Music Lovers. John Densmore
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Coltrane stand ganz vorne, aber ich fixierte meinen Blick auf den Mann, der im Hintergrund saß. Ich hörte staunend zu, wie Elvin einen Beat anspielte, denn nächsten aber nur andeutete, oder manchmal zwei zur selben Zeit spielte. Das zwingt die Gehirnzellen, sich anzustrengen, und kreiert Spannung. Shyamdas, der verstorbene Kirtan-Sänger, sagte, dass man den „Tal“ (Hindi für Takt) ehren müsste und sich immer darüber im Klaren sein sollte, wo sich die Eins befände. Elvin tat genau das und konnte immer noch die Rhythmen wie mit einem Schneebesen durcheinanderwirbeln, um den Hörern mehrere unterschiedliche Gerichte innerhalb von vier Takten aufzutischen. Und all das gelang ihm mit einem großen Lächeln im Gesicht.
Seine Rhythmen befanden sich fortwährend auf Messers Schneide. Als ob er gleich in sein Schlagzeug hineinkippen würde –
was natürlich nie passiert ist. Der Pulsschlag war immer da, diese Verbindung zum Göttlichen. Elvins ununterbrochener „Dialog“ mit Coltrane inspirierte mich später dazu, einen ähnlichen Ansatz bei meiner musikalischen Zusammenarbeit mit Jim Morrison anzustreben. Es war Jones’ lockere Spielweise, die mir den Mut verlieh, den stetigen Beat bei „When The Music’s Over“ während Morrisons „Rap“ über die Welt buchstäblich zu unterbrechen, um bloß ein paar expressive Schläge auf mein Schlagzeug prasseln zu lassen. Meine Intuition gab mir irgendwann vor, zum Groove zurückzukehren, so wie der Pianist McCoy Tyner wieder einsetzte, wenn sich Elvin und Coltrane einen ihrer intensiven musikalischen Schlagabtäusche geliefert hatten.
Zwischen den Sets im Manne Hole begab ich mich auf die Toilette, aber nicht etwa, weil ich mich erleichtern musste, sondern weil sich diese direkt neben der Garderobe befand. Ich hörte Stimmen und Gelächter. Ich wusch mir solange die Hände, bis ich hörte, dass die Stimmen sich hinaus auf den Flur begaben. Dann trocknete ich mir die Hände an meinen Hosenbeinen ab und öffnete die Tür. Coltrane stand direkt vor mir und musterte mich. Aus Respekt verhielt ich mich aber ganz cool, vermied direkten Augenkontakt und deutete mit einer Kopfbewegung an, dass das Klo frei wäre. Aber Coltrane trat nicht ein. Stattdessen ging er an mir vorbei und nickte. Als das letzte Set vorüber war, lungerte ich noch einmal ein wenig am Klo ab und hörte wie Elvin „Hotel, Hotel“ zu Coltrane sagte. Ich nehme an, er wollte auf sein Zimmer gehen. Ich wiederholte die kurze Phrase gegenüber meinen Freunden immer wieder in den nächsten Tagen. Sie müssen mich für verrückt gehalten haben.
Das nächste Mal, dass ich Zeuge wurde, wie die Muse sich mittels Elvins direktem Draht zur Sonne bemerkbar machte, war bei einer Show in der Royce Hall der UCLA. Die stilprägendste Jazz-Combo aller Zeiten wurde nun zusehends immer populärer, doch Coltranes kontinuierliche Annäherung an „das Neue“, gepaart mit seinem Sinn für Integrität, pushte das Quartett in musikalische Richtungen, die manche Leute nur schwer verdaulich fanden. Auf mich traf das nicht zu. In der Royce Hall saß ich in der ersten Reihe, während sie einen einzigen Song spielten, der sich über 45 Minuten erstreckte. Eine Hälfte des Publikums suchte erzürnt das Weite, bevor die Musiker ihr Werk zu Ende gebracht hatten. Die neuen Fans hatten es einfach nicht mehr ausgehalten, weil sie die Darbietung nicht verstanden. Da ich mit seinem Werdegang vertraut war, begeisterte ich mich sehr für John Coltranes experimentelle Exkursionen in die Weiten des Raums. Wenn er nicht selbst dazu beigetragen hätte, zusammen mit Miles Davis Begriffe wie Bebop und Cool Jazz zu definieren, hätte er nicht die Erlaubnis gehabt, sich nach „draußen“ zu begeben. Aber eigentlich ging es hier um das „Innere“, wie eine seiner Kompositionen, „Chasin’ the Trane“, veranschaulicht. In der Mitte dieser langen Nummer überließ der Pianist McCoy Tyner die Rhythmussektion sich selbst. Der Bassist Jimmy Garrison und Elvin mussten sich nun ihrem Anführer stellen. Coltrane drehte sich um und lieferte sich mit dem Rücken zu uns ein Duell mit meinem Percussion-Idol. Es war eine 20 Minuten lange hochemotionale Katharsis, wie ich sie niemals zuvor oder danach von irgendeinem anderen Musiker erlebt habe. Die beiden verabschiedeten sich von dieser Welt, wie es schon in dem alten Song „Out of This World“ von Johnny Mercer hieß, den sie auf einem ihrer Alben gecovert hatten. Das Fernsehen bildet nicht die Welt ab. Die echte Welt befindet sich hinter unserer Welt, wie es die Iren ausdrücken würden. Die echte Welt ist, so wie auch die Natur, unendlich.
Elvins Power passte perfekt zum Tenor-Saxofonisten Coltrane. Er sah aus wie jemand, dem man nicht in einer finsteren Gasse über den Weg laufen wollte. Doch er strahlte auch Liebe aus. Mir war klar, dass es auch seine Power sein würde, die Elvin letzten Endes zum Verhängnis werden würde. Wenn man sich mit Leib und Seele der Aufgabe verschrieben hat, jeden einzelnen Beat genau zu hören, dann laugt das einen irgendwann aus. Mit seinen breiten Schultern und seinen muskulösen Armen wirkte er, als ob er jeden Tag im Fitnesszentrum trainieren würde. So ähnlich war das ja auch, nur spielte er eben tagein-tagaus auf seinem Schlagzeug. Ein Freund von mir, der Elvin kurz vor seinem Tod noch spielen sah, berichtete, wie traurig es doch war, ihn so kraftlos zu sehen.
Die Vorstellung, wie Elvin Jones da oben auf der Bühne praktisch das Bewusstsein verlor, während er darauf bestand, das zu tun, was er am besten konnte, tut mir in meinem Innersten weh. Andererseits müssen wir alle einen Preis dafür bezahlen, um das tun zu können, was wir eben so tun. Egal, ob es sich dabei um Geige spielen, Malerei, Arbeit auf einem Computer oder mit einem Presslufthammer handelt. Niemand entkommt den Risiken seines Berufes. Doch was ist, wenn gerade diese Tätigkeit dir ein Gefühl der Alterslosigkeit vermittelt? So hatte ich unlängst Probleme mit meinem Rücken, was darauf zurückzuführen ist, dass ich seit 50 Jahren krumm über mein Schlagzeug gebeugt bin. Aber wenn ich das anders gemacht hätte, hätte ich mich wohl anders angehört. Und ich spielte, wie es mir mein Ohr befahl. Also keine Reue meinerseits.
John Coltranes Beschäftigung mit indischer und afrikanischer Musik trug dazu bei, dass sich in seinem Ensemble die Auffassung breitmachte, Musik wäre nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern vielmehr eine Methode, die eigene spirituelle Reise voranzutreiben. Kritiker verschmähten diese neue Ausrichtung als „grotesk“, „gewollt hässlich“ und „verschwurbelt“. Ironischerweise wurde Coltranes Publikum aber immer größer. Und ich war mittendrin. Er versetzte die Hörer in Trance, bevor er sie auf eine meditative Expedition entführte. Es war so, als würde man eine „akustische“ Droge verabreicht bekommen, um sich mit einer musikalischen Eisenbahn auf eine Rundfahrt zu begeben. Manche Hörer bevorzugten es, sich im Speisewagen aufzuhalten, wo JC wunderschöne Balladen wie „After the Rain“ servierte, während andere wiederum die Nähe zum Antrieb suchten, wo es das intensive „Chasin’ the Trane“ zu hören gab. Ein paar der Mitreisenden verschlug es aber auch dorthin, wo wir Schlagzeuger die Reise verbringen, in den Dienstwagen. Dort hinten kann es ganz schön lebhaft zur Sache gehen.
Wenn man sich der Musik ganz hingab, ähnelte ihr Effekt jener Art von „Besessenheit“, die auch in manchen Kirchen eine Rolle spielt. Auch traten dadurch die Wut und der Zorn über die politischen Zustände und vor allem auch den Rassismus jener Tage zum Vorschein. Die Bürgerrechtsbewegung befand sich im vollen Schwung und JC hatte seinen Finger am Puls der Nation. Nachdem der Ku-Klux-Klan in einer Kirche in Alabama einen Sprengstoffanschlag verübt hatte, schrieb Coltrane das so eindringliche „Alabama“. Er ließ sich für diesen Song von Martin Luther Kings Trauerrede inspirieren, die der für die vier afroamerikanischen Mädchen, die bei der Explosion ums Leben gekommen waren, gehalten hatte.
Coltrane beeinflusste damals auch minimalistisch angehauchte klassische Komponisten wie La Monte Young und Philip Glass. Vom musikalischen Standpunkt aus gibt es einige Parallelen zwischen minimaler und modaler Herangehensweise. Beide Ansätze lassen jede Menge Freiraum für die Hörer, damit sie sich darin unbegrenzt bewegen können.
Es ergab durchaus einen Sinn für mich, als ich später erfuhr, dass Coltrane, der ein unersättlicher Musikliebhaber