Essentielles Sein. A.H. Almaas
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Deshalb nehmen sich manche Menschen, die sehr erfolgreich, berühmt oder reich waren, das Leben, wenn ihnen das entgleitet – als wären Geld oder Schönheit oder Berühmtheit das Leben gewesen. Es ist weg; welchen Sinn hat es dann noch zu leben? Manche Menschen bringen sich um oder sterben bald, nachdem ein Ehepartner gestorben ist, als wäre der andere der Träger des ganzen Lebenssinnes gewesen. Wenn das zentrale Ding, das einem den Antrieb zu leben gibt, nicht mehr da ist, ob das eine Beziehung, eine besondere Fertigkeit oder ein Ideal ist, dann bleibt nur eine große Leere. Viele Menschen sind davon überrascht, was für eine große Bedeutung diese Dinge für sie haben, und hätten bis zu diesem Verlust geleugnet, daß dieser Mensch oder diese Leistung es war, was ihrem Leben Sinn gegeben hat. Aber im Moment des Verlustes wird es offenbar. Sogar wenn Menschen einen Beruf aufgeben, von dem sie gesagt hätten, daß er für sie keinen anderen Sinn als das Geldverdienen hatte, fühlen sie sich oft durch den Verlust der Aktivität oder der Rolle wie zerstört. Was eigentlich verlorenging, ist das Identitätsgefühl. Das, was sie ausgefüllt hat, ist weggenommen worden; deshalb haben sie es nun mit dem Bedürfnis zu tun, dem Gefühl von sinnloser Leere zu entkommen.
Die Leere war die ganze Zeit über da, aber es steckte ein Stopfen darin. Dieser Stopfen war die Karriere oder die Beziehung oder ein Ideal oder Philosophie oder Sex, was auch immer dieser Mensch als stimulierendes oder ablenkendes Mittel benutzte. Unsere ganze Gesellschaft billigt nicht nur den Ersatz inneren Sinnes durch äußere Faktoren, sondern idealisiert diesen sogar. Mit wenigen Ausnahmen, versucht die Gesellschaft als ganze, mit der Suche nach Sinn auf diese Weise umzugehen. Sogar unsere Liebe, unsere Intelligenz und unser Körper vermitteln uns ein Gefühl von Identität.
Setzen wir uns mit diesen Annahmen auseinander, dann kann es gut sein, daß wir uns fragen: „Wenn ich nichts von alledem tue, wenn ich nicht will, daß mein Wert auf so etwas beruht – was bleibt dann übrig?“ Wenn ich ein Gefühl von Sinn aus den intensiven Empfindungen und aus den Identitäten in meinem Leben beziehe, dann liegt der Sinn nicht im Leben selbst. Es geht dann immer noch um Ursache und Wirkung. Was, wenn ich sagte: „Moment mal, ich will nicht, daß die Bedeutung meines Lebens davon abhängt, was ich tue, was Leute von mir denken, nicht einmal davon, was ich selbst von mir denke, und auch nicht von einer Fähigkeit, die ich habe.“ Was gibt es sonst? Woher kommt die Bedeutung dann?
Die Selbsttäuschung, zu der wir fähig sind, selbst indem wir diese Frage stellen, ist erstaunlich. Sogar eure Suche nach der Antwort könnt ihr benutzen, um euch ein Gefühl von Sinn zu geben. Ein Mensch kann in seinem Leben damit beschäftigt sein, nach Sinn zu suchen, und dabei kann diese Suche nur die Funktion einer weiteren Identität haben, die nicht realer oder mehr im Inneren fundiert ist als irgendeine andere Rolle. Die Welt ist voller Sucher, deren Identität in die Suche nach Weisheit, Wahrheit oder Erleuchtung eingekleidet ist. Das ist im Grunde dasselbe wie das Streben nach Reichtum, Schönheit, Berühmtheit, Liebe oder Anerkennung. Der Zweck all dieser Identifikationen ist es, Leere zu füllen. Aber wenn ihr die Situation mit vollkommener Aufrichtigkeit betrachten könntet, wenn ihr einfach nur sehen könntet, was wirklich da ist, ohne die Fassaden, dann würdet ihr euch eine kleine Chance geben, wahren inneren Sinn zu finden.
Es ist nicht leicht, sich selbst klar und aufrichtig anzuschauen. Die meisten von uns wissen nicht einmal, was daran schwierig ist. Wir merken nur, daß unser Verstand (mind) in alle Richtungen ausweicht, um das zu vermeiden. Ich mache mit meinem Freund Schluß, und plötzlich esse ich mehr als sonst. Wenn ich nicht esse, fange ich an, an Bildern weiterzumalen, die ich in zehn Jahren nicht angerührt habe. Oder ich bin gerade geschieden oder pensioniert, also gehe ich für ein Jahr auf reisen, um zu schauen, was es in der Welt so gibt. Das ist vielleicht eine tolle Idee, aber was motiviert euch? Unser Geist (mind) ist sehr geschickt im Vermeiden des Gefühls, das am Ende von irgendetwas aufkommt, weil man davor zurückschreckt, keinen unterstützenden Spiegel zu haben, der uns Sinn gibt. Bloß zu existieren, wie wir sind, löst eine große Angst vor der Leere aus. Da kommt meist die Angst auf, wir könnten nicht wirklich eine Essenz, eine Identität haben. Es kann sein, daß wir glauben, die Leere sei alles, was da ist. Das wird vielleicht von frühkindlichen Erfahrungen verstärkt, zum Beispiel der Panik davor, anders als andere, anders als unsere Eltern zu sein, was eine Art Verunsicherung im Selbstgefühl (self-consciousness) erzeugt.
Kleine Kinder sind vollkommen versunken, wenn sie spielen. Sie versuchen nicht, etwas zu sein oder zu leisten. Sie sind vielleicht glücklich und zufrieden mit dem Augenblick oder weinen aus irgendeinem Grund, aber sie sind vollkommen im Hier und Jetzt. Dann beginnt das Kind Schritt für Schritt, Dinge zu tun, um eine Reaktion oder Aufmerksamkeit von jemandem zu bekommen, oder um „gut“ zu sein oder um Bestätigung zu bekommen. Das Kind fängt an, unecht zu werden, und nach einer gewissen Zeit ist seine Unschuld dahin. Das ist leicht zu beobachten, wenn man mit einem Kind zusammen ist und miterlebt, wie es heranwächst. Wir haben vergessen, daß wir auch so sind, unecht, weil wir gelernt haben, raffiniert zu sein und es zu verbergen, auch vor uns selbst. Wenn das Kind in den frühen Jahren etwas zu euch sagte, was eine Manipulation seiner wirklichen Erfahrung oder Absicht war, so war das oft ganz offensichtlich. Kinder sind auf frühen Entwicklungsstufen nicht sehr raffiniert. Doch wenn sie heranwachsen, werden sie raffinierter und sind stärker gegen ihre Impulse und die Gefühle, die sie im Moment haben, abgeschottet. Schließlich siegt die übliche Identifikation mit der Persönlichkeit, und wir glauben, daß alles, was wir tun, echt ist. Wir haben es so weit gebracht, an unsere eigenen Vorspiegelungen zu glauben.
Am Anfang scheint ein Kind ein Gefühl von Bedeutsamkeit zu besitzen. Das ist nicht eine mentale oder abgeleitete Bedeutsamkeit. Die Identität des Kindes ist nicht von etwas Äußerem abhängig. Kinder sind echt, ehrlich mit sich selbst. Sie besitzen eine Verbundenheit, ein Einssein (oneness), und nicht Disharmonie. Das Kind ist ein Wesen (entity) und antwortet, reagiert und verhält sich als ein Ganzes, nicht mal als dieser Teil und dann als jener Teil. Das passiert später. Es gibt nicht einmal eine Unterscheidung zwischen Essenz und Persönlichkeit. Das Kind ist einfach ein einziges Seiendsein (one beingness). Wenn das Kind älter wird, geht diese Einheit der Erfahrung verloren.
Was verursacht den Übergang? Etwas, das da war, ist verlorengegangen, und etwas, das unecht ist, hat seinen Platz eingenommen. Es ist das, was wir „falsche Persönlichkeit“ nennen. Wenn ihr sehr tief in euch hineingeht, werdet ihr sehen, daß das, was ihr für euch selbst haltet, nicht wirklich ist. Eine Weise, das zu erfahren, ist das Gefühl, eine leere Hülse mit nichts von Bedeutung darin zu sein. Man kann die Ego-Identität, den Kern der Persönlichkeit mit seinem Selbstgefühl, unmittelbar als eine trockene, leere Hülle empfinden. Wenn ihr diese Hülse der Persönlichkeit durchschaut und der Leere darin gewahr werdet, dann werdet ihr des Gefühls von Sinnlosigkeit, Wertlosigkeit und Bedeutungslosigkeit gewahr.
Gewöhnlich fühlen wir diese Leere eher vage als direkt. Aber wenn wir uns in der Tiefe mit dieser Situation auseinandersetzen, fühlen wir uns wie eine Art Eierschale mit nichts darin. Wenn Menschen diese leere Schale wahrnehmen, haben sie oft das Gefühl: „Wozu soll ich eigentlich leben?“ Da ist nichts, keine Bedeutung. Alles in der Welt wird sinnlos. Nichts ist von Interesse. Schnee fällt, und da ist niemand, sich daran zu freuen. In so einem Zustand von Sinnlosigkeit weiß ich nicht einmal, wie es ist, etwas wertzuschätzen. Ich bin nicht da. Wie kann eine als Mangel erfahrene Leere sich an der Schönheit von fallendem Schnee freuen?
Wenn wir dagegen ein Kind beobachten, sehen wir, daß die Gefühle von Fülle, von innewohnender Lebendigkeit, von Freude am Sein nicht abgeleitet sind – das heißt, sie sind nicht das Ergebnis von etwas anderem. Man selbst zu sein ist allein schon wertvoll; man ist nicht erst wertvoll, weil man etwas tut oder nicht tut. Es ist am Anfang da, geht aber allmählich verloren, und die Falschheit tritt einfach an seine Stelle.
Man verliert es, aber nicht einfach so, nicht leicht.