erklärung kritisierten sie die falsche Universalisierung hinter der Schweizer Demokratie, die von den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern abstrahiere.115

      Neu war Ende der 1950er-Jahre nicht nur, dass im Unterschied zu früher nun zumindest ein Teil der Aktivistinnen bereit war, ein erweitertes Aktionsrepertoire zu nutzen, sondern auch, dass sich kritische Stimmen zur Schweizer Demokratie zu Wort meldeten. Besonders kompromisslos beobachtete 1958 die Anwältin Iris von Roten die Lage der Schweizerinnen in ihrer umfangreichen Studie «Frauen im Laufgitter». Sie analysierte die weibliche Diskriminierung nicht nur in der öffentlichen, sondern auch in der privaten Sphäre und plädierte entsprechend für eine «doppelte Emanzipationsstrategie», beruflich und sexuell.116 Ihr radikaler Ansatz eckte an, die Medien lancierten eine wahre Hetzkampagne gegen sie. Öffentliche Unterstützung fand sie kaum, selbst die Stimmrechtsaktivistinnen distanzierten sich. Eine der wenigen, die ihr Buch verteidigten, war Gertrud Heinzelmann, die Zentralpräsidentin des SVF, die 1960 eine Studie zur Rechtsungleichheit in der Schweiz publizierte. Sie konstatierte eine Fragmentierung und Inkohärenz der Schweizer Rechtslandschaft nach der Einführung des Frauenstimmrechts in drei Westschweizer Kantonen.117 Nach der Abstimmung von 1959 liess Iris von Roten eine kleine, wiederum scharf argumentierende Schrift zur Schweizer Demokratie folgen. Darin demontierte sie die offizielle Heuchelei, welche die Ungerechtigkeit, die den Frauen widerfuhr, hinter den vermeintlichen Spielregeln des politischen Systems der Schweiz verstecke. Ausserdem forderte sie für die Zukunft eine paritätische Geschlechtervertretung, wenn die Demokratie denn ihren Prinzipien gerecht werden sollte.118 Erstmals seit der ersten Hälfte des Jahrhunderts äusserte sich auch wieder ein Mann publizistisch zugunsten des

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