GLOBALE PROVINZ. Georg Rainer Hofmann
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Ein GRIS, ein »Graphisch-interaktives System«, war damals ein Computer, der im Gegensatz zu den herkömmlichen Rechnern nicht nur Zeichen, als Buchstaben und Zahlen, verarbeiten und anzeigen konnte, sondern eben auch Graphiken. Darunter stellte man sich zunächst quasi »Strichzeichnungen«, also Vektorbilder vor. Die konnten zum Beispiel mit einer vom GRIS-Computer angesteuerten Zeichenmaschine, einem »Plotter«, als eine technische Zeichnung berechnet und ausgegeben werden. Man konnte sich auch vorstellen, dass man irgendwann diskrete »digitale Rasterbilder« in einem Computer würde speichern und verarbeiten können. Das war aber zunächst noch eher utopisch, denn für viele hundert oder tausende Bildpunkte – »Pixel« – eines Rasterbildes hatte man einfach noch nicht den erforderlichen Speicherplatz zur Verfügung.
Professor Encarnação hatte bei der Leitung der THD durchgesetzt, dass er bei GRIS – vom Hochschulrechenzentrum weitgehend unabhängig – spezielle Computergraphik-Rechner betreiben durfte. Einer der Rechner hatte ein Wechsel-Festplatten-System mit einer Kapazität von zwei Megabyte. Der dazugehörende Datenträger mochte etwa vier Kilogramm Masse gehabt haben. Eine handelsübliche Backup-Disc von zwei Terabyte im Jahr 2020 hat eine um eine Million mal höhere Kapazität – mit der Technik von damals hätte eine 2-Terabyte-Disc also der Masse eines kompletten Güterzugs entsprochen. Überdies hielt man für die Computergraphik die Entwicklung von spezieller schneller Computerhardware für erforderlich. Die Graphik-Rechner, die es noch gar nicht gab, wollte man am Institut GRIS an der THD einfach selber bauen. Dafür hatte man ein Hardwarelabor eingerichtet, und es gab ein Projekt namens »Homogener Multiprozessorkern« (HoMuK). Man konnte sich damals einen leistungsfähigen Graphik-tauglichen Rechner nicht zuletzt deshalb als einen Multiprozessor-Rechner vorstellen, weil die diversen Graphik-Algorithmen der Parallelität der Systeme entgegenkamen. Neben der Konstruktion der einzelnen Modul-Rechner war die Realisierung der sie verbindenden Kommunikationskomponente, das war der »HoMuK-Bus«, eine echte Herausforderung.
Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. Dr. E.h. José Luis Encarnação, Darmstadt und Berlin
Exkurs – Die Anfänge der »Computer Graphics«
Wenn ich das so lese, an was sich Georg Rainer Hofmann aus studentischer Sicht erinnert, so steuere ich gerne einige Bemerkungen aus der Sicht des im Text erwähnten Professors bei.
Die Anfänge der Graphischen Datenverarbeitung – »Computer Graphics« – gehen zurück auf technische Entwicklungen in den USA, die circa in der Mitte der 1960er-Jahre stattgefunden haben, unter anderem am »Massachusetts Institute of Technology« (MIT) und an der University of Utah. Ich selbst habe im Jahr 1970 auf diesem Gebiet, also sehr früh in dessen Entwicklung, an der Technischen Universität in Berlin am Institut für Informationsverarbeitung bei Professor Wolfgang K. Giloi promoviert. Danach kam ich, nach einem Intermezzo als Professor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, im Jahr 1975 auf einen Informatik-Lehrstuhl (ein Fachgebiet) an der TH, der heutigen TU, in Darmstadt. Der Lehrstuhl wurde »Fachgebiet Graphisch-Interaktive Systeme« (GRIS) genannt. Damit waren gleich zwei Claims markiert, die in der späteren Informationsgesellschaft von zentraler Bedeutung sein sollten. Zum einen war die »Graphik« das, was später unter anderem auch als »Multimedia« reüssieren sollte. Und zum anderen war die »Interaktion« neu, denn Computer wurden um das Jahr 1980 herum nicht im direkten Dialog von Menschen mit Maschinen, sondern im »Batch« betrieben. Beide Phänomene sollten Jahre später in der Informationsgesellschaft absolut alltäglich sein. Aber wir waren damals, um das Jahr 1980, herum in Darmstadt die Pioniere.
Mein Bestreben war es, dieses Fachgebiet GRIS als eine wichtige Disziplin in der Informatik zu etablieren und durchzusetzen. In der Zeit der Jahre um 1980 herum bedeutete »wichtig« in der Informatik vor allem, dass die Systeme einen Nutzwert in industriellen und gewerblichen Anwendungen darstellten. An einen kulturellen Beitrag der Informatik oder einen alltäglichen Unterhaltungswert der – gar multimedial-graphischen und interaktiven – Computer dachte damals noch kaum jemand. Daher ging es mir um die breite Einsetzbarkeit und Anwendbarkeit der Technologien, Methoden, Algorithmen und Systeme in »Industrie und Wirtschaft«, die wir in diesem neuen Fachgebietes GRIS erforschten und entwickelten. Dies implizierte, schon aus Kosten- und Effizienzgründen, dass die jeweiligen Anwendungen unabhängig von der im Einzelfall verwendeten Hardware und Peripherie programmierbar sein müssten.
Dafür entwickelte mein Darmstädter Fachgebiet in Partnerschaft mit anderen internationalen Gruppen ein »Application Programming Interface« (API) für Anwendungen der Computergraphik. Dieses API wurde »Graphisches Kernsystem – Graphical Kernel System« (GKS) genannt. Wir konnten von Darmstadt aus bei der fachlichen Entwicklung dieser damals sehr wichtigen Innovation eine auch international führende und tragende Rolle spielen.
Ich zeichnete zu dieser Zeit nicht nur verantwortlich für die Aktivitäten im Bereich der DIN-Normung, die in den 1980er-Jahren zur Entwicklung von GKS und vergleichbaren Graphik-Standards führten, sondern auch für den gesamten Aufbau von anderen DIN-Gremien, die für die Beiträge zur internationalen Normung der graphischen Datenverarbeitung zuständig waren. Das ist in der Entwicklung der Informationsgesellschaft ein relativ seltenes Phänomen, dass ein internationaler Standard wesentlich von Deutschland aus entwickelt, pilotimplementiert und geprägt worden ist. Ein zweites Beispiel wäre etwa die viele Jahre später erfolgte Entwicklung des MP3 zur Audiodaten-Kodierung.
Das GKS war der erste Internationale Standard für Computergraphik. Er hatte die Nummer ISO/IEC IS 7942 und wurde im Jahr 1977 eingeführt. In Deutschland war er schon etwas früher unter der Bezeichnung DIN 66252 veröffentlicht worden. Das GKS stellt verschiedene Basisfunktionen für die Programmierung von graphischen Anwendungen zur Verfügung. Zu diesem Zweck wurden im GKS-System mehrere, aufeinander aufbauende GKS-Leistungsstufen spezifiziert. Konzeptionell stellt das GKS-System abstrakte graphische Darstell- und Eingabemöglichkeiten zur Verfügung und ermöglicht die geräteunabhängige Programmierung von graphisch-interaktiven Anwendungen, sowohl zwei- wie auch dreidimensionaler Graphik. Mit diesem Konzept konnten bereits die Anforderungen vieler Anwendungen bedient werden, wie im Bereich Maschinenbau, Architektur und Bauingenieurwesen, Elektrotechnik, auch in der Medizin.
Das GKS wurde zu einer wichtigen Basis für »Computer-aided Design« (CAD), »Computer-aided Engineering« (CAE), »Computer-aided Manufacturing« (CAM), Entwurf elektronischer Schaltungen und Simulationstechniken, auch für Bildgebende Verfahren und Diagnosesysteme in der Medizin etc. Mit der Entwicklung des GKS war es uns gelungen, das Fachgebiet GRIS in der Informatik-Landschaft als Disziplin fest zu etablieren und zu verankern – auch in einem internationalen Kontext. Die Computergraphik entwickelte eine sozioökonomische Relevanz und damit einen Markt für Projekte der Angewandten Wissenschaft. In der Folge hatten wir bei GRIS und später am »Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung« (IGD) eine gute Situation, was die Gewinnung von Drittmitteln und die Akquisition von Forschungsaufträgen angeht.
Allerdings waren die nicht-technischen Bereiche der Kunst, Kultur und Geisteswissenschaften