Schwarz wird großgeschrieben. Группа авторов

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vorher schon Tausende, aber das war dann einfach der eine zu viel. Dass sich dann etwas bewegt hat, liegt daran, dass man vorher schon viel gemacht hat. Deshalb würde ich euch immer ermutigen dranzubleiben – und irgendwann macht es auch gesamtgesellschaftlich Klick.

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ENTSCHLÜSSELN

      SCHWARZRUND

       MEIN ZWEITES SCHWARZ

      UNVERSCHÄMT AFROLATEINAMERIKANISCH

      Das erste Schwarz, welches ich mir aneignete, lernte ich in afrodeutschen Kontexten kennen. Doch in diesem Text möchte ich über das Schwarz sprechen, das ich mir als zweiten widerständigen Akt aneignete. Dieses Schwarz ist schwer hinzunehmen für die afrodeutsche Community, kaum zu akzeptieren in Diskursen, die sich stets auf Schwarzsein aus den Kämpfen der USA beziehen.

       NEGRX

      »Soy negra, y latina« singt die Stilikone Amara la Negra aus meiner Heimat, der Dominikanischen Republik. Dominikaner*innen identifizieren sich selten mit ihren afrikanischen Vorfahr*innen, black denial nannte das Frances Robles. Feministische Schwarze Forscherinnen wie Kimberly E. Simmons und Ginette E. B. Candelarío sehen das anders – es ist kompliziert, so viel steht fest. Doch während die dominikanische Girlgroup Las Chicas del Can 1988 mit begeisterten dark skinned Background-Sängerinnen und für ein Publikum aller shades noch davon gesungen haben, dass der Schwarze Mann gefährlich und abzulehnen sei (El Negro no Puede)9, reclaimed 2013 Amara la Negra das Wort »Negra« als machtvolle, stolze Selbstbezeichnung.10

      Mein zweites Schwarz ist aber für viele Schwarze Menschen aus anglophonen oder deutschen Bewegungen zu nah am N-Wort dran. Der Begriff »afro-latinx«, der sich immer größerer Beliebtheit in der US-amerikanischen Diaspora erfreut, zollt dem Tribut. Eine bequeme Variante für eine Welt, in der Englisch über allem steht. Währenddessen feiert die afrodeutsche Community den Beschluss, jetzt Schwarz, nicht mehr afrodeutsch zu sein. Mein negrx weiterhin ein Wort aus fünf stillen Buchstaben.

       EHER SICHTBAR, STATT PRIVILEGIERTER

      Die englische Sprache ist aber nicht weniger kolonial, siehe: die letzten 500 Jahre Geschichte. Die Stimmen Schwarzer Menschen aus englischsprachigen Ländern finden jedoch mehr Zuspruch, ihnen wird eher zugehört, sie werden eher gesehen. Dank des unschönen Wortes »eher« kann ich deutlich machen: Ich sehe den Schmerz und die Unterdrückung, die alle Geschwister erfahren, ich spreche ihnen das nicht ab. Aber: koloniale Ordnungen, also das Sezieren der Umwelt und der Menschen in wertvoll und wertlos, gut und schlecht, machen nicht halt vor unseren Communities, wir übernehmen, reproduzieren und stärken koloniale Ordnungen, indem wir ihnen unreflektiert folgen. Die »Kolonialität der Macht«11 wurde durch den Peruaner Aníbal Quijano in den 1980er-Jahren definiert, »Dekolonialität«12 durch den Argentinier Walter D. Mignolo. Beide Theorien haben eins gemeinsam: Sie kommen aus den Amerikas. In Schwarzen Räumen werden beide Begriffe viel verwendet. Doch ihre Herkunft, die gesellschaftliche Situation, die sie notwendig gemacht hat, ist oft vergessen, verschwiegen.

      Genau dieses unter den Tisch fallen lassen, verschweigen, bezeichnet die Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin Dr. Natasha Kelly als »Ent_nennen«. Es fehlt nicht an mittel- und südamerikanischen Stimmen in der deutschen Schwarzen Geschichte, sondern an dem Willen, ihre Herkunft zu benennen.13

      »Audre Lorde, die Amerikanerin« ist nicht ganz falsch, doch wird dabei meist nur an die USA gedacht. Dass ihre Eltern Migrant*innen aus Barbados und Grenada waren, wird meist verschwiegen. Wir reden über ihre Berlin Years, aber nicht darüber, dass sie in der Karibik mit ihrer Lebenspartnerin bis zu ihrem Tod lebte – ihre Saint Croix Years ent_nannt.

      Mein zweites Schwarz, wie ich meine Afrolatinidades liebevoll nenne, ist durch schmerzhafte Begegnungen zu mir gekommen. Hat sich mir als Offenbarung des Andersseins enttarnt, mich mit all meinen Facetten sichtbar gemacht und aufgenommen.

       NICHT NOCH SO ’NE KOLONIALSPRACHE!

      »Ich werde mein Englisch verbessern, um bell hooks im Original zu lesen!«, verkündet der light skinned Bruder aus reichem deutschen Elternhaus. Die Geschwister nicken zustimmend. Ein richtig wichtiger Schritt, da sind sich alle einig. Sprache – der Schlüssel, um sich mit Verwandten in ihrer Muttersprache unterhalten zu können.

      »Mein Ziel«, sage ich, als ich an der Reihe bin, »Spanisch flüssig sprechen zu können, Versuch Nummer 45645322.« Gerade möchte ich ausholen, was dies für mich bedeuten würde, will von meiner Tía erzählen, die mich seit meiner Geburt begleitet und mit der ich noch nie ein tiefgreifendes Gespräch führen konnte.

      Doch der Bruder ist schneller: »Noch so eine Kolonialsprache!«

      »Sorry?«, fragt die Schwester aus den Staaten und versteht nicht. »They said they want to learn Spanish as if learning another colonial language would help!«

      Das Gespräch wird auf Englisch weitergeführt, während ich versuche herauszufinden, worin der Fehler meiner Herkunft liegt.

      Die anderen wechseln das Thema, die Schwester berichtet von verschiedenen Begriffen aus dem AAE, African American English. Alle lernbegeistert, Englisch ist für sie irgendwie doch die Schwärzeste Sprache. Ich trotte mit, finde weder in meiner Geburtssprache noch im Deutschen die richtigen Worte, Silben, Ausdrücke, um zu unterbrechen – zu hinterfragen und mir Gehör zu verschaffen.

       DIE KOLONIALE LÜGE

      Diese Sprachlosigkeit prägte meine Jahre innerhalb der Berliner Schwarzen Community. Es ist, wie es meistens ist: Helle, klassenprivilegierte Männer mit leicht verdaulicher Migrationsgeschichte übernehmen das Ruder, führen an, gelten als bessere Posterchilds des Afrodeutschseins. Formulieren ihre Bedürfnisse betont unmigriert, wechseln flüssig ins Englische, fühlen die US-amerikanische Befreiungsgeschichte, als wäre es ihre eigene. Sie entkomplexisieren – solange sie eben cis, hetero, anglophon, unmigriert und möglichst nicht behindert sind. Die Falschannahme: »Jene sind doch fast schon ein weißer westlicher Mann! Sobald er deutsch genannt wird, ist es vollbracht, der Rassismus beendet!«

      Um das gleich klarzustellen, mir ist bewusst, dass dem nicht wirklich so ist, diese Annahme beschreibt nicht wirklich die Lebensrealität Schwarzer Männer. Das Gesundheitssystem, tägliche Rassismen, der Schul-, Ausbildungsund Arbeitsmarkt sehen das anders. Ich glaube nicht, dass die interne, unbeabsichtigte Hierarchisierung in den Schwarzen Bewegungen auf tatsächlichem Erfolg der Strategie des Aufgebens des kulturellen Selbst beruht. Sondern darauf, dass uns etwas vorgegaukelt wird. Wie Julian Rendell, eine afrodominikanische queere Stimme, unverblümt aussprach: »Du kannst nicht so hart arbeiten, dass du dein Trauma dadurch ausstichst.«14 Sollten also vermeintliche Erfolgschancen im westlichen System der Maßstab sein für die Auswahl jener, die für uns als Stellvertreter*innen sprechen dürfen? Schließlich existieren Kolonialismus und Rassismus nicht etwa aufgrund eines Mangels an Kreativität oder Zielstrebigkeit seitens unserer Vorfahr*innen. Auch das ist die koloniale Lüge: Du bist einfach noch nicht entwickelt genug, um auf derselben Stufe wie der weiße Mann zu leben, hopp, streng dich an, lass jene Communityleader werden, die Weiße am ehesten hinnehmen können.

      Ich befreie mein zweites Schwarzsein

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