GLOBALE PROVINZ. Georg Rainer Hofmann

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GLOBALE PROVINZ - Georg Rainer Hofmann

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profanen »Digitalisierung« im Sinn haben könnten.¶

      Bei diesen spannenden Themen bei GRIS wollte ich dabei sein. Nach dem Vordiplom konnte man sich am Fachbereich Informatik an der THD für einen Job als Studentische Wissenschaftliche Hilfskraft, abgekürzt »Hiwi«, bewerben. Ich wurde bei einem Wissenschaftlichen Mitarbeiter vorstellig, der Detlef Krömker hieß. Die Bewerbung war sehr informell. Ich bin damals – einfach so – in sein völlig verrauchtes Büro marschiert. Herr Krömker rauchte am Tag – meiner Schätzung nach – so eine bis maximal drei Packungen des Fabrikats »Camel ohne Filter«. Ich fragte ihn, ob es für mich als Hiwi etwas Sinnvolles zu tun gäbe. Und das war durchaus der Fall.

      Ich wurde von Detlef Krömker bei GRIS akzeptiert, und im Frühjahr 1985 begann meine Karriere als Hiwi und damit als ein »Professional« – denn ich verdiente mein erstes Geld in der Informatik. Es galt, Schaltungen für das »HoMuK-System« in Betrieb zu nehmen. Das hieß insbesondere, leidige Entwurfsfehler zu finden und zu beseitigen. Es mag im Jahr 1985 gewesen sein, als man das Jubiläum »10 Jahre GRIS« beging. Professor Encarnação hatte jede Menge nationale und internationale Gäste von akademischer Bedeutung eingeladen, um sein Institut mit diversen akademischen Kolloquien gebührend zu feiern. Wir durften im Labor den experimentellen HoMuK-Aufbau einem Besucher von der TU Berlin vorführen. So eine Vorführung nannte man damals eine »Demo«. Der Besucher war Professor Wolfgang Giloi, bei dem wiederum seinerzeit Encarnação promoviert hatte. Giloi war der damalige »god father« der Rechnerarchitektur in Deutschland. Er lobte unsere Vorführungen und Arbeiten durchaus.

      Am Institut GRIS gab es viele internationale Studierende und Gäste, weil Encarnação das glatte Gegenteil von provinziell war. Er verfolgte internationale Kooperationen und akquirierte internationale Projekte. Wir hatten Wissenschaftler aus China, Brasilien, USA, vielen Europäischen Ländern, auch aus Ländern des damaligen sogenannten »Ostblocks«. GRIS war ein wenig wie Raumschiff Enterprise, mit Vulkaniern und Klingonen und allen möglichen Leuten aus aller Welt und »aller Herren Länder«, wie man damals (noch) sagte. Es wurde klar, dass die entstehende Informationsgesellschaft nur als ein »internationales Unterfangen« sinnvoll, denkbar und gestaltbar ist.

      In Darmstadt wurden in der Mitte der 1980er-Jahre die Briefe mit dem Motto »In Darmstadt leben die Künste« abgestempelt. Man zehrte noch von der Weitsicht Großherzog Ernst Ludwigs zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auf der Mathildenhöhe waren seinerzeit eine Reihe von Musterhäusern errichtet und damit der damals neuen Kunstrichtung des Jugendstils entscheidende Impulse verliehen worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten die Darmstädter »Ferienkurse für Neue Musik« eine nachhaltige weltkulturelle Bedeutung erlangen. Daran anknüpfend entschied man sich seitens der Stadt Darmstadt, für den Sommer des Jahres 1986 eine große Ausstellung und ein interdisziplinäres Symposium zum Thema »Symmetrie« auf die Beine zu stellen.

      Das Symposium angestrebte Niveau war schlicht »Weltklasse«. Das Phänomen Symmetrie sollte in seiner gesamten Mannigfaltigkeit in der Bildenden Kunst, den Naturwissenschaften, der Mathematik, Musik, Philosophie etc. umfassend ausgelotet werden. Man hatte für das Riesenprojekt einen wissenschaftlichen Leiter gewinnen können. Es war ein – meiner Wahrnehmung nach – wahrer Universalgelehrter mit Namen Guerino Mazzola und er kam aus der Schweizer Ortschaft Dübendorf in der Nähe von Zürich. Auf seine Provenienz angesprochen, entgegnete er mir einmal, nach einem für ihn typischen »weischt Rrrainerrr« (mit gerolltem »r«), es sei nun gar nicht so wichtig, wo man herkommt, sondern viel mehr, wo man hingeht. Provinz sei überdies keine Frage der Geographie, sondern eine Frage der Geisteshaltung.

      Mazzola hatte in Zürich unter anderem Mathematik und Physik studiert, mit 24 Jahren war er promoviert. Er arbeitete dann in Paris und Rom und habilitierte sich im Jahr 1980 im Fachgebiet der Kategorientheorie. Er war danach nach eigener Auskunft »verschiedentlich tätig«. Nun bezog er eine Projektwohnung in einem idyllischen Haus, direkt auf der Mathildenhöhe in Darmstadt.

      Es mag im Sommer 1985 gewesen sein, als wir bei GRIS Guerino Mazzola erstmals begegneten. Es ging ihm um Raffaels Fresko »La scuola di Atene – Die Schule von Athen«. Raffael hatte das monumentale und etliche Quadratmeter große Bild Anfang des 16. Jahrhunderts auf eine Wand in der »Stanza della Segnatura«, dem für zeremonielle Unterschriftsleistungen des Papstes vorgesehenen Raum im Vatikan gemalt. Mazzola hatte einen Plan. Die im Fresko dargestellte Szene sollte als ein dreidimensionales Modell im Computer realisiert werden. Es sollte für die Symmetrie-Ausstellung im Sommer 1986 möglich sein, quasi »neue« Perspektiven und Ansichten der von Raffael dargestellten Szene zu berechnen und zu visualisieren, um so neue Erkenntnissen zur Struktur und Symmetrie des Freskos zu gewinnen.

      Encarnação übergab das Mazzola-Problem an seinen Mitarbeiter Detlef Krömker, der wiederum auf mich als seinen Hiwi zukam. Zunächst hatten wir keine Ahnung, wie Guerino Mazzola zu helfen sei. Im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte sollte ich allerdings erfahren, dass dieser Umstand für fast alle Forschungs- und Beratungsprojekte – an deren Beginn – typisch ist. Denn wenn das Problem ein Einfaches wäre, könnte man für dessen Lösung ja auch andere Leute – als ausgerechnet uns – beauftragen.

       Professor Dr. Guerino Mazzola, Minneapolis

       Exkurs – Über Religion, Kunst und Wissenschaft

      Wenn man das liest, so muss man sehen, dass meine »interdisziplinären Sünden« schon am Mathematischen Institut der Universität Zürich ihren Anfang genommen hatten. Mein Auftreten als der wissenschaftliche Generalsekretär des Darmstädter Symmetrieprojekts war die unmittelbare Folge davon. Ich hatte mich damals bereits in Zürich mit algebraischer Geometrie und Darstellungstheorie beschäftigt und bei Peter Gabriel (dem Mathematiker, nicht etwa dem Popmusiker) habilitiert. Die Algebra hatte ich bereits zur Entwicklung eines neuen interdisziplinären Gebietes der Mathematischen Musiktheorie quasi »missbraucht«, für viele Fachkollegen war das reine Ketzerei.

      Der an der TH Darmstadt tätige Mathematikprofessor Rudolf Wille hatte mich vordem zu einem Vortrag zu meiner Mathematischen Musiktheorie eingeladen. Er fand daraufhin, dass ich für das Symmetrieprojekt genügend progressiv und auch provokativ wäre. Mein Vorhaben, im Rahmen des Symmetrieprojekts Raffaels »Schule von Athen« mithilfe von Computergraphik analysieren zu wollen. Das war nicht nur progressiv, sondern schon ein Sakrileg. Das kannte ich freilich, hatte doch bereits meine Computer-basierte mathematische Analyse von Beethovens »Großer Sonate für das Hammerklavier« eine ähnliche Ablehnung hervorgerufen.

      Diese Arbeit war auf erbitterte Gegenreaktionen gestoßen, denn wie konnte ich nur jenes heilige Meisterwerk der ersten Wiener Klassik einer formalen Analyse unterziehen. Die Vorurteile der Kollegen vom philosophischen Fach sahen die Mathematik ohnehin als eine Wissenschaft, die nur komplizierte Tautologien produzierte. Besonders verdächtig war den Geisteswissenschaftlern mein damaliger Musikcomputer. Er war der Urahn der später konstruierten Maschine namens »MDZ71« – und dem Nachfolger »presto«. Mein Musikcomputer hatte die musikalischen Parameter der »Sonate für das Hammerklavier« erbarmungslos durcheinandergewirbelt. Ein Artikel über »Beethoven im Computer« war bereits in der »Neuen Zürcher Zeitung« erschienen.

      Die von mir zu verantwortende Entwürdigung von heiligster musikalischer Kunst war also der wissenschaftskulturelle Hintergrund, mit dem dann ab dem Jahr 1985 Raffaels Fresko »with a fresh look« angegangen wurde. Zum Glück hatten mein Team und ich auf der Mathildenhöhe und der junge Informatikstudent Georg Rainer Hofmann und seine Kollegen an der TH Darmstadt, einen wichtigen Mentor im Symmetrieprojekt. Das war der prominente Schweizer Kunstwissenschaftler Oskar Bätschmann, der die neuen Methoden und die Computerkultur überaus herzlich begrüßte. Das war wichtig und zudem nicht unwesentlich, um das Raffael-Projekt zum Erfolg zu führen. Die eher traditionell eingestellten Kollegen von Bätschmann verurteilten das Unternehmen als einen ketzerischen Affront gegen die »Sancta Ecclesia« der Kunstwissenschaft. Nach Beethoven im Computer könnte nun auch noch Raffael im Computer die gängige religiöse Bewunderung der Großkunst stören. Das war schon »deadly

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