Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche
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Taxonomien
Auch die sogenannten Taxonomien stellen ein weiteres Organisationprinzip natürlicher Sprachen dar, das ebenfalls aus der allgemeinen Kognition bekannt ist: Konzeptuell-semantische Kategorien schweben nämlich nicht isoliert in unserem konzeptuellen System, sondern sie sind miteinander auf eine hierarchieartige Weise verbunden (vergleiche Radden 2008). Durch die Nutzung von Hyperonymen (Fahrzeug => Auto) und Kohyponymen (Auto <=> Motorrad) bieten Taxonomien die Möglichkeit, den Aufbau begrifflichen Wissens ökonomisch zu verwalten (vergleiche Neveling 2004: 42). Zur Systematisierung des Wortschatzes vermitteln einige Vokabellehrwerke wie memo folgerichtig Strategien, die auf Unter- oder Nebenordnung basieren (vergleiche Roche 2013b: 93). Damit lässt sich die Wortschatzarbeit mit den Organisationsprinzipien unseres konzeptuellen Systems besser vereinbaren und zugleich der Aufbau unterschiedlicher Netze lexikalischen Wissens unterstützen, was wiederum die Nutzung unterschiedlicher Speicher- und Abrufwege ermöglicht. Nach Radden (2008; vergleiche auch Neveling 2004) besitzen die sogenannten basic-level-words innerhalb der Taxonomien eine besondere kognitive Prägnanz: Sie können einerseits ein konkretes mentales Bild aus unseren Erfahrungen hervorrufen, enthalten andererseits jedoch nicht zu viele Details, die ihre Speicherung eventuell erschweren könnten. Die Speicherwirksamkeit von basic-level-words lässt sich aber nicht nur durch ihre kognitive Prägnanz begründen, sondern vor allem durch ihre kommunikative Relevanz (Neveling 2004: 44): Ein Wort wie Auto kommt in der Kommunikation öfter vor als zum Beispiel das Wort sidecar und ist daher für Sprecher und Lerner auch relevanter. Die Vermittlung von basic-level-words eignet sich daher für die Anfangsphasen des Wortschatzerwerbs besonders gut.
1.1.5 Die Rolle der kognitiven Linguistik in der Sprachdidaktik
An verschiedenen Stellen dieses Kapitels ist bereits deutlich geworden, wie sich ein kognitionslinguistischer Ansatz auf die Sprachvermittlung auswirken kann. Im Folgenden sollen die wichtigsten Prinzipien einer kognitionslinguistisch ausgerichteten Sprachdidaktik zusammengefasst und ergänzt werden, bevor im letzten Kapitel das Modell einer kognitiven Sprachdidaktik präsentiert und illustriert wird. Festzuhalten ist also:
Für den erfolgreichen Erwerb von grammatischen Konstruktionen ist erstens der Erwerb ihrer Bedeutung zwingend erforderlich (vergleiche Langacker 2008b, 2008c). Zweitens muss die zunehmende Schematisierung und Kategorisierung konkreter sprachlicher Äußerungen einer grammatischen Struktur aus authentischem Input und nicht durch die explizite Regelerklärung erfolgen (vergleiche Achard 2008). Drittens ist die Grammatik kein arbiträres und abstraktes System, sondern sie ist konzeptuell motiviert und organisiert sich nach den Prinzipien der allgemeinen Kognition und Perzeption körperlicher Erfahrungen (vergleiche Evans & Green 2006). Aus diesem letzten Aspekt ist zu schließen, dass die Grammatik auch durch konkrete, körperliche Erfahrungen vermittelbar sein sollte (vergleiche Littlemore & Low 2006b; Suñer 2013: 16). Erst über diesen Weg lassen sich konkrete Handlungen mental simulieren und damit die Grammatik erfahrbar machen. Eine solche Vermittlung kann durch entsprechende körperliche Erfahrungen (Gestik oder Mimik) gestützt werden oder auch durch Animationen erfolgen, die ein grammatisches Phänomen einer Sprache kognitionslinguistisch verbildlichen. Wie das konkret erfolgen kann, zeigt Kapitel 7 anhand verschiedener grammatikalischer Bereiche.
Wie Sie in Kapitel 8 sehen werden, erweisen sich die handlungsorientierten Ansätze als ein besonders geeigneter methodischer Rahmen für den Einsatz von Grammatikanimationen. Ganz im Sinne der kognitionslinguistischen Postulate gehen handlungsorientierte Ansätze davon aus, dass Wörter und Grammatik als Handlungen verstanden werden können und dass aus ihrem Erfolg gelernt werden kann (vergleiche auch das Handlungsprinzip nach Roche, Reher & Simic 2012: 32). In anderen Worten: Erst durch den Gebrauch von Sprache in einer konkreten Handlungssituation können grammatische Konstruktionen erworben und nach situationaler Differenzierung weiter elaboriert beziehungsweise spezifiziert werden (vergleiche auch das Situativitätsprinzip nach Roche et al. 2012: 32). Diese Prinzipien korrespondieren mit dem kognitionslinguistischen Postulat der Gebrauchsbasiertheit insofern, als dass Sprachen erst durch ihren aktuellen Gebrauch in konkreten Situationen schrittweise erworben werden können (vergleiche Behrens 2009; Bybee 2008; ausführlicher siehe Lerneinheit 8.2). Vor diesem Hintergrund unterstützen Grammatikanimationen die mentale Repräsentation konkreter Handlungen und machen damit die Verbindung zwischen situationsspezifischen Aspekten von Handlungen und den entsprechenden Sprachmitteln transparent (vergleiche dazu Kapitel 7). Dieses Prinzip lässt sich beispielweise so umsetzen, dass die Lerner nach einer ersten Phase der Exploration der Animationen die dort abzuspielenden Handlungen selbst gestalten. Durch das anschließende Abspielen der gestalteten Situation können die Lerner ihre Vorstellungen überprüfen und sich den Zusammenhang zwischen Sprache und Handeln nochmals vor Augen führen. Außerdem lassen sich Grammatikanimationen besonders gut in kooperativen Lernsettings einsetzen, denn sie bieten Lernenden durch ihre vordergründige Unvollständigkeit und ihre induktive Präsentationsform vielfältige Impulse für das selbständige Problemlösen in der Gruppe (vergleiche Entwicklungsprinzip nach Roche et al. 2012: 32). Schließlich ist zu erwähnen, dass die in Grammatikanimationen abzubildenden Situationen die Interessen und Bedürfnisse der Lerner berücksichtigen sollen, um die nötige Salienz und Relevanz zu erzeugen (vergleiche auch Relevanzprinzip nach Roche et al. 2012: 32). Erst durch die Einbeziehung der Lernerwelt in die Grammatikanimationen können lernrelevante Prozesse (Hypothesenbildung, Analogiebildung etc.) initiiert werden, die den sukzessiven Aufbau der (Fremd-)Sprache ermöglichen (vergleiche Roche et al. 2012: 32).
Eine im Sinne der kognitiven Linguistik ausgerichtete kognitive Sprachdidaktik lässt sich folgendermaßen beschreiben (ausführlicher siehe Lerneinheit 8.3): Die Bezeichnung kognitive Sprachdidaktik leitet sich von ihrer wichtigsten linguistischen Bezugsdisziplin, der kognitiven Linguistik, ab. Die kognitive Linguistik basiert nach Evans (2012) auf den folgenden Annahmen: Sprache ist Konzeptualisierung (thesis that meaning is conceptualisation), Sprache ist und entwickelt sich gebrauchsbasiert und damit in unterschiedlichen kulturellen Kontexten (usage-based thesis), Bedeutung ergibt sich aus der Gesamtheit des Wissens aller konzeptuellen Bestände (thesis of encyclopedic semantics) und körperlicher Erfahrungen (thesis of embodied cognition) und Form und Bedeutung bilden eine Einheit (symbolic thesis) (vergleiche Evans 2012). Die kognitive Sprachdidaktik macht die konzeptuellen und semantischen Bezüge linguakultureller Systeme transparent und interkulturell salient. Sie geht nicht nur von strukturellen Unterschieden zwischen Sprachsystemen aus, sondern fasst konzeptuelle Unterschiede als Elemente linguakultureller Systeme auf und vermeidet damit die artifizielle Trennung zwischen Sprache und Kultur, die in der Sprach- und Kulturvermittlung oft in Form von isoliertem Landeskundeunterricht betrieben wird. Die kognitive Sprachdidaktik passt die Sprachvermittlung an das an, was ein Lerner in einer bestimmten Entwicklungsphase verarbeiten kann, verbindet die Erkenntnisse der kognitiven Linguistik mit denen der Spracherwerbsforschung, Lernpsychologie und Psycholinguistik. Da sich Sprachen und ihre Grammatiken phylo- und ontogenetisch aus Handlungen und Bedeutungen entwickeln, ist die kognitive Sprachdidaktik eine handlungsorientierte und grundsätzlich landeskundlich-interkulturelle lernerorientierte Didaktik mit einer starken Affinität zu kommunikativen Prinzipien und authentischer sprachlicher Variation und distanziert sich von Kognitivierung im Sinne metasprachlicher Bewusstmachungsverfahren.
1.1.6 Zusammenfassung
Die kognitive Linguistik hebt sich von anderen Ansätzen dadurch ab, dass sie Sprache als Mittel zur Konzeptualisierung der Realität definiert, das durch die Interaktion zwischen Individuen in einem bestimmten kulturellen Kontext fixiert und durch allgemeine Lernmechanismen erworben wird.
Die kognitive Linguistik geht weiterhin davon aus, dass Sprache ein bedeutungsvolles System symbolischer Strukturen darstellt, das sich anhand von Prinzipien allgemeiner Kognition erklären und weniger durch ein festes Regelwerk generieren