Grundwissen Psychisch Kranke. Группа авторов

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tritt bei Menschen auf, die längere Zeit totalitärer Kontrolle und Unterwerfung ausgesetzt waren. Dazu gehören Konzentrationslagerhaft, Kriegsgefangenschaft, Verfolgung und Folter, Großkatastrophen, aber auch Opfer kultischreligiöser Sekten. Für viele Autoren gehören dazu auch manche Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch und -misshandIung.80

      Bei betreffenden Personen ist das Vertrauen in die Welt zutiefst erschüttert: Andere Menschen werden grundsätzlich als bedrohlich erlebt (selbst Freunde und Familie). Es gibt für sie keine Berechenbarkeit mehr, keine Gerechtigkeit, kein Gefühl, selbst etwas bewirken zu können. Der Betroffene selbst zieht sich zurück, schwankt zwischen Leeregefühlen, Hoffnungslosigkeit, Anspannung, Reizbarkeit und impulsivem Risikoverhalten.

      Gegenüber den Tätern bestehen dauernde Rachegedanken oder im Gegenteil eine paradoxe Dankbarkeit mit Übernahme des Wertesystems der Täter.81 Auf einer symptomatischen Ebene kommt es zu Depressionen, Angststörungen, Suchtverhalten, chronischen Schmerzsyndromen, Gedächtnisstörungen, Abspaltung von eigenen Gefühlen oder Empfindungen (Dissoziation oder Depersonalisation).

       Beispiel

       Herr L. ist ein junger Unteroffizier, der zumindest Teilaspekte einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung aufweist. Vordergründig leidet er unter schweren chronisch wiederkehrenden Rückenschmerzen. Die medizinischen Befunde sind unauffällig. Dennoch kommt es zu erheblichen Schmerzepisoden bis hin zur schmerzbedingten Bewegungsunfähigkeit und Bettlägerigkeit.

       In der diagnostischen Phase der psychotherapeutischen Behandlung wird schnell klar, dass Herr L. ein weiteres Problem hat: Er kenne keine Gefühle. Er wisse nicht, was seine Freundin meine, wenn sie ihre Liebe zu ihm bekräftige. Er wisse nicht, wie sich Liebe anfühlt, es sei wohl so etwas wie Loyalität. Er kenne auch keine Angst. Bis heute wundere er sich über den Blick seiner Kameraden vor einem Fallschirmsprung. Noch nie in seinem Leben habe er geweint usw.

       Zunächst will er nicht aus seiner Kindheit berichten. Das meiste habe er „vergessen“. Erst nach und nach fallen ihm wieder Details ein. Er ist der einzige Sohn einer alleinerziehenden Mutter und wurde bereits in frühester Kindheit stark vernachlässigt und misshandelt. Die Mutter hat ihn (wohl bereits im Alter von 3 - 4 Jahren) oft tagelang ohne ausreichende Nahrungsversorgung in der Wohnung eingesperrt und alleine gelassen. Wenn er „unartig“ war, hat sie sadistische Rituale inszeniert: Das Kind wurde u. a. gezwungen, einen „vergifteten“ Brei zu essen und zum Sterben in sein Zimmer zu gehen …

       Als Herr L. eine dieser Szenen mit dem Therapeuten en detail durchgeht, kommt es zu einer heftigen emotionalen Reaktion; er weint über Stunden lang.

       Danach sind die Rückenschmerzen anhaltend verschwunden – erstmals seit Jahren. Die therapeutische Arbeit hat an dieser Stelle allerdings erst begonnen …

       4. Therapie der Persönlichkeitsstörungen

      Die Therapie der Persönlichkeitsstörungen kann hier nur kurz umrissen werden. Selbst für erfahrene Behandler ist die Therapie von Persönlichkeitsstörungen eine besondere Herausforderung, die viel Erfahrung und häufig genug auch spezielle Qualifikationen erfordert.

      Erstens geht es in den Behandlungen darum, überhaupt eine Veränderungs- und Therapiemotivation herzustellen. Persönlichkeitsgestörte Menschen sehen sich und ihr Verhalten meistens nicht als Teil jener Probleme, die ihnen im Leben immer wieder begegnen (sogenannte „Ich-Syntonie” des Verhaltens). Oft kommen sie erst auf Druck anderer, des Lebenspartners oder des Arbeitgebers, oder im Rahmen einer nicht mehr abzuweisenden schweren Krise.

      Da die Kernproblematik der Beziehungsstörung gerade auch in der Beziehung zum Therapeuten virulent wird, muss immer wieder mit therapiegefährdendem Verhalten gerechnet werden (mangelnde oder scheinbare Mitarbeit, Tendenz zur Manipulation des Therapeuten, Nichteinhaltung von Regeln, Übergriffe ins Private des Therapeuten, vor allem aber Selbstgefährdung, impulsives Verhalten und Suizidalität)82. Schließlich „testen” die Patienten ihre Therapeuten, indem sie mehr oder weniger bewusst in der Therapiebeziehung ihre problematischen Muster entfalten.83

      Zweitens geht es darum, den Betroffenen bei der Bewältigung der in die Behandlung führenden Symptome (Angst, Depression, Sucht) zu helfen, unter Berücksichtigung ihrer sozialen Problemlagen (Isolation, finanzielle Probleme, familiäre und Erziehungsprobleme, Delinquenz). Hier stellt vor allem die Verhaltenstherapie ein effektives, wissenschaftlich gesichertes Repertoire an Techniken zur Verfügung. In besonderen Fällen (etwa schwere Depressivität, Angsterkrankungen mit starken Meidetendenzen oder psychotische Episoden) muss auch psychopharmakologisch, manchmal auch stationär, behandelt werden.

      Drittens geht es natürlich darum, die Patienten in ihrem eigentlichen Betroffensein von persönlichkeitsstörungsbedingten Defiziten zu helfen. Da die rigiden Verhaltensmuster in der Regel zeitlebens eingeschliffen sind und kaum Verhaltensalternativen zur Verfügung stehen, müssen hier langfristige Therapieverfahren zur Anwendung kommen, die entweder tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch orientiert sind84.

      Peter Fiedler85 hat ein sehr bekanntes und weithin verwendetes integratives Therapiemodell vorgestellt, nach dem persönlichkeitsgestörte Menschen hinsichtlich ihrer zentralen Bedürfnisse therapiert werden, die entweder in Richtung mehr Selbstkontrolle/Stabilität (bei den dissozialen, histrionischen oder Borderline-Patienten) oder aber in Richtung mehr Selbstaktualisierung/Spontaneität (wie bei zwanghaften oder abhängigen Persönlichkeiten) gehen müssen. Schließlich brauchen nach diesem Modell einige mehr Autonomie/Unabhängigkeit (die selbstunsicheren und abhängigen Patienten), andere wiederum mehr prosoziale Kompetenzen, Bindung und soziale Geborgenheit (schizoide oder paranoide Persönlichkeitsstörungen).

      Die Therapieziele im Umgang mit persönlichkeitsgestörten Menschen sind individuell zu erarbeiten und zu formulieren. Meistens geht es nicht unbedingt darum, tiefgreifende Veränderungen der Persönlichkeit (Modifikationen)86 zu bewirken, sondern eher darum, einzelne Defizite zu kompensieren (z. B. die Emotionsregulation zu verbessern, selbstsicheres Verhalten zu üben, Impulskontrolle zu verbessern, Frustration auszuhalten und eigene Bedürfnisse aufzuschieben), oder auch darum, die individuelle Wesensart sozialverträglich einzudämmen, indem man sich punktuell zurückhält oder passende soziale Nischen sucht (sogenannte Schema-Camouflage). Schließlich ist es manchmal sogar möglich, seine problematische Persönlichkeitsdisposition gewinnbringend zu nutzen, z. B. indem man einen geeigneten Beruf ergreift (Utilisation).

       Schlussbemerkungen – Hinweise für die polizeiliche Praxis

      Zum Schluss noch einige allgemeine Anmerkungen zum Umgang mit Persönlichkeitsstörungen im beruflichen Alltag.

      Der Umgang mit persönlichkeitsgestörten Menschen ist mitunter eine echte Herausforderung: sei es der Gerechtigkeitsfanatiker, der seine Grundstücksgrenze misstrauisch beäugt und die Nachbarn ein ums andere Mal anzeigt; sei es die abhängige Ehefrau, die umfängliche amtliche Hilfemaßnahmen konterkariert, indem sie zu ihrem prügelnden Ehemann zurückkehrt; sei es der impulsive Verkehrsrowdy, der noch dazu stets „unschuldig” in Schlägereien gerät; sei es die junge Borderlinerin, die zum x-ten Mal im Drogenrausch und mit zerschnittenen Armen aufgegriffen wird; oder sei es die histrionische Frau, die so oft aufwändige Einsätze von Rettungskräften provoziert, weil sie ihren Mann mit Suiziddrohungen beeinflussen will. Hinzu gesellen sich Kränkungen, Beleidigungen oder distanzloses Verhalten. Ist der Polizist in der Lage, Merkmale einer Persönlichkeitsstörung zu identifizieren, dann kann er davon ausgehen, dass andere als nur situative Faktoren das unangemessene Verhalten des Gegenübers mitbedingen.

      Eine sachlich-professionelle Reaktion wird dadurch möglich,

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