GLOBALE PROVINZ. Georg Rainer Hofmann

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GLOBALE PROVINZ - Georg Rainer Hofmann

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ist die Flut an Quellen und Kanälen und die Überwindung von Ortsgebundenheit und klassischen Redaktionsprozessen in der Musik vergleichsweise die kleinere Herausforderung für die Menschheit, bedenkt man die sich im Zeitalter der »Fake News« zuspitzende Frage der Vertrauenswürdigkeit von Nachrichtenkanälen. Hätten wir uns vor 40 Jahren die gesellschaftliche Brisanz vorstellen können, die von Kurznachrichtendiensten ausgeht? Es scheint, als liege trotz Informationsflut der Höhepunkt der Aufklärung bereits hinter uns. Musik hilft zur Beruhigung und Versöhnung. Heute wie damals. Digital wie analog.¶

      Der MDZ71 spielte in Wien das Stück »Der Dichter spricht« aus dem Zyklus »Kinderlieder« von Robert Schumann. Guerino Mazzola hatte die Papier-Partitur – Ton per Ton – in den MDZ71 eingetippt. Aber bevor wir zur eigentlichen Vorführung der Möglichkeiten des MDZ71 kommen konnten, den geometrischen Manipulationen der »Score«, schritt von Karajan bereits nach den ersten Takten heftig ein. »Das ist falsch, das Stück ist ja ganz falsch gespielt!« Er hatte das Stück in der Originaltonart h-moll erwartet. Offenbar hatte er insoweit ein absolutes Gehör. Guerino Mazzola zeigte, dass es dem MDZ71 per lineare Translation sehr einfach möglich ist, die Tonart eines Stücks komplett zu ändern. Der durchaus Technik-affine Herbert von Karajan war am Ende der Vorführung schon beeindruckt, er meinte, mit dem System MDZ71 könnte man ihn »die ganze Nacht allein lassen«.

      Abends dann saßen Guerino Mazzola, Christof Blum und ich auf den allerbesten Plätzen »Balkon Mitte« im großen Goldenen Saal im Musikvereinsgebäude in Wien. Wir hatten für den Abend eine Einladung der Herbert-von-Karajan-Stiftung erhalten. Diesen Saal kennt das internationale Publikum als den Aufführungsort der berühmten Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker. Wir hörten die Berliner(!) Philharmoniker in Wien(!) mit »Ein Heldenleben« von Richard Strauss. Von Karajan hatte einen Fahrradsattel als einen Sitz am Dirigentenplatz montieren lassen, weil er nicht mehr so gut stehen konnte. Einer der Einsätze der Posaunen nach einer Generalpause misslang, das Dirigat des Perfektionisten Herbert von Karajan war an dieser Stelle einfach zu unpräzise. Diesen Fehler sollte ich als Amateur-Musiker – der aber immerhin das Strauss-Stück einigermaßen kannte – mein Leben lang im Ohr behalten. Der große Herbert von Karajan war offenbar auch nicht unfehlbar – er hatte sich im Dirigat vertan.

      Der MDZ71 erfuhr durchaus eine seriöse Rezeption. Am 3. September 1988 wurde das Stück »Der Saitensprung des Ludwig van B« des US-amerikanisch-tschechischen Komponisten Jan Beran im Kunsthaus Zürich uraufgeführt. Es war ein »multimediales« Klavierkonzert, extra für den MDZ71 komponiert. Parallel zu den Tonereignissen lief eine Diashow mit Bildern des Schweizer Künstlers Jakob Sollberger, die dieser dafür ebenfalls extra erstellt hatte. Die Vorführung musste per »full-size panic action« noch einmal neu gestartet werden, weil sie von einem – in Zürich wirklich sehr seltenen – Stromausfall unterbrochen worden war.

       Professor Dr. Guerino Mazzola, Minneapolis

       Exkurs – Über Musik-Computer auf CD und auf der Bühne

      Wenn ich das so lese, dann werde ich an die Episode vom bestandenen »Turing-Test« für Musik-Computer erinnert.

      Für mich als Protagonisten des MDZ71 war Jan Berans Komposition für meinen Musikcomputer ein großer Erfolg, ein »proof of concept«, wie man zu sagen pflegt. Aber sie war stilistisch »far out«. Eine Kritik in einer namhaften deutschen Musikzeitung meinte, es würde einem beim Anhören »ganz blümerant«. Zudem war es für mich als Jazz-Pianisten ohnehin wünschenswert, den MDZ71 für den Jazz einzusetzen.

      Natürlich war diese Idee damals noch problematisch, da improvisierende Musiksoftware noch nicht entwickelt war. Und auch im Jahr 2020 funktioniert sie noch nicht noch nicht befriedigend. Daher entschied ich mich für das Stück mit dem Titel »Synthesis« für eine Lösung, wo alles Nichtimprovisierte vom MDZ71 übernommen würde, während ich die Improvisationen auf dem Klavier vorzutragen hätte. Der MDZ71 sollte alle Perkussionsinstrumente und den Bass übernehmen. Mit den Synthesizern von Yamaha RX5, TX802 und Roland R-8M wurden so 122 Instrumente angesteuert. Die vier Sätze der Komposition mit den Bezeichnungen »Earthquake«, »Liquid Colors«, »Poem of Wind« und »Burning Spears« wurden alle nach einem motivischen Prinzip, einer Art Leitmotiv, gestaltet, nämlich der mathematischen Klassifikation aller drei-elementigen Motive in 26 Klassen. Die Details kann man in meinem Buch »The Topos of Music« aus dem Jahr 2018 (Band II, Kapitel 51) nachlesen. Diese Motive wurden als melodische Elemente, aber auch rhythmisch als Perkussionsgestalten benutzt.

      Im Frühjahr 1990 benötigte ich für die Ausarbeitung der MDZ71-Komposition »Synthesis« vier Monate. Die gleichnamige CD wurde in einem einzigen »Take« im Studio aufgenommen und dann veröffentlicht, ohne irgendeinen Hinweis auf die computerisierten Perkussionsteile. Um meine Improvisation zur Software-generierten Musik zu erlernen, benötigte ich drei Monate intensiver Einarbeitung. Die Software konnte ja nicht auf Improvisation reagieren, ich als Pianist musste also alles verinnerlicht haben, was der Computer mir vorspielen würde.

      Was auf die Veröffentlichung der Synthesis-CD folgte, war durchaus eine Art »Turing-Test« für musikalische Intelligenz. Die Kritiken der CD waren nicht durchaus positiv, man warf mir vor, eine Art »Cecil Taylor im 4/4-Takt« zu spielen, es wäre zu viel Präzision jenseits der offenen Stilistik des Free Jazz. Der musikalische Hintergrund dieses Verdikts war in Wirklichkeit, dass ich mit dieser CD eine Art Synthese von Miles Davis und Cecil Taylor angestrebt hatte. Das war natürlich eine – eine weitere(!) – Todsünde für alle Musik-Puristen. Trotzdem wurde die hervorragende Aufnahmequalität gelobt. Letztes war kein Kunststück, denn die ganzen Perkussionsinstrumente waren ja direkt elektronisch wiedergegeben worden. Das erkannte niemand, im Gegenteil wunderte man sich über die Präzision der Perkussion.

      Der Kern dieses Turing-Tests für Musikcomputer ereignete sich aber beim Internationalen Jazz-Festival in Zürich im Herbst 1991. Hier wurde ich eingeladen, die Komposition »Synthesis« auf der Bühne aufzuführen. Man sah also mich als den Pianisten am Flügel samt dem Atari-MDZ71-Computer und sonst nichts. Der bekannte Jazz-Kritiker und Drummer Nick Liebmann von der Neuen Zürcher Zeitung unterhielt sich nach diesem Konzert mit mir und meinte, diese Performance mit dem Computer sei ja nicht schlecht, aber die CD mit den lebenden Musikern finde er besser. Liebmann hatte also als Schlagzeuger die synthetischen Klänge der Synthesizer nicht erkannt. Er hatte auch nicht bemerkt, dass alle Perkussion programmiert war und nicht durch musizierende Menschen aufgeführt wurde.

      Dieser »bestandene Turing-Test« war für mich ein Beweis, dass Mensch und Maschine sehr wohl kreativ und auf hohem Niveau zusammenarbeiten können, dass aber die Intelligenz durch und durch dem Menschen anheimgestellt bleibt.¶

      Welche Lektionen hatte man beim MDZ71-Projekt gelernt? Es wurde verstanden, dass ein Teil dessen, was man unter »Musik« begreift, als Tonereignisse von einer Maschine erzeugt, gespeichert, manipuliert und wiedergegeben werden kann. Die Maschine kann sogar zu den Tonereignismengen neue, geometrische Perspektiven – im Sinne von Mazzolas Interpretation des Yoneda-Lemmas – ausrechnen. Es würde sich in naher Zukunft eine »algorithmische Musik« sogar automatisch oder halbautomatisch erzeugen lassen – und damit weit über das hinausgehen, was man bislang unter Elektronischer und Synthesizer-Musik verstanden hatte.

      Im täglichen Leben fand eine ganz andere Art der Digitalen Musik Einzug. Die verschiedenen Formen von Automaten-gestützter Musik popularisierten sich gegen Ende der 1980er- und in den 1990er-Jahren tatsächlich. So entwickelte beispielsweise die Musikkultur des »Techno« eine eigene Faszination und eine immense ökonomische Bedeutung. Es wurde im Umfeld des MDZ71-Projekts aber auch verstanden, dass Musik nicht nur aus einer Menge von Tonereignissen besteht, die formal als Daten modelliert werden können. Es fehlt etwa ein geschlossenes mathematisches Modell der Klangfarben. Maschinen haben zudem immer noch keine Chance, einige der echten Musik-Instrumente, wie etwa Blechblasinstrumente, spielen zu können. Nach all den Jahren habe ich den Verdacht, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch etwa einer Trompete weiterhin eine exklusive Angelegenheit von »echten Menschen«

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