.
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу - страница 10
Über getrennte Wohnungen sprachen sie, jedenfalls eigene Schlafzimmer.
Muss sein! Da waren sie sich einig.
Zu mehr brauchte es, das gaben sie zu, eine besondere Gelegenheit, eine Alphütte, ein Luxushotel, eine andere Stadt.
Wild hatte Diego von Helen erzählt.
Warum schläfst du denn nicht in meinem Bett, bei mir, habe Helen ihn kürzlich gefragt. Und dazu gesagt: Eines Tages, wenn ich tot bin, wirst du meine Wärme vermissen.
Das habe ihn umgehauen. Ob man so etwas dem anderen überhaupt sagen dürfe?
Am andern Tag habe er Helen gestellt: Das darfst du nicht noch einmal zu mir sagen, habe er gesagt.
Und?
Helen habe nur mit den Schultern gezuckt, ihren immer noch schönen, festen, unter dem dünnen Pullover sommersprossigen Schultern: Das liege allein an ihm.
Als ob er, sagte Wild zu Diego, nicht schon die ganzen langen Jahre über, eigentlich, wenn er’s überlege, von Anfang an, den Augenblick herbeigefürchtet habe, an dem sie sterben könnte. Immer schon habe er vor ihr sterben wollen, und das sei etwas von dem wenigen, was sich nicht verändert habe.
Das war die Konstante, Diego: die Angst, Helen zu verlieren. Um dann mit der Schuld, oder wenn du willst: der Gewissheit zurückzubleiben, sie nicht genügend geliebt zu haben. Mit anderen Worten, sie immer nur enttäuscht zu haben. Als sei von ihm irgendwie zu wenig für sie da gewesen.
Das habe auch angehalten in den Zeiten, in denen sie getrennt waren, vielleicht am meisten in diesen.
Diego hatte genickt.
Ja, hatte er gesagt. Mir geht es nicht viel anders. Ich meine, was das Gefühl betrifft, ihr nicht gerecht geworden zu sein.
Hör bloß auf, sagte er, auch ich habe da viel zu büßen.
Sie. Die Eine, die einem anvertraut gewesen war, dachte Wild. Er dachte das merkwürdigerweise im Plusquamperfekt. Vielleicht meinte er einen Konjunktiv: anvertraut gewesen wäre. Und das «wäre» würde heißen: Lebensgeschenk nicht eingelöst, Chance vertan. Vertan ist mehr als verpasst, er könnte auch sagen verschleudert, veruntreut, verraten.
Nicht genügend lieben zu können, das fürchtete er doch schon, bevor er sich verliebte. Jedes Mal. Einmal nicht. Als er dann Helen kennenlernte. Was heißt kennenlernen?
Das gehörte zu der damaligen Verliebtheit, die er Liebe nennen durfte, dass er ihr zu genügen glaubte. Er hatte noch nie diese Sicherheit gehabt, dass es nun endlich, und für alle Zeiten, diese war.
Daran hielt er fest, als es schlecht ging, und davon ist er noch heute überzeugt.
Das heißt leider nicht, dass Wild das damals, dass er es überhaupt rechtzeitig begriffen hätte. Die drei großen G, die Ganz Großen Gefühle, schwanden auch wieder. Nicht, dass es verloren gegangen wäre. Aber es verbarg sich hinter so etwas wie zum Beispiel ihren zunehmenden Uneinigkeiten.
Beide hatten vor ihrer Beziehung selbständig gelebt. Keiner von beiden wollte von den Gewohnheiten etwas abgeben, jedenfalls nicht er, Wild.
Er war stolz auf sie und sagte es Helen. Das wollte sie nicht hören. Mit seinem Stolz konnte sie nichts anfangen. Was wollte sie denn? Ihn. Mit Haut und Haar?
Er konnte sich nicht bedingungslos einlassen auf sie. Das verdichtete sich später bei ihr in einen einzigen kurzen Satz: Du bist nicht bei mir! Und in dessen Variationen: Du bist nicht da, wenn du bei mir bist.
Er war also Helens Liebe nicht gewachsen, er hatte selbst nicht so viel davon, das wars.
Mit Diego besprach er solche Dinge, in der «Jägerburg», übrigens nur mit Diego.
So etwas führte sie immer gleich wieder zu Beckett.
Wild: Wo genau, Diego, steht bei Beckett dieser Satz: «Rittlings über dem Grab werden wir geboren, der Tag erglänzt einen Augenblick …»?
Wollte Wild damit sagen, angesichts der Kürze und der Einmaligkeit des Lebens könne man sich eine solche Liebesverschwendung gar nicht leisten?
Diego, der den halben Eichendorff auswendig konnte, der der letzte war, der noch Hofmannsthal las, sonst nur bei Lacan zu Hause war und weiter oben in der Philosophie, wo Wild nicht mehr hinaufsah, Diego zitierte ohne weiteres: «Le jour brille un instant, puis c’est la nuit à nouveau.»
Trümmer, sagte Diego, es gibt nur Trümmer.
Er zitierte. «Stechpalmenbeerenpflücken, sagte sie. Die roten. Sei wieder auf dem Hügel, an einem Sonntagmorgen, im Nebel, mit der Hündin, bleib stehen und lausche den Glocken.»
Sei wieder auf dem Hügel, an einem Sonntagmorgen, im Nebel, wiederholte Wild, leise.
Zeit verging. Die Serviertochter hinter dem Tresen las in einer Zeitung.
Merkwürdig, sagte Diego. In der Trauer über den Verlust der geliebten Frau kann der Freund dem anderen Freund nicht helfen. Nur eine andere Frau.
Wild dachte darüber nach, und nickte.
Bemerkenswert, sagte Diego, und zugleich schwer zu verstehen.
Das Bier schmeckte frisch und kräftig in der «Jägerburg». Es wurde hier noch in den alten hohen Gläsern serviert.
Und die Angst vor dem Verlust verliert sich im Alter nicht, sagte Wild.
Vielleicht ist der Tod ein fassbarerer Verlust als das Weggehen, sagte Wild. Helens Weggehen hat mich immer tief verletzt. Na ja, sie konnte jederzeit so weggehen, dass es ungewiss war, ob sie je wieder zurückkommen würde.
Ich weiß das noch gut, wie das früher gewesen ist. Ich wartete auf sie, zu Hause, und wenn sie auch nur eine Stunde später kam als angekündigt, war ich schon völlig aus dem Häuschen, sauer nach der ersten Stunde, verzweifelt bald darauf.
Sie konnte Abwendung, darauf verstand sie sich; ich war einer, der Abwendung nicht ertrug, warum auch immer, die Psychologie dahinter interessiert mich nicht besonders.
Und ich glaube, das verliert sich nicht mit dem Abflauen einer Beziehung, fuhr er fort, der Beruhigung der Liebe auf eine flachere Sinuskurve mit der Gewöhnung, die eigentlich ein Geschenk sein könnte. Mit dem sogenannten Alltag. Im Gegenteil. Die Angst bleibt, vordergründig oder untergründiger.
Ja, sagte Diego. Sie schwiegen. Er war vielleicht bei seiner eigenen