Verändere dein Bewusstsein. Michael Pollan
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Читать онлайн книгу Verändere dein Bewusstsein - Michael Pollan страница 17
Amy Charnay, eine Ernährungswissenschaftlerin und Kräuterkundlerin in den Dreißigern, kam nach einer Krise zur Hopkins University. Sie war eine passionierte Läuferin und hatte Forstökologie studiert, als sie von einem Baum stürzte und sich den Knöchel brach, was sowohl ihre Lauf- als auch ihre Forstwirtschaftskarriere beendete. In den ersten Augenblicken ihrer Reise wurde Amy von Wogen aus Schuldgefühlen und Angst überwältigt.
«Das Bild, das ich sah, war aus dem 19. Jahrhundert, und ich befand mich auf einem Podium. Zwei Leute, die neben mir standen, legten eine Schlinge um meinen Hals, während eine Menschenmenge zuschaute und lauthals meinen Tod forderte. Ich war voller Schuldgefühle, hatte einfach Angst. Ich war in einem Höllenreich. Und ich erinnere mich, dass Bill fragte: ‹Was ist los?›
‹Ich habe große Schuldgefühle.› Bill erwiderte: ‹Das ist eine sehr häufige menschliche Erfahrung›, und damit löste sich das ganze Bild vom Gehängtwerden in Pixel auf, verschwand einfach und wurde von diesem gigantischen Gefühl von Freiheit und Verbundenheit abgelöst. Das war unglaublich. Ich sah, wenn ich ein Gefühl benennen und zulassen, es jemandem gestehen kann, dann lässt es mich los. Jetzt, wo ich etwas älter und klüger bin, schaffe ich das selbst.»
Etwas später saß Charnay auf dem Rücken eines Vogels und flog um die Welt und durch die Zeit. «Mir war klar, dass mein Körper auf dem Sofa lag, aber ich verließ ihn und erlebte all das hautnah. Ich befand mich in einem Trommelkreis bei irgendeinem Eingeborenenstamm, und ich wurde geheilt, war aber auch die Heilerin. Das war eine sehr tiefgründige Erfahrung. Da ich nicht die traditionelle Herkunft [einer Heilerin] habe, kam ich mir immer wie eine Hochstaplerin vor, die Pflanzenheilkunde betreibt, aber plötzlich erkannte ich, dass ich verbunden war mit den Pflanzen und mit den Menschen, die Pflanzen verwenden, sei es für Rituale, Psychedelika oder Salat!»
Bei einer späteren Sitzung nahm Charnay wieder Verbindung zu einem Jugendfreund auf, der mit neunzehn bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. «Plötzlich lebte ein Stück von Phil in meiner linken Schulter. So was hab ich noch nie erlebt, aber es war ganz real. Ich weiß nicht, warum er gelb ist und in meiner linken Schulter lebt – was bedeutet das überhaupt? –, aber es ist mir egal. Er ist wieder bei mir.» Solche Wiederverbindungen mit Toten sind nicht ungewöhnlich. Richard Boothby, dessen dreiundzwanzigjähriger Sohn ein Jahr vorher nach langer Drogensucht Selbstmord begangen hatte, sagte mir: «Oliver war mir auf einmal näher als je zuvor.»
Wie ungeheuer wichtig es ist, sich der Erfahrung zu überlassen, egal wie beängstigend oder bizarr sie auch sein mag, wird in den Vorbereitungssitzungen stets betont und spielt bei den Reisen vieler Leute und noch darüber hinaus eine große Rolle. Richard Boothby, der Philosoph, nahm sich den Rat zu Herzen und stellte fest, dass er den Gedanken als eine Art Werkzeug benutzen konnte, um die Erfahrung in Echtzeit zu gestalten. Er schrieb:
Ich merkte schon früh, dass die Wirkung der Droge erstaunlich auf meine eigene subjektive Bestimmung reagiert. Wenn ich mich, als Reaktion auf die steigende Intensität der ganzen Erfahrung, vor Angst verkrampfe, scheint sich die ganze Szene irgendwie zusammenzuziehen. Aber wenn ich mich dann bewusst zu entspannen versuche, mich auf die Erfahrung einlasse, ist die Wirkung dramatisch. Der bereits riesige Raum, in dem ich mich offenbar befinde, klafft plötzlich noch weiter auf, und die Formen, die vor meinen Augen wallen, scheinen in neuen, noch ausgefalleneren Mustern zu explodieren. Immer wieder hatte ich das überwältigende Gefühl von Unendlichkeit, die von einer weiteren Unendlichkeit vervielfacht wurde. Als meine Frau mich nach Hause fuhr, witzelte ich, ich hätte das Gefühl gehabt, mehrfach ins Arschloch Gottes gesogen worden zu sein.
Boothby hatte anscheinend eine ganz klassische mystische Erfahrung, doch er könnte der Erste in der langen Reihe westlicher Mystiker sein, der durch diese spezielle Öffnung in das göttliche Reich gelangte.
In den Tiefen dieses Deliriums hatte ich das Gefühl, dass ich entweder im Sterben lag oder, höchst bizarr, bereits tot war. Alle Punkte der sicheren Anbindung an einen verlässlichen Realitätssinn waren verschwunden. Warum nicht glauben, dass ich tot bin? Und wenn das Sterben ist, dachte ich, dann soll es so sein. Wie kann ich dazu Nein sagen?
In diesem Moment, in der größten Erfahrungstiefe, spürte ich, wie all meine elementaren Gegensatzkategorien – Träumen und Wachsein, Leben und Tod, innen und außen, ich und das andere – in sich zusammenstürzten … Die Wirklichkeit schien zusammenzuklappen, in einer Art ekstatischen Katastrophe der Logik zu implodieren. Doch mitten in diesem halluzinatorischen Wirbelsturm hatte ich eine bizarre Erfahrung von außerordentlicher Erhabenheit.
Und ich weiß noch, wie ich mir immer wieder sagte: ‹Nichts ist wichtig, nichts ist mehr wichtig. Ich sehe, worauf es ankommt!
Gar nichts ist wichtig.›
Und dann war es vorbei.
In den letzten Stunden hat sich die Wirklichkeit dann langsam, mühelos wieder zusammengefügt. Synchron mit einer tief beeindruckenden Chormusik hatte ich das unglaublich ergreifende Gefühl triumphalen Erwachens, als würde nach einer langen, qualvollen Nacht ein neuer Tag anbrechen.
Zur selben Zeit, als ich Richard Boothby und die anderen Probanden interviewte, las ich in der Hoffnung, Orientierung zu finden, William James‘ Beschreibung mystischen Bewusstseins in Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Und tatsächlich half mir vieles von dem, was James zu sagen hatte, mich in der Flut von Wörtern und Bildern, die ich sammelte, zurechtzufinden. James leitete seine Erörterung mystischer Bewusstseinszustände mit dem Geständnis ein: «Meine eigene Konstitution schließt mich von ihrem Genuss fast vollständig aus.»30 Fast vollständig: Was James über mystische Zustände wusste, hatte er nicht nur aus seiner Lektüre zusammengetragen, sondern auch anhand eigener Experimente mit Drogen, darunter auch Lachgas.
Statt zu versuchen, etwas so schwer Fassbares wie eine mystische Erfahrung zu definieren, nennt James vier «Merkmale», an denen wir sie erkennen können. Das erste und seiner Meinung nach «handfesteste» ist Unaussprechbarkeit: «Der Betroffene erklärt sofort, daß ihm der Ausdruck fehlt, daß er über den Inhalt seiner Erfahrung verbal nicht angemessen berichten kann.»31 Mit Ausnahme von Boothby verzweifelten alle Versuchspersonen, mit denen ich sprach, irgendwann daran, die ganze Wucht ihrer Erfahrungen zu vermitteln, obwohl sie es bereitwillig versuchten. «Man muss dabei gewesen sein», hieß es immer wieder.
Die noetische Qualität ist James‘ zweites Merkmal: «Mystische Zustände [sind] für die, die sie erfahren, anscheinend auch Erkenntniszustände … Es handelt sich um Erleuchtungen, Offenbarungen, die bedeutungsvoll und wichtig erscheinen … und in der Regel haben sie einen merkwürdigen Nachgeschmack von besonderer Autorität.»32
Für alle Probanden, die ich interviewt habe, brachte die Erfahrung mehr Antworten als Fragen hervor, und seltsamerweise – denn es ist und bleibt eine Drogenerfahrung – hatten diese Antworten etwas erstaunlich Handfestes und Dauerhaftes. John Hayes, ein Psychotherapeut in den Fünfzigern, der eine der ersten Versuchspersonen an der Hopkins University war,
hatte den Eindruck, als würden Geheimnisse offenbart, und doch kam mir alles vertraut vor, eher so, als würde ich an etwas erinnert, das ich schon wusste. Ich hatte das Gefühl, in Dimensionen der Existenz eingeweiht zu werden, von denen die meisten Menschen nichts wissen, und das ausgeprägte Gefühl, dass der Tod eine Illusion ist, in dem