Essentielles Sein. A.H. Almaas
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Das ist der Augenblick des großen Verrats, wenn wir uns selbst aufgeben. Wie der Mensch in der Geschichte „Der Königssohn“ fangen wir an, wie das einfache Volk zu leben. Wir ziehen die Kleider an, und die Kleider sind aus Falschheit gemacht. Diese Unechtheit ist die Hülse, die wir fühlen. Sie ist das Gewebe, das Material der Hülse. Was wirklich und echt in uns ist, wurde weggedrängt, und unser ganzes Leben lang fühlen wir nun die Hülse. Wenn wir sie durchdringen, fühlen wir die Leere. Diese mißliche Lage ist etwas sehr Trauriges, aber sie ist universell. Jeder gerät da hinein, der sich mit dem Egogefühl des Selbst, mit der gewöhnlichen Persönlichkeit identifiziert. Man ist entweder man selbst, als essentielles Wesen oder Sein, oder man ist ein Ego-Selbst, das sich mit der Zeit entwickelt, und das ist eine leere Hülse. Wenn wir uns mit dieser Hülse konfrontieren, dann sind wir an der tiefsten Stelle berührt. Wir sind in tiefer Not, weil das, was das Leben sinnvoll machen sollte, nicht da ist. Man empfindet dann vielleicht: „Ich möchte total hier sein, nichts anderes ist genug. Nichts hat Bedeutung, auch Lust und essentielle Erfahrung nicht, wenn ich nicht hier bin.“ Aber wir wollen uns nicht damit konfrontieren, weil wir jetzt nicht das Verlorensein und die Entfremdung fühlen wollen, die wir als Kind gefühlt haben.“
Das Versagen eurer Eltern, eure wirkliche Natur zu sehen, bedeutet nicht, daß sie euch nicht lieben. Auch wenn sie euch lieben, nett zu euch sind, für euch sorgen und sogar glauben, daß ihr ganz wunderbar seid, ist das nicht dasselbe, wie wenn sie wirklich sähen, wer ihr seid. Auch Menschen, die gute Eltern haben, werden doch diese Hülse aus Falschheit entwickeln. Das was ihr am ursprünglichsten seid, euer Kern, euer Funke, wurde nicht gesehen; es wurde nicht erkannt, ihm wurde nicht geantwortet und oft wurde es mit Mißbilligung behandelt und abgelehnt. Wenn eure Eltern nicht ihr eigenes Zentrum haben, ihr eigenes tiefes Gefühl ihres Selbst, dann können sie euch nicht sehen. Sie können in euch nur sehen, was sie in sich selbst sehen, gleich wie sehr sie das Beste für euch wollen und euch lieben. Auch wenn sie einen Blick auf euer wirkliches Zentrum erhaschen würden, müßten sie sich dieser Wahrnehmung verschließen, weil sie sie ihren eigenen Mangel spüren lassen würde. Wir könnten dieses Phänomen der Identifikation mit der Hülse also eine soziale Krankheit nennen, die durch die Jahrhunderte weitergegeben wurde.
Wenn ihr euch selbst kennt, wenn ihr eure wahre Identität verwirklicht, dann kommt der Sinn des Lebens nicht in Form einer begrifflichen Antwort auf eine Frage zu euch. Er ist keine Antwort in eurem Verstand. Ihr seid die Antwort. Die Präsenz, Fülle und innerliche Kostbarkeit werden direkt und nicht in Beziehung zu irgendetwas anderem erfahren. Es ist vollkommene Autonomie; nur die Erfahrung selbst kann einen Geschmack dieser Befriedigung vermitteln. Diese Erfahrung der Selbstverwirklichung ist insofern die Antwort, als sie das Getriebensein beendet. Sie ist wahre Abwesenheit von Suchen.
Wenn wir unsere wahre Identität untersuchen wollen, müssen wir uns erlauben, darauf zu verzichten, unsere verschiedenen Rollen, Aktivitäten, Ideale und Bilder zum Ausfüllen unseres Gefühls von Leere zu benutzen. Dann können wir uns ansehen, ob irgendetwas davon wirklich unser tiefes Bedürfnis nach Sinn befriedigt. Wenn ihr euch beobachtet, werdet ihr wahrscheinlich entdecken, daß ihr von einer Sache nach der anderen enttäuscht worden seid. Ihr werdet sehen, daß ihr in eurer Karriere, in eurer Beziehung mit eurem Geliebten oder Ehepartner, von eurem Verstand (mind), von allem enttäuscht seid. Ihr seid enttäuscht, weil sie nicht leisten, was ihr euch von ihnen erhofft habt. Von jedem Bereich eures Lebens, der euch enttäuscht, habt ihr das Falsche erwartet. Es gibt eine Enttäuschung nach der anderen, bis ihr euch erlaubt, in den großen Abgrund, diese große Spalte zu fallen. Ihr müßt euch erlauben, in dieser gewaltigen Leere zu existieren. Wir müssen durch diese Nichtexistenz hindurchgehen. Es gibt keine andere Möglichkeit.
Um vereint (unified) zu werden, müssen wir durch die Spalte in uns hindurchgehen, und die ist dasselbe wie der Abgrund. Wir können nicht über ihn hinweggehen oder ihn vermeiden. Wir müssen die Erfahrung des Abgrunds zulassen. Wir müssen uns erlauben, die Bedeutungslosigkeit ganz und gar zu fühlen, ohne uns dagegen zu wehren.
Wenn ihr das Gefühl, unecht zu sein, erkennt, ohne zu versuchen, es zu ändern, und wenn ihr euch nicht dagegen wehrt, dann werdet ihr vollkommenes Nichtssein (nothingness), vollkommene Wertlosigkeit, vollkommenen Mangel an Unterstützung, vollkommene Hilflosigkeit erfahren. Es ist nicht so, daß unser Prozeß das alles hervorbringt. Nein, wir müssen da durch, weil es da ist. Dieses Loch ist da in unserer Tiefe, und wir weichen ihm ständig aus. Wenn wir uns erlauben, es zu erfahren, könnten wir erkennen, daß Leere gar nicht so schlimm ist, nur friedvolle Ruhe, und daß der Abgrund nichts ist als grenzenloser Frieden. Er ist eine Leere und er hat kein Selbstsein (selfhood), aber er ist nicht so furchterregend, wie wir uns vorstellen. Ein Grund, weshalb wir so voller Angst sind, ist, daß man ihn als eine Art Tod erlebt. Auch wenn ihr schreckliche Angst vor dem Tod habt, bevor er eintritt, werdet ihr dann, wenn ihr den Tod erlebt, sehen, daß er ein Ort der Ruhe, ein Übergang ist.
Aber wir konfrontieren uns nur mit ihm, wenn wir müssen; niemand stellt sich diesem Thema zu seinem Vergnügen. Niemand erforscht den Tod, nur weil er ein bißchen neugierig ist. Nein, wir müssen uns diesem Abgrund aus schmerzlicher Unausweichlichkeit stellen, wenn wir wissen, daß das Leben die ganze Mühe nicht lohnt. Das ist der Moment, wo ihr euch total der Erfahrung überlaßt und um den Sinn des Todes wißt. Und wenn ihr um den Sinn des Todes wißt, dann wißt ihr um den Sinn des Lebens. Dieser Tod ist eigentlich der Tod, das Ende des Stopfens, über den wir gesprochen haben. Er ist die Abwesenheit aller Versuche, das Loch zu füllen, aller Phantasien davon, was es wirklich für euch bringen wird. Wenn ihr dieses Loslassen geschehen laßt, dann kommt es zum Anfang einer Wiedergeburt. Ihr fangt an zu entdecken, wer ihr im Innersten seid – eure Bedeutung und den Sinn eures Lebens. Existenz und Kostbarkeit haben jetzt keinerlei Ursache. Wir sind die ursachelose Wirklichkeit, die wir selbst erfahren müssen. Indem wir nur wir selbst sind, hat das Leben Sinn. Ihr werdet der Sinn sein. Eure wahre Kostbarkeit ist der Sinn.
Wenn ihr durch die Leere geht, dann ist es nicht so, daß ihr fühlt: „Oh, jetzt habe ich ein wahres Selbst.“ Die Auffassung, etwas zu haben, ist die Perspektive des abgetrennten Selbst, der Persönlichkeit. Es ist also nicht so, daß ihr ein kleines brillantes Wesen (entity) seid und Liebe, Mitgefühl, Schönheit habt. Nein, zu dieser ganzen Verschiebung kommt es, weil die wahre Identität die Identität mit der gesamten Essenz ist, mit der gesamten Wirklichkeit. Genau dieser Augenblick, ohne Beziehung zu Vergangenheit oder Zukunft, ist die Mitte, der Kern; und von da aus könnt ihr sehen, daß ihr nichts als Gnade seid. Nicht nur hat das Leben einen Sinn, sondern es ist eine Gnade, als ob der Himmel sich öffnete und Gnade in euch gösse.
Ihr werdet sehen, daß eure Natur selbst diese Gnade ist, reine ursprungslose Kostbarkeit, die ihr nicht seht, wenn ihr schaut, sondern indem ihr seid. Es gibt kein Gefühl von Getrenntheit zwischen dem Schauen und dem Sein – sie sind ein Akt. Wenn ihr ihr selbst seid, dann heißt das, daß ihr Essenz seid, ihr seid Sein, ihr seid die Bedeutung, ihr seid der Sinn.
Wir haben gesehen, daß wir immer nach der Kostbarkeit suchen, die verlorenging, und denken, wir könnten sie von außen bekommen. Sie ist aber das Innerste. Sie ist so privat, so tief, so innerlich, daß es