Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer. Suzann-Viola Renninger
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Nur um diese aktive Sterbehilfe dreht sich die Initiative. Sie verbindet ihre Forderung nach Straffreiheit mit einer Reihe von Bedingungen. So müsse der Sterbewillige an einer unheilbaren, schmerzhaften und mit Sicherheit zum Tode führenden Krankheit leiden. Er müsse außerdem seinen Sterbewunsch in zwei öffentlichen Urkunden festhalten, wobei ein Psychiater seine Urteilsfähigkeit zu bestätigen habe. Erst danach dürfe sein Leben von einem bis zu diesem Zeitpunkt nicht beteiligten Arzt beendet werden.
Die Kommission holt sich Rat bei der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW. Diese hatte in ihren 1976 publizierten «Richtlinien für die Sterbehilfe» festgestellt, die Aufgabe des Arztes sei Lebenshilfe, «ausgerichtet auf die Erhaltung und Verlängerung des Lebens».17 Die Kommission folgt dieser Linie. Gezielte Lebensverkürzung durch Tötung sei kein ärztliches Anliegen. Sie fasst zusammen: «Kann ein Arzt nicht mehr zur Genesung eines Patienten beitragen, dann soll er sich auf Linderung des Leidens beschränken», und empfiehlt dem Eidgenössischen Parlament, der Initiative keine Folge zu leisten. Und so geschieht es dann auch.
Viele Begriffe, ein Wunsch
Herr Kriesi, warum haben noch immer viele Ärztinnen und Ärzte ein Problem, wenn ihre Patienten sie bitten, ihnen sterben zu helfen?
Die Tradition der Medizin, die medizinische Ausbildung und auch die FMH, der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, setzen auf lebenserhaltende Maßnahmen und nicht auf solche, die beim Sterben helfen. Zwar hat sich seit dem Fall Haemmerli vieles verändert, und viele Ärzte unterlassen etwa in aussichtslosen Situationen lebenserhaltende Maßnahmen wie eine künstliche Ernährung oder nehmen sie zurück. Doch dabei unterliegen sie weiterhin dem Trugschluss, das passive Vermeiden sei moralisch höherwertig als das aktive Zurücknehmen. Dabei macht es nach meiner Meinung keinen Unterschied, ob der Patient sterben kann, weil ein Arzt eine bestimmte, aussichtslose Behandlung erst gar nicht beginnt oder ob er diese wiedereinstellt, weil er merkt, dass sie mehr belastet als Gutes tut.
Beides – der Behandlungsabbruch durch Unterlassen oder Einstellen – gilt juristisch als passive Sterbehilfe. Doch psychologisch macht es einen Unterschied. Es fällt, so meine Erfahrung, schwerer, eine Maßnahme wieder zurückzunehmen, die den Patienten am Leben hält. Die Verantwortung scheint in diesem Fall größer, und größer können daher auch die damit einhergehenden Schuldgefühle sein. Man hat schließlich mit den eigenen Händen etwas getan – etwa den Hahn der Infusion zugedreht und damit die Flüssigkeitszufuhr gestoppt –, was das Sterben beschleunigt hat, weil es zuvor durch genau diese Maßnahme noch aufgeschoben wurde.
Hier liegt psychologisch eine viel größere Hürde. Ja. Doch in der Konsequenz ist es dasselbe. Der Patient stirbt, ob ich die Maßnahme erst gar nicht beginne oder ob ich sie einstelle. In beiden Fällen habe ich geholfen, sinnloses Leiden abzukürzen. Nur darauf kommt es an.
Wenn es nur darauf ankäme, dann ist kaum nachzuvollziehen, mit welchem Aufwand weitere begriffliche Unterscheidungen verteidigt und moralisch und juristisch bewertet werden. Es gibt ja neben der passiven Sterbehilfe und ihren Varianten Unterlassen und Einstellen noch die aktive Sterbehilfe mit den Varianten indirekt und direkt. Gibt der Arzt dem sterbenden Patienten etwa Morphium oder ein anderes sedierendes Mittel, um ihn in ein künstliches Koma zu versetzen, dann kann dies sein Leben verkürzen. Diese sogenannte palliative Sedierung gilt als indirekte aktive Sterbehilfe. Wenn der Arzt allerdings mit der Absicht, Juristen sprechen hier vom Vorsatz, ein Mittel verabreicht – etwa eine genügend hohe Dosis Morphium –, damit die Patientin stirbt und somit nicht länger leiden muss, dann wäre dies direkte aktive Sterbehilfe, auch Euthanasie genannt. Diese ist vom Gesetz verboten.
Die Ursprünge der Unterscheidung reichen tief zurück in unsere Kultur. Bis zu Thomas von Aquin, dem Philosophen und Theologen aus dem 13. Jahrhundert, der von der katholischen Kirche zum Kirchenlehrer erklärte wurde und als Heiliger verehrt wird. Er hat das Konzept der sogenannten Doppelwirkung entwickelt, das hier auf die Situation eines Schwerkranken angewendet wird. Die katholische Theologie hat keine Bedenken, wenn der Arzt die Absicht hat, Schmerzen zu lindern. Wenn dabei das schmerzstillende Mittel die doppelte, also zusätzliche Wirkung hat, dass der Patient stirbt, wird das akzeptiert. Aber nur dann. Der Arzt darf also das Sterben in Kauf nehmen, nicht aber beabsichtigen. Holen Sie Thomas von Aquin hervor?
Mach ich. Später. Historisch ist die Unterscheidung nachvollziehbar, ansonsten fällt es mir schwer, die indirekte aktive Sterbehilfe moralisch der direkten überzuordnen. Auch die indirekte aktive kann etwa moralische Defizite im Gefolge haben. So habe ich es erst kürzlich erlebt. Weil der Tod bei der indirekten aktiven Sterbehilfe zu einem in Kauf genommenen Nebeneffekt wird, kann diese Art von Hilfe von dem eigentlich einschneidenden Ereignis, dem Sterben eines geliebten Menschen, ablenken. Der Sterbeprozess hat eingesetzt, der Tod wird bald da sein, und doch wird beides verdrängt, da man sich auf die schmerzlindernde Morphiumgabe, auf eine geradezu technische Handlung konzentriert. Und somit nicht auf den Abschied und die wohl wichtigste Verantwortung, also dem sterbenden Menschen nah zu sein und ihm seelisch beizustehen, so wie er es braucht.
Vor allem die deutschen Mediziner sprechen in beiden Fällen nicht von Sterbehilfe. Sie vermeiden geradezu panisch diesen Begriff, wenn sie hohe Morphiumdosen geben. In der deutschen Palliativmedizin gilt offiziell, dass man in diesem Zusammenhang nur von palliativen Maßnahmen sprechen darf.
Nun, wir Deutschen – ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen – haben tatsächlich panische Angst davor, irgendetwas zu tun, was im Entferntesten an die Zeit des Nationalsozialismus und die Hitler’schen Euthanasieprogramme erinnern könnte, bei denen systematisch Patienten ermordet wurden.
Das war ein Verbrechen. Das hat nichts mit der Frage zu tun, was für eine Person ein guter Tod sein könnte. Der Einzige, der das sagen kann, ist der Patient selbst. Und hierum geht es bei der Sterbe- und der Freitodhilfe. Um Selbstbestimmung des Sterbewilligen. Um Hilfe, wenn er sie braucht. Um Linderung eines Leidens, das er nicht mehr aushalten kann.
Ich bin immer wieder perplex, dass es in Deutschland so schwerfällt, die furchtbaren Naziverbrechen und die Sterbehilfe auseinanderzuhalten. Es kommt mir absurd vor, den Widerstand gegen die Sterbehilfe mit dem Hinweis auf die Naziverbrechen zu begründen. Da kommt doch eine irrationale Abwehrhaltung zum Ausdruck, die als Folge der heutigen medizinischen Möglichkeiten notwendig geworden ist. In der Schweiz ist die Befangenheit viel kleiner als in Deutschland. Unsere Kultur ist mehr an der Praxis orientiert. Und nicht an den Formulierungen.
Auch in der Schweiz setzen die Begrifflichkeiten klare Grenzen. Direkte aktive Sterbehilfe, die gezielte, vorsätzliche Verabreichung einer Spritze, die zum Tod führt, ist durch das Strafgesetzbuch verboten. Ich frage mich, ob es nicht nur eine Sache der Konsequenz, des Realismus und wohl auch Mutes ist, einen Schritt weiterzugehen und auch die direkte aktive Sterbehilfe, ungeachtet der höheren psychologischen Hürde auch hier, moralisch und rechtlich mit den anderen Formen der Sterbehilfe gleichzusetzen.
Die Grenzen sind in der Praxis ohnehin fließend. Das sagen gerade die Intensivmediziner, die Tag für Tag mit dieser Situation konfrontiert sind. Es gibt einen breiten Graubereich, in dem zwischen palliativer Sedierung und aktiver Sterbehilfe nur mit viel Haarspalterei zu unterscheiden ist. So habe ich oft von Medizinern gehört, dass sie auch das Einstellen einer lebenserhaltenden Maßnahme als eine aktive Handlung und so gesehen als aktive Sterbehilfe empfinden.
Anfänglich war ja die aktive Sterbehilfe auf Wunsch das Ziel der Gründer von Exit. Doch die Politik zog nicht mit, auch wenn die Volksabstimmung von 1977 eine breite Akzeptanz