Die ganze Geschichte. Yanis Varoufakis
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Er stimmte lächelnd zu. Was hätte er auch sonst tun sollen? Wenn es eine Spar-Olympiade gegeben hätte, wäre Griechenland auf dem ersten Platz gelandet und Osbornes Großbritannien irgendwo ziemlich weit unten. Osborne schien auch dankbar für die Hilfe, die er von der Bank of England erhielt. Seit die Londoner City 2008 von schweren Turbulenzen auf dem Kreditmarkt getroffen worden war, hatte die Bank of England Milliarden Pfund gedruckt, um die Banken solvent und die Wirtschaft »liquide« zu halten. Osborne bezeichnete das als »expansive Kontraktion«: Großzügigkeit seitens der Bank of England kombiniert mit Ausgabenkürzungen des Staates.
»Sie stehen immer hinter mir«, sagte er, offensichtlich erleichtert, nicht in meiner Situation zu sein: Geisel einer Europäischen Zentralbank, die genau das Gegenteil tat.
»Ich beneide Sie, George«, klagte ich. »Im Gegensatz zu Ihnen habe ich eine Zentralbank, die mir bei jedem Schritt in den Rücken fällt. Können Sie sich vorstellen, wie es hier in Großbritannien aussehen würde, wenn Sie, statt ›expansive Kontraktion‹ zu betreiben, wie ich zu ›kontraktorischer Kontraktion‹ gezwungen wären?«
Er nickte lächelnd und signalisierte mir, dass ich wenn schon nicht seine Solidarität, so wenigstens sein Mitgefühl hatte.
Dass die Begegnung zwischen einem Schatzkanzler der Torys und einem Finanzminister, der die radikale Linke Griechenlands vertrat, so glatt lief, ist tatsächlich nicht so verwunderlich, wie es die Presse darstellte. Drei Jahre zuvor, auf dem Höhepunkt der Eurokrise, hatte ein Verband vereidigter Wirtschaftsprüfer mit Sitz in Australien beschlossen, die Teilnehmer ihrer jährlichen Konferenz mit einer Debatte zwischen einem Linken und einem Rechten aus Europa zu erfreuen. Und so luden sie Lord (Norman) Lamont, ehemals Schatzkanzler im Kabinett von John Major, und mich zu einer Debatte ein in der Erwartung, dass es gehörig krachen würde. Nur leider hatten sie das falsche Thema ausgewählt: die Krise in der Eurozone. Als wir uns auf dem Podium niedergelassen hatten vor lauter Zuschauern, die mit einem Hahnenkampf rechneten, stellten wir rasch fest, dass wir in nahezu allen Punkten übereinstimmten.
Die Diskussion verlief tatsächlich so freundschaftlich, dass wir uns nachher mit Danae trafen und zu dritt zum Abendessen in ein Restaurant am Wasser gingen. Im strahlenden Sonnenlicht blühte unsere Freundschaft auf – mit Unterstützung des köstlichen australischen Weins, wie Norman mich immer wieder erinnert. Danach blieben wir in Verbindung und tauschten weiterhin unsere Ansichten aus in einer Weise, die mich davon überzeugte, dass wir mehr gemeinsam hatten, als ich mir vorgestellt hätte. Im Dezember 2014 schockierte ich Norman mit der unerwarteten Nachricht, dass ich in einem Monat das griechische Finanzministerium übernehmen würde. Seit diesem Tag und während meiner turbulenten Amtszeit, aber auch danach noch, erwies sich Norman als ein Fels in der Brandung, ein treuer Freund und zuverlässiger Unterstützer. Bevor ich 2015 Downing Street Nr. 11, den Amtssitz von George Osborne, betrat, hatte Norman ihn angerufen und unsere Begegnung mit einigen warmen Worten über mich vorbereitet.
Während meine Freundschaft mit Lord Lamont vielen merkwürdig vorkam, vor allem meinen linken Genossen in der Regierung, passte sie sehr gut in ein größeres Muster. In den trostlosen Jahren von 2010 bis heute war ich immer wieder verblüfft, dass ich, der stolze Linke, Unterstützung von allen möglichen Rechten erhielt: von Bankern der Wall Street und der City of London, von rechten deutschen Ökonomen, sogar von amerikanischen Libertären. Um nur ein Beispiel zu geben, wie seltsam die Dinge laufen können: An einem einzigen Tag Ende 2011 sprach ich vor drei ziemlich unterschiedlichen Versammlungen in New York City – einmal vor Occupy Wall Street, einmal bei der New Yorker Federal Reserve und dann noch vor Hedgefonds-Managern und Bankenvertretern. Allen erzählte ich das Gleiche über die Krise Europas, und aus allen drei Lagern eingeschworener Feinde erhielt ich die gleiche Zustimmung.
Was den echten Libertären, den sich langsam erholenden Bankern der Wall Street und den angelsächsischen Rechten an meinen ansonsten linken Positionen gefiel, war genau das, was das griechische und das europäische Establishment verabscheuten: meine klare Ablehnung immer neuer, nicht nachhaltiger Kredite, die einen Bankrott als Liquiditätsproblem verschleierten. In der Wolle gefärbte Marktwirtschaftler sind allergisch gegen Wohltaten, die die Steuerzahler finanzieren. Sie lehnen aus ganzem Herzen meine Ansichten ab, wie wichtig in Phasen einer Rezession substanzielle öffentliche Investitionen sind und zu jeder Zeit Besteuerungsgrundlagen, die für mehr Einkommensgerechtigkeit sorgen. Aber wir stimmen darin überein, dass es eine entsetzliche Verschwendung von Ressourcen und der sichere Weg ins Massenelend ist, durch vom Steuerzahler finanzierte Kredite einen Bankrott immer weiter zu verschleppen. Vor allem anderen verstehen Libertäre, was Schulden bedeuten. Deshalb durchschauten wir übereinstimmend die menschenverachtende Täuschung hinter dem Griechenland-Programm, zu dem Christine Lagarde mich vier Jahre später drängte.
Der offiziellen Erklärung, wie das Programm des Establishments Griechenland im Jahr 2015 wieder auf die Beine helfen sollte, könnte man die Überschrift geben: »Operation Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit«. Die grundlegende Idee war folgende: Griechenland hat den Euro und kann deshalb nicht durch die Abwertung seiner Währung Investitionen von außen anlocken, das heißt die übliche Strategie anwenden, um international wieder wettbewerbsfähig zu werden. Aber es kann das gleiche Ergebnis durch eine innere Abwertung als Folge einer strikten Sparpolitik erreichen. Wie soll das gehen? Drastische Kürzungen bei den Staatsausgaben werden Preise und Löhne sinken lassen. Griechisches Olivenöl, Hotels auf Mykonos und die Frachtgebühren griechischer Schiffe werden für deutsche, französische und chinesische Kunden sehr viel billiger werden. Wenn Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit auf diese Weise wiederhergestellt ist, werden die Exporte und der Tourismus anziehen. Die Investoren beobachten diese wundersame Verwandlung, strömen herbei und stabilisieren so die Wirtschaft. Bald kehrt das Wachstum zurück, und die Einkommen steigen. Mission erfüllt.
Das hätte eine überzeugende Argumentation sein können, hätte sie nicht das Offensichtliche geleugnet, wie die Libertären wohl wussten: Kein Investor, der bei Verstand ist, wird in einem Land investieren, dessen Staat, Banken, Unternehmen und Haushalte allesamt insolvent sind. Während die Preise, Löhne und Einkommen zurückgehen, werden die Schulden, die der Insolvenz zugrunde liegen, nicht sinken, sondern weiter steigen. Das Einkommen zu reduzieren und neue Schulden zu machen, beschleunigt den Prozess noch. Genau das passierte in Griechenland ab 2010.
Im Jahr 2010 schuldete der griechische Staat für je 100 Euro Pro-Kopf-Einkommen ausländischen Banken 146 Euro. Ein Jahr später, 2011, war das Pro-Kopf-Einkommen gegenüber 2010 auf 91 Euro gesunken und 2012 auf 79 Euro. Unterdessen flossen die offiziellen Kredite der europäischen Steuerzahler herein, bevor sie an die französischen und deutschen Banken weitergeleitet wurden, und dadurch stieg die Staatsverschuldung von 146 Euro pro Kopf im Jahr 2010 auf 156 Euro pro Kopf in 2011. Selbst wenn sämtliche griechischen Steuersünder sich über Nacht bekehrt und wir alle uns in eine Nation sparsamer presbyterianischer Schotten verwandelt hätten, wären unsere Einkommen zu gering und unsere Schulden zu hoch gewesen, um den Bankrott abzuwenden. Die Investoren durchschauten das und wollten griechische Investitionsprojekte nicht