Zerreißproben. Группа авторов

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Zerreißproben - Группа авторов Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses

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Oppositionsparteien, die per se im Vergleich zu den Regierenden im Aufmerksamkeits-Abseits stehen. Und dann noch ›eingerahmt‹ von weiteren Parteien im Oppositionslager, die lautstärker und populistischer daherkommen und schon deshalb mehr Medienresonanz erzielen. Andererseits sind liberale Positionen für Journalisten oftmals lästig, weil kompliziert, abwägend und nicht in einfache Links-Rechts-Muster zu pressen (allen ›AFDP‹-Vorwürfen zum Trotz).

      Der liberalen Selbstverortung wäre bereits geholfen, wenn statt der ein- eine zweidimensionale politische Landkarte gezeichnet würde, die etwa die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik differenziert. Denn dann findet sich neben den wirtschaftspolitisch moderaten, gesellschaftspolitisch konservativen ›Rechten‹ und den wirtschaftspolitisch konservativen, aber gesellschaftspolitisch progressiven ›Linken‹ auf einmal auch ein Feld für die gesellschafts- und wirtschaftspolitisch Progressiven – für jene eben, die Freiheit in privaten und wirtschaftlichen Belangen maximieren wollen, die Liberalen.

      Empirische Erhebungen zeigen allerdings auch: dieser politische Quadrant ist dünn besiedelt. Es ist in aller Regel und in den meisten westlichen Gesellschaften eine relativ kleine Minderheit, die sich tatsächlich durch konsistente Freiheitsliebe in allen Dimensionen zwischen die Stühle setzt und sich gegen Bevormundung wehrt.

      Diese quantitative Schwäche – meist auch liberaler Parteien – steht in einem interessanten Spannungsverhältnis zur Durchschlagskraft liberaler Ideen, Analysen und Instrumente. Die westliche Geistesgeschichte ist durchdrungen von liberalen Ideen, die maßgeblich politische Institutionen prägten und prägen – bis hin zum Journalismus. Das wirft auch für Medien und Journalismus die Frage auf: Sind Liberalismus und Liberalität im Berufsfeld nun allgegenwärtig, in Form von Normen, Regeln, Institutionen und die Meinungs- und Pressefreiheit sichernden Grundwerten? Oder sind gelebter Liberalismus und Liberalität unter Journalisten eher ein kleines Minderheitenphänomen?

      Leitmedien, Liberalismus und Liberalität

      Wissen wir im Allgemeinen relativ wenig über Gestalt und Wirkungen politischer Orientierungen im Journalismus, so gilt dies gleich doppelt spezifisch für jene Orientierung, die allzu oft im Strudel der Polarisierung verschluckt wird: den Liberalismus. Mit Blick auf die journalistische Haltung, oder vielleicht besser: auf Berufsnormen, steht fest: der Journalismus ruht ganz unzweifelhaft auf einem liberalen Fundament. Das Grundgesetz sichert seine Freiheit, der Rechtsstaat verteidigt ihn regelmäßig gegen Anmaßungen politischer und ökonomischer Macht.

      Der von John Stuart Mill beschriebene ›Marktplatz der Ideen‹ wird im identitätspolitischen Diskurs gerne als naiv bespöttelt. Gleichwohl basieren die Berufsnormen des Journalismus, ebenso wie seine rechtliche Fundierung, auf der Erkenntnis, dass eine Gesellschaft ein System benötigt, das Ideen die Möglichkeit auf ein öffentliches Zusammentreffen und Aufeinanderprallen gibt. Der ›Marktplatz der Ideen‹ beschreibt sehr viel realistischer den unter heutigen Bedingungen möglichen Wettbewerb ums bessere Argument und die bessere Lösung, soll heißen: um den besseren Kompromiss widerstreitender Interessen, als die Habermas’sche Utopie vom ›herrschaftsfreien Diskurs‹.

      Wenige Sozialwissenschaftler haben diese Funktion so brillant analysiert wie Friedrich August von Hayek (Vorsicht: neoliberal!). Er beschrieb nicht nur die Gefahren einer kollektiven Fehlsteuerung durch die Hybris einer Anmaßung von Wissen, sondern vor allem auch die Notwendigkeit, das unendlich kleinteilig verteilte (implizite wie explizite) Wissen der Menschen durch den offenen Austausch von Ideen, aber auch Waren und Dienstleistungen gesellschaftlich fruchtbar zu machen. Auch hier spielt der Journalismus eine zentrale Rolle – indem er machtvolle Institutionen kritisiert, Transparenz herstellt, die Vielfalt der Ideen aufzeigt und kontrastiert. Als institutionalisierter Marktplatz der Ideen stellt der Journalismus ein Entmachtungsinstrument dar, ähnlich wie der Wettbewerb im ordoliberalen Verständnis gegenüber ökonomischen Akteuren.

      Der Journalismus steht also auf einem liberalen Fundament und erfüllt eine aus Sicht des Liberalismus zentrale Funktion. Liberalität im Sinne einer liberalen Grundhaltung ist dabei eine Voraussetzung. Doch wie gestaltet sich das Verhältnis von Journalismus, Liberalismus und Liberalität? Zuverlässige Daten dazu fehlen – wie gesagt – leider, doch es lässt sich spekulieren, dass zahlreiche Journalisten sich als ›liberal‹ empfinden und auch ihre Redaktion mit diesem Prädikat versehen würden. Denn liberal ist irgendwie sympathisch, weltoffen, progressiv. Wer möchte schon illiberal erscheinen? Aber worin besteht diese Liberalität? Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn der Blick auf Spannungsverhältnisse geworfen wird, auf Sollbruchstellen und Herausforderungen individueller Freiheit. Oder eben: auf Zerreißproben.

      Wie halten es die den öffentlichen Diskurs prägenden Leitmedien mit dem Liberalismus und der Liberalität, wenn es auch um wirtschaftliche Liberalität geht? Wie, wenn ›unmoderne‹, also konservative oder traditionelle gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Forderungen geäußert werden, die in kulturell machtvollen, großstädtischen Milieus Empörung und Verachtung auslösen? Oder gar um Neoliberalismus? Und wie, wenn im Banne einer Pandemie Kritik am Regierungshandeln aufkommt? Wie offen zeigt sich der Journalismus dann für Argumente, die sich für individuelle Freiheit und Grundrechte, für die offene, auch kontroverse Debatte und Perspektivenvielfalt einsetzen?

      Der Liberalismus ist fraglos so facettenreich, dass es den Liberalismus womöglich gar nicht gibt – auch nicht als bedrohte Spezies. Die Attribute, mit denen er versehen wird, sprechen für sich selbst und für seine Spannweite: Vom Linksliberalismus, mit dem sich gerade im Journalismus viele schmücken, bis hin zum Neoliberalismus, der – wie uns Jan Schnellenbach in diesem Band nahebringt – für zwei gegensätzliche Konzepte steht: für Ökonomen ist es ein wissenschaftlicher Ansatz der Steuerung von Wirtschaft mit möglichst geringer staatlicher Intervention, während der Neoliberalismus umgangssprachlich zum Schimpfwort verkommen ist, mit dem man von jeder beliebigen Position aus nahezu jeden diskreditieren kann, den man ein Stückchen weiter rechts von sich selbst verortet.

      Dazwischen tummeln sich – nicht minder unscharf – Wirtschaftsliberale, Marktliberale und Gesellschaftsliberale. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf individuelle Freiheit pochen. Aber sie haben doch ein sehr unterschiedliches Verständnis davon, welche individuellen Freiheiten konkret gemeint sind, und welche Rolle dem Staat bei der Verwirklichung und Begrenzung dieser individuellen Freiheitsrechte zukommen soll. Während der Arbeit an diesem Band traten nahezu tagtäglich kleine und größere Zerreißproben auf, die zeigen, wie wichtig es ist, über das Verhältnis von Leitmedien zu Liberalismus und Liberalität weiterhin nachzudenken – so schillernd der Liberalismus-Begriff dabei bleiben mag.

      Der vorliegende Band

      Die Reihe Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses trägt – augenzwinkernd – ihr Ziel im Namen. Sie soll Herausforderungen und Dysfunktionen des öffentlichen Diskurses diagnostizieren, Auswege aufzeigen und dabei vor allem selbst zur Debatte beitragen. Der vorliegende Band ist so gemeint, als ein Debattenbeitrag. Er bringt Analysen von Sozialwissenschaftlern und aus der journalistischen und politischen Praxis zusammen, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit den Zerreißproben zwischen Journalismus, Liberalismus und Liberalität befassen. Alle Beiträge sind kurz gehalten, sie sollen anregen, einen Denkimpuls setzen, vielleicht auch mal Stein des Anstoßes sein und ein wenig aufregen. Alle thematisierten Zerreißproben sind Zerreißproben, weil sie politisch strittig sind. Das macht sie spannend und instruktiv, wenn das Verhältnis von Leitmedien, Liberalismus und Liberalität vertieft verstanden werden soll. Die Herausgeber setzen sich somit über alle wohlmeinenden Warnungen hinweg, wenngleich durchaus verbunden mit einem Dank an die Bedenkenträger – und sie danken ihrerseits allen Autorinnen und Autoren sowie dem Verlag, dass sie sich ›trotz alledem‹ für unser Projekt engagiert haben.

      Der Band wurde bis auf diesen Absatz der Einleitung in den Wochen vor der Bundestagswahl 2021 verfasst,

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