Die ganze Geschichte. Yanis Varoufakis

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Die ganze Geschichte - Yanis Varoufakis

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Netz ausgeschlossen zu werden. Auf diese Weise kontrollieren Netze der Mächtigen den Informationsfluss: Sie kooptieren Outsider und schließen alle aus, die sich nicht an die Spielregeln halten. Solche Netze entwickeln sich organisch und werden von einer Eigendynamik angetrieben, die kein Einzelner kontrollieren kann, nicht einmal der Präsident der Vereinigten Staaten, der CEO von Barclays und all jene, die Schlüsselpositionen im IWF oder in einer nationalen Regierung innehaben.

      Wenn man erst einmal in diesem Netz gefangen ist, braucht es Heldenmut, um zum Whistleblower zu werden, besonders wenn man in der Kakofonie, in der es immer um Geldverdienen geht, seine eigene Stimme nicht mehr hört. Und wer aus der Reihe tanzt, endet wie eine Sternschnuppe: schnell verglüht und vergessen von einer zerstreuten Welt.

      Faszinierenderweise übersehen viele Insider eines solchen Netzes, besonders wenn sie nur lose damit verbunden sind, dass da ein Netz ist, das sie verstärken, weil sie nur relativ wenig Kontakt damit haben. In ähnlicher Weise sind die Insider im Herzen des Netzes oft viel zu tief darin versunken, um zu bemerken, dass es noch eine Welt draußen gibt. Selten ist jemand so scharfsichtig, dass er erkennt, wenn er in einer Black Box lebt und arbeitet. Larry Summers ist ein solcher seltener Insider. Seine Frage war tatsächlich ein Appell, den Verlockungen der Außenwelt zu widerstehen. Seiner Haltung lag die Überzeugung zugrunde, dass die Welt nur aus dem Inneren der Black Box zum Besseren verändert werden kann.

      Damit lag er meiner Meinung nach gründlich falsch.

      Theseus vor dem Labyrinth

      Vor 2008, als die Super Black Boxes noch reibungslos funktionierten, lebten wir in einer scheinbar ausbalancierten und sich stets regenerierenden Welt. Damals feierte der britische Schatzkanzler Gordon Brown das Ende des wirtschaftlichen Auf und Ab, und der künftige Vorsitzende der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, pries die »große Mäßigung«. Natürlich war das eine Illusion, erzeugt von Super Black Boxes, deren Funktionsweise niemand verstand, vor allem nicht die Insider, die damit hantierten. Und dann stürzte 2008 alles krachend zusammen und bescherte unserer Generation eine Weltwirtschaftskrise wie 1929, vom Zusammenbruch des kleinen Griechenland ganz zu schweigen.

      Ich bin der Ansicht, dass die Finanzkrise des Jahres 2008, die uns heute, fast ein Jahrzehnt später, immer noch beschäftigt, mit dem endgültigen Zusammenbruch der Super Black Boxes der Welt zusammenhängt – den Netzwerken der Macht, den Verschwörungen ohne Verschwörer, die unser Leben bestimmen. Summers’ blindes Vertrauen, dass die Mittel zur Überwindung der Krise aus eben diesen kaputten Super Black Boxes kommen würden, dank normaler Operationen von Insidern, erschien mir schon damals rührend naiv. Vielleicht ist das nicht überraschend. Schließlich hatte ich drei Jahre zuvor für Danaes Ausstellungskatalog geschrieben, »diese Super Black Boxes zu öffnen ist inzwischen eine Vorbedingung für das Überleben von Anstand, von ganzen Gruppen unserer Mitmenschen, sogar für das Überleben unseres Planeten. Einfach ausgedrückt: Uns sind die Entschuldigungen ausgegangen. Deshalb ist es Zeit, die Black Boxes zu öffnen!« Aber was bedeutet das konkret?

      Erstens müssen wir bereit sein anzuerkennen, dass wir, dass jeder von uns ein Knoten in dem Netz ist, unwissentlich de facto ein Verschwörer. Zweitens, und das ist das Geniale an Wikileaks, wenn wir in das Netzwerk hineingelangen können wie Theseus in das Labyrinth und den Informationsfluss unterbrechen, wenn wir die Köpfe von möglichst vielen in dem Netz mit der Angst erfüllen können, dass unkontrollierbar Information abfließt, dann werden die nicht rechenschaftspflichtigen, schlecht funktionierenden Netze der Macht unter ihrem eigenen Gewicht und ihrer Bedeutungslosigkeit zusammenbrechen. Drittens müssen wir der Versuchung widerstehen, alte geschlossene Netzwerke durch neue zu ersetzen.

      Als ich drei Jahre später die Bar in Washington betrat, war ich abgeklärter. Es ging mir nicht in erster Linie darum, Informationen an Outsider weiterzugeben, sondern alles Erforderliche zu tun, um Griechenland aus dem Schuldgefängnis herauszuholen. Wenn das bedeutete, mich so zu verhalten, als wäre ich ein Insider, dann musste es eben sein. Aber sobald der Preis für den Zugang zum Kreis der Insider darin bestehen würde, dass ich Griechenlands dauerhaften Verbleib im Schuldgefängnis akzeptierte, würde ich gehen. Nach meiner Überzeugung ist es eine Bedingung für die Würde, auf der das Glück des griechischen Volks beruht, dass man einen Ariadnefaden in das Labyrinth der Insider legt und bereit ist, zum richtigen Zeitpunkt dem Faden bis zum Ausgang zu folgen.

      Am Tag nach meinem Gespräch mit Larry Summers traf ich mich mit Jack Lew, dem designierten amerikanischen Finanzminister. Der Mitarbeiter, der mich danach zum Ausgang des Ministeriums führte, verblüffte mich mit einer beiläufigen Bemerkung: »Herr Minister, ich möchte Sie warnen, dass Sie binnen einer Woche eine Rufmordkampagne erleben werden, die von Brüssel ausgeht.« Larrys aufmunternde Worte, wie wichtig es sei, nichts nach außen dringen zu lassen, und seine Warnung, dass wir dabei waren, den Medienkrieg zu verlieren, bekamen auf einmal eine ganz neue Bedeutung.

      Natürlich war das alles keine große Überraschung. Insider, so hatte ich 2012 geschrieben, reagieren aggressiv auf jeden, der es wagt, Outsider einen Blick in ihre Super Black Boxes werfen zu lassen: »Nichts davon wird leicht sein. Die Netzwerke werden heftig reagieren, so wie sie es bereits tun. Sie werden noch autoritärer werden, noch abgeschotteter, noch fragmentierter. Sie werden unglaublich auf ihre ›Sicherheit‹ und ihr Informationsmonopol bedacht sein und dem gemeinen Volk noch weniger vertrauen.«2

      Die folgenden Kapitel erzählen von ihrer gewaltsamen Reaktion auf meine hartnäckige Weigerung, die Befreiung Griechenlands gegen einen privilegierten Platz in einer ihrer Black Boxes einzutauschen.

      Hier unterschreiben!

      Es lief alles auf einen kleinen Kringel auf einem Blatt Papier hinaus – ob ich bereit war, auf der gepunkteten Linie einer neuen Rettungsvereinbarung zu unterschreiben, die Griechenland tiefer in den labyrinthischen Schuldenkerker stoßen würde.

      Meine Unterschrift war deshalb so wichtig, weil kurioserweise nicht Präsidenten oder Ministerpräsidenten gefallener Länder solche Vereinbarungen über Rettungskredite mit dem IWF oder der Europäischen Union unterzeichnen. Dieses vergiftete Privileg fällt dem unglückseligen Finanzminister zu. Deshalb war es für Griechenlands Gläubiger entscheidend wichtig, mich gefügig zu machen, mich zu kooptieren oder, falls das nicht gelingen sollte, mich zu zerschmettern und durch einen willigeren Nachfolger zu ersetzen. Hätte ich unterschrieben, wäre ein weiterer Outsider zum Insider geworden, und alle hätten mich mit Lob überschüttet. Die Flut von Schimpfwörtern, die die internationale Presse gerade zum passenden Zeitpunkt nur wenig mehr als eine Woche nach dem Besuch in Washington über mich ergoss, genau wie der Mitarbeiter des US-Finanzministeriums es mir angekündigt hatte, hätte es nicht gegeben. Ich wäre »verantwortungsbewusst« gewesen, ein »vertrauenswürdiger Partner«, »bekehrter Rebell«, der die Interessen seines Landes über seinen »Narzissmus« stellte.

      Nach Larry Summers’ Gesichtsausdruck zu urteilen, als wir das Hotel verließen und in den strömenden Regen traten, war ihm das klar. Er wusste, dass den »Europäern« nicht an einer ehrenhaften Vereinbarung mit mir oder meiner Regierung gelegen war. Er wusste, dass man mich letzten Endes massiv unter Druck setzen würde, eine Kapitulationsurkunde zu unterschreiben als Preis dafür, dass ich ein Insider wurde, dem man vertrauen konnte. Er wusste, dass ich dazu nicht bereit war. Und er fand das schade, zumindest für mich.

      Ich für meinen Teil wusste, dass er mir helfen wollte, zu einer praktikablen Vereinbarung zu kommen. Ich wusste auch, dass er tun würde, was er konnte, um uns zu helfen, sofern es nicht gegen die goldene Insiderregel verstieß: Wende dich nie gegen andere Insider und sprich nie zu Outsidern über das, was Insider tun oder sagen. Nicht sicher war ich mir, ob er verstehen konnte, warum ich auf gar keinen Fall eine nicht praktikable, unehrenhafte Vereinbarung über einen weiteren Rettungskredit unterschreiben würde. Es hätte zu lange gedauert, meine Gründe zu erklären,

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