Verändere dein Bewusstsein. Michael Pollan
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Doch die Versuchspersonen waren nicht genau wie ich, denn damals hätte ich nach der Überschrift «Interesse am spirituellen Leben?» wohl nicht mehr weitergelesen. In der ursprünglichen Gruppe befanden sich keine nüchternen Atheisten, und die Interviews mit fast einem Dutzend Teilnehmern legten nahe, dass viele, wenn nicht alle, mit mehr oder weniger starker spiritueller Orientierung in die Studie gingen. Da waren eine energetische Heilerin, ein Mann, der in der Eisenhans-Bewegung aktiv war, ein ehemaliger Franziskanermönch und eine Kräuterkundlerin. Außerdem ein Physiker, der sich für Zen, und ein Philosophieprofessor, der sich für Theologie interessierte. Roland Griffiths räumte ein: «Wir waren an einer spirituellen Wirkung interessiert und haben die Situation anfangs [dahingehend] beeinflusst.»
Abgesehen davon war Griffiths bei der Planung der Studie sehr bemüht, «Erwartungseffekte» zu berücksichtigen. Teilweise war das seiner Skepsis geschuldet, dass eine Droge die gleiche mystische Erfahrung auslösen könnte, wie er sie beim Meditieren hatte: «All das war für Bill die Wahrheit und für mich nur eine Hypothese. Deshalb mussten wir Bills Voreingenommenheit berücksichtigen.» Alle Probanden waren «halluzinogen-naiv», hatten also keine Ahnung, wie sich Psilocybin anfühlte, und weder sie noch ihre Beobachter wussten in den Sitzungen, ob sie Psilocybin oder ein Placebo erhielten und ob das Placebo eine Zuckerpille oder eine von sechs verschiedenen psychoaktiven Drogen war. In Wirklichkeit war das Placebo Ritalin, und wie sich herausstellte, lagen die Beobachter bei der Einschätzung, was für eine Pille ein Proband erhalten hatte, in mehr als einem Viertel der Fälle falsch.
Noch Jahre nach ihren Erfahrungen bei den Versuchen erinnerten sich die Teilnehmer, mit denen ich sprach, in allen Einzelheiten und sehr ausführlich; die Interviews dauerten Stunden. Diese Leute hatten etwas Wichtiges zu erzählen; in mehreren Fällen waren es die bedeutendsten Erfahrungen ihres Lebens, und sie genossen die Gelegenheit, alles sehr ausführlich noch einmal zu durchleben, gleichgültig ob im persönlichen Kontakt, über Skype oder am Telefon. Die Teilnehmer wurden auch kurz nach dem Versuch aufgefordert, einen Bericht über ihre Erfahrungen zu verfassen, und alle, die ich interviewte, stellten mir diese Berichte, von denen viele eine seltsame, faszinierende Lektüre waren, bereitwillig zur Verfügung.
Viele der Probanden berichteten von anfänglicher Angst und Sorge, bevor sie sich der Erfahrung überließen – wozu die Betreuer sie ermunterten. Die Betreuer arbeiteten dabei mit einer Liste von «Fluganweisungen», die Bill Richards auf der Grundlage von Hunderten psychedelischer Reisen, die er angeleitet hatte, vorbereitet hatte. Die Anleiter gehen diese Anweisungen mit den Versuchspersonen während der achtstündigen Vorbereitung durch, die alle Beteiligten vor Beginn der Reise erhalten.
In den Fluganweisungen wird den Anleitern empfohlen, gebetsmühlenhafte Aufforderungen zu benutzen wie «Vertraue der Flugbahn» und «Hab Vertrauen, lass los, sei offen». Manche Anleiter zitieren gern John Lennon: «Turn off your mind, relax and float downstream» [«Schalte dein Denken ab, entspann dich und lass dich treiben»].
Man sagt den Probanden, dass sie «den Tod/die Transzendenz des eigenen Ichs oder Alltags-Ichs» erleben könnten, darauf folge aber «stets die Wiedergeburt/Wiederkehr in die normative Welt von Raum und Zeit. Der sicherste Weg, in die Normalität zurückzukehren, ist, sein Ich den auftretenden Erfahrungen bedingungslos zu überlassen.» Die Anleiter sollen den Teilnehmern ins Gedächtnis rufen, dass sie nicht alleingelassen werden und sich während der Reise keine Sorgen um ihren Körper machen müssen, da die Anleiter sie im Auge behalten. Sollten sie das Gefühl haben, «zu sterben, zu zerfließen, sich aufzulösen, zu explodieren, verrückt zu werden etc. – nur zu». Die Versuchspersonen werden gefragt: «Wenn Sie eine Tür sehen, was machen Sie dann? Wenn Sie eine Treppe sehen, was machen Sie?» Die richtigen Antworten lauten natürlich «sie öffnen» und «sie hinaufsteigen».
Die sorgfältige Vorbereitung hat zur Folge, dass sich ein gewisser Erwartungseffekt wahrscheinlich nicht vermeiden lässt. Schließlich machen die Forscher ihre Probanden darauf aufmerksam, dass sie eine bedeutende Erfahrung haben könnten, die Tod und Wiedergeburt umfasst und das Potenzial für Veränderung hat. «Es wäre unverantwortlich, die Teilnehmer nicht auf diese Möglichkeit hinzuweisen», sagte Griffiths, als ich ihn fragte, ob die Versuchspersonen auf eine bestimmte Art von Erfahrung «eingestimmt» würden. Einer von ihnen – der Physiker – erzählte mir, der «Mystical Experience Questionnaire», den er nach jeder Sitzung ausfüllte, habe auch Erwartungen geweckt: «Ich sehne mich danach, etwas zu erleben wie das, worauf im Fragebogen angespielt wird», schrieb er nach einer enttäuschenden Sitzung – möglicherweise auf Placebo. «Wo alles lebendig und miteinander verbunden ist, wo man der Leere begegnet oder einer Verkörperung von Gottheiten und so was.» In dieser und manch anderer Hinsicht scheint mir die Psilocybin-Erfahrung an der Hopkins University nicht nur ein Produkt dieser wirkungsvollen Substanz zu sein, sondern auch auf der Vorbereitung und den Erwartungen des Probanden zu beruhen, auf der Qualität und Weltsicht der Betreuer, auf Bill Richards‘ Fluganweisungen, der Ausstattung des Zimmers, der begünstigt durch die Schlafmaske und die Musik nach innen gerichteten Konzentration (und der Musik selbst, die für meine Ohren größtenteils ziemlich religiös klingt) und, auch wenn sie das nicht gern hören würden, auf dem Denken der Entwickler der Experimente.
Die schiere Beeinflussbarkeit von Psychedelika ist eine ihrer bestimmenden Eigenschaften, deshalb ist es in gewissem Sinne kein Wunder, dass so viele aus der ersten Teilnehmergruppe an der Hopkins University starke mystische Erfahrungen hatten: Das Experiment wurde von drei Männern entwickelt, die an mystischen Bewusstseinszuständen äußerst interessiert waren. (Zugleich ist es kein Wunder, dass die europäischen Forscher, die ich interviewte, bei ihren Versuchspersonen nicht annähernd so viele Beispiele für mystische Erfahrung sahen wie die Amerikaner bei ihren.) Doch trotz all der Einstimmung bleibt die Tatsache, dass die Leute, die ein Placebo erhielten, keine solchen Erfahrungen hatten, wie sie mir ein Proband nach dem anderen als die wichtigste und bedeutendste seines Lebens schilderte.
Kurz nachdem die Versuchsperson ihre Pille aus dem kleinen Kelch nimmt, noch bevor sie irgendeine Wirkung verspürt, kommt gewöhnlich Roland Griffiths in den Sitzungsraum, um ihr eine gute Reise zu wünschen. Griffiths benutzt oft eine spezielle Metapher, die viele der Probanden, mit denen ich sprach, tief beeindruckt hat. «Sehen Sie sich als einen Astronauten, der ins Weltall geschossen wurde», erinnert sich Richard Boothby an seine Worte. Boothby ist Philosophieprofessor und war Anfang fünfzig, als er sich für das Experiment an der Hopkins University meldete. «Sie fliegen weit hinaus, um all das zu sehen und mit dem, worauf Sie stoßen, in Beziehung zu treten. Aber Sie können sich sicher sein, dass wir hier sind und alles im Auge behalten. Betrachten Sie uns als Bodenkontrolle. Wir haben alles im Griff.»
Für den Astronauten kann der Abschuss ins All, das Beben beim Start und die Anstrengung beim Verlassen des irdischen Gravitationsfelds schmerzlich – ja sogar beängstigend – sein. Mehrere Probanden schildern, wie sie versuchten, sich festzuklammern, als sie spürten, wie sich ihr Selbstempfinden rapide auflöste. Brian Turner, ein damals vierundvierzigjähriger Physiker, der für eine Militärfirma arbeitete (und Geheimnisträger war), formulierte es folgendermaßen:
Ich spürte, wie sich mein Körper von den Füßen her auflöste, bis alles verschwunden war außer der linken Seite meines Kinns. Das war wirklich unangenehm; es waren nur noch ein paar Zähne übrig und der untere Teil meines Kinns.
Ich wusste, wenn das verschwände, wäre ich nicht mehr da. Plötzlich fiel mir ein, dass man mir gesagt hatte, wenn ich etwas Furcht Einflößendem begegnen würde, sollte ich darauf zugehen. Also überwand ich die Angst vorm Sterben und wurde neugierig auf das, was ablief. Ich versuchte nicht mehr, dem Sterben zu entgehen. Statt vor der Erfahrung zurückzuschrecken, begann ich sie zu befragen. Und damit löste sich die ganze