Zerreißproben. Группа авторов

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Zerreißproben - Группа авторов Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses

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betrieben wird, mutig entgegenzutreten und diese zu entzaubern. Die Besinnung auf antitotalitäre Traditionen hilft uns dabei.

      Thomas Petersen

      Die zerrissene öffentliche Wahrnehmung des Liberalismus

      Zum Hamburger Volksgut gehören die ›Klein Erna‹-Geschichten. Das sind Witze aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, überwiegend ziemlich flache Kalauer, öfter auch etwas anzüglich, die präzise den Zungenschlag ihrer Zeit wiedergeben. Sehr treffend karikieren sie den Tonfall der Menschen und ihre oft sinnlosen Sprachmarotten. Für ältere Hamburger, die noch Leute kannten, die so sprachen, wie die Figuren in den Witzen, ist das eine sehr vergnügliche Lektüre. Jüngere und vor allem Nichthamburger stehen dagegen meist fassungslos davor und fragen sich, was denn daran lustig sein soll.

      Eine dieser ›Klein Erna‹-Geschichten geht wie folgt:

      »Mamma trifft mal Tante Frieda auf Straße.

      ›Wie geht’s denn?‹ sagt Tante Frieda.

      Den gleichen Witz könnte man auch mit dem Begriff ›liberal‹ erzählen. Ganz selbstverständlich wird das Wort verwendet, viele Menschen glauben auch, dass es auf sie selbst zutrifft, doch was es eigentlich bedeutet, ist ihnen nicht klar.

      ›Liberal‹ ist das, was die Amerikaner ein ›Wieselwort‹ nennen. Ein Begriff, der nicht zu fassen ist, der einem davonrennt, wenn man versucht, ihn festzuhalten. Nicht, dass er, historisch oder politikwissenschaftlich betrachtet, keine klare Bedeutung hätte, doch im Alltagsgebrauch hat er allenfalls einen sehr vagen Inhalt.

      Frage: »Würden Sie sich selbst als liberal bezeichnen, oder würden Sie das nicht sagen?«

      Antwort: »Würde mich als liberal bezeichnen.«

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      Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr. 11094 (Oktober 2018)

      Diese Kombination: Eine aus Sicht der meisten Menschen vage Bedeutung bei einem gleichzeitig eindeutig positiven Beiklang macht den Begriff ›liberal‹ zu einer begehrten Beute im politischen Wettstreit. Und so hat es in den letzten Jahren intensive Versuche von verschiedenen politischen Strömungen gegeben, den Begriff mit neuen Bedeutungen aufzuladen und für sich in Beschlag zu nehmen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Einführung des Schlagworts ›Neoliberalismus‹ in die politische Debatte in den 1990er-Jahren, die es ermöglichte, Inhalte, die man vorher einfach als liberal bezeichnet hätte, mit dem – zumindest außerhalb volkswirtschaftlicher Fachkreise – neuen, negativ konnotierten Begriff zu belegen. Der positiv belegte Begriff ›liberal‹ ließ sich auf diese Weise gleichsam freiräumen und konnte so als ›neuer‹, ›wahrer‹ oder sonstwie ›besserer‹ Liberalismus gegen die Inhalte in Stellung gebracht werden, für die er ursprünglich stand.

      Die Folge dieser Entwicklung ist, dass in den – ohnehin schon vagen – Vorstellungen der Bevölkerung vom Begriff ›liberal‹ ursprüngliche und neu hinzugefügte Elemente durcheinandergehen. Dies zeigen die Antworten auf die zuletzt im Frühjahr 2017 gestellte Frage »Was verstehen Sie unter einer liberalen Partei? Wofür sollte sich eine liberale Partei Ihrer Meinung nach unbedingt einsetzen?« Dazu überreichten die Interviewer eine Liste mit Antwortmöglichkeiten. 64 Prozent der Befragten antworteten daraufhin, dass es ihrer Ansicht nach Aufgabe einer liberalen Partei sei, die Freiheit der Bürger zu schützen. 58 Prozent meinten, eine liberale Partei müsse sich um Chancengerechtigkeit kümmern, also dass jeder unabhängig von sozialer Herkunft oder Geschlecht gleiche Chancen im Beruf und bei der Bildung hat. An dritter Stelle stand, genannt von 55 Prozent der Befragten, der Punkt »Die Belastungen durch Steuern und Abgaben senken«.

      Diese politischen Ziele lassen sich sicherlich gut aus den Grundprinzipien des Liberalismus ableiten. Doch erhebliche Teile der Befragten nannten auch Punkte, die man traditionell eher konservativen Parteien zuordnen würde, wie »Dass die Bürger besser vor Kriminellen geschützt werden« (43 %) oder auch eher sozialdemokratische Ziele wie »Die sozialen Unterschiede, die Unterschiede zwischen Arm und Reich abbauen« (43 %), die zwar nicht in direktem Widerspruch mit liberalen Prinzipien stehen, die man aber zumindest nicht als spezifisch liberal bezeichnen würde. Dennoch wurden sie häufiger zu den Aufgaben einer liberalen Partei gerechnet als die klassische liberale Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Bürger (Abb. 2).

      Dabei ist auffällig, dass die Anhänger der verschiedenen Parteien dazu neigen, ihre eigenen Überzeugungen auf den Begriff ›liberal‹ zu projizieren. Anhänger der Partei Die Linke sind über proportional häufig der Ansicht, eine liberale Partei müsse die Unterschiede zwischen Arm und Reich abbauen, während sie die Verteidigung der Marktwirtschaft nicht so sehr

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