Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche
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Schließlich lässt sich der Mehrwert einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik unter anderem durch die kognitive Plausibilität der Sprachbeschreibung sowie durch die hohe Kompatibilität mit handlungsorientierten Ansätzen begründen.
1.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle
1 Was sind die größten Unterschiede zwischen der kognitiven Linguistik und dem Generativismus?
2 Was ist das cognitive commitment in der kognitiven Linguistik?
3 Was bedeutet genau, dass die Sprache gebrauchsbasiert ist?
4 Was ist ein Prototypeneffekt und welche Rolle spielt er in der Grammatik?
5 Wie würden Sie den Mehrwert einer kognitiv ausgerichteten Didaktik begründen?
1.2 Sprache und das mehrsprachige Gehirn
Kees de Bot (übersetzt von Simone Lackerbauer)
Die Sprachverarbeitung ist eine der komplexesten Aufgaben, die unser Gehirn bewältigen muss. Sie verlangt das Zusammenwirken vieler Bestandteile, die über das gesamte Gehirn hinweg in einem Netzwerk miteinander verbunden sind, wobei einige Teile des Gehirns dabei stärker eingebunden sind als andere. Früher hat man geglaubt, dass bestimmte Sprachelemente in bestimmten Bereichen des Gehirns verarbeitet werden. Mittlerweile herrscht Einigkeit darin, dass es keine Netzwerkbereiche gibt, die ausschließlich der Sprachverarbeitung dienen, und dass viele Bereiche des Netzwerks in beiden Gehirnhälften eine Rolle spielen.
Lernziele
In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie
erklären können, welche Bereiche des Gehirns für die Sprachverarbeitung wichtig sind;
zwischen verschiedenen Arten des Sprachverlusts und der Sprachwiedererlangung bei bilingualen Patienten mit Aphasie unterscheiden können.
1.2.1 Die historisch ersten Erkenntnisse zu Gehirn und Sprache
Hirnforschung ist ein verhältnismäßig junger Forschungsbereich. Da das Gehirn nicht einfach zugänglich ist, konnte man Annahmen über die Funktionsweise der Sprachverarbeitung nur anhand von Auswirkungen bestimmter Hirnschäden in bestimmten Bereichen des Gehirns anstellen. Insbesondere durch den Ersten Weltkrieg und andere militärische Konflikte gab es viele Menschen mit spezifischen Hirnverletzungen und -beschädigungen, die infolgedessen an ganz spezifischen Sprachproblemen litten. Die Verletzungen durch Schusswunden waren jedoch meist zu großflächig, um eine exakte Verortung der Sprachverarbeitung im Gehirn zu ermöglichen. Nicht nur bei Soldaten, sondern auch bei Zivilisten mit Gehirnverletzungen und Sprachproblemen war es oft erst bei der Obduktion möglich, die Verbindung zwischen einzelnen Bereichen im Gehirn und dem Muster der jeweiligen Sprachstörung zu untersuchen.
Phrenologie
In den frühen Jahren der Erforschung dieser Phänomene stellte auch die Phrenologie einen beliebten Forschungszugang dar. Die Phrenologen und Phrenologinnen gingen davon aus, anhand der Form des Schädels eines Patienten Aussagen über verschiedene kognitive und emotionale Eigenschaften machen zu können. Diese Lehre, die oft auf fragwürdige Weise versuchte, Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen festzustellen, um eine vermeintliche »Überlegenheit der weißen Rasse« auf körperliche Eigenschaften zurückzuführen, wurde aber schnell durch seriösere Forschungsansätze von Neurologen wie Carl Wernicke, Paul Broca und John Hughlings Jackson abgelöst. Ihre Arbeiten werden weiter unten genauer vorgestellt. Sie begannen, das Gehirn zu kartographieren und waren damit in der Lage, eine Verbindung zwischen bestimmten Gehirnarealen und bestimmten Sprachstörungen festzustellen.
Frühe Untersuchungen des Gehirns verstorbener Patienten und Patientinnen zeigten bereits, dass das Gehirn aus zwei großen Hirnhälften besteht, nämlich der linken und der rechten Hirnhemisphäre, die durch den sogenannten corpus callosum oder ›Balken‹ verbunden sind. Es zeigte sich weiter, dass die Hemisphären nicht gleichermaßen am Sprachprozess beteiligt sind. Es ist zwar bis heute nicht vollständig geklärt, welche Rolle sie genau spielen, aber es spielt immer eine Hemisphäre die dominante Rolle. In dieser Hemisphäre befindet sich der Großteil der Komponenten, die für die Sprachverarbeitung wichtig sind. Bei Rechtshändern ist die linke Hemisphäre typischerweise dominant. Bei Linkshändern ist das Bild nicht ganz so eindeutig. Nur bei ungefähr 19 % der Linkshänder ist die rechte Hemisphäre dominant, bei weiteren 18 % sind beide Hälften mehr oder weniger gleichermaßen dominant.
Die beiden Hirnhälften oder Hemisphären, die zusammen auch als Großhirn bezeichnet werden, enthalten ausgeprägte, schmale Spalten oder Furchen in ihrer Oberfläche, die das Gehirn in verschiedene Lappen teilen. Beide Hemisphären haben jeweils einen Frontal-, Parietal-, Okzipital- und einen Temporallappen. Die beiden Frontallappen sind für die Steuerung unseres Verhaltens, das Treffen von Entscheidungen, Denken, Planen und willkürliche Bewegungen (durch den Motorcortex) zuständig.
Die Hemisphären sind kontralateral angelegt, das heißt, sie steuern die Muskelbewegungen und erhalten die Sinneseindrücke von der jeweils gegenüberliegenden Hälfte des Körpers. Ein Schlaganfall in der linken Hemisphäre betrifft somit die rechte Hälfte des Körpers und Gesichts, und ein Schlaganfall in der rechten Hemisphäre kann umgekehrt zur Lähmung der linken Körperseite führen. Da die Frontallappen unsere Körperbewegungen und unser Verhalten sowohl planen als auch steuern, wird dieser vordere Teil des Gehirns als Sitz der Persönlichkeit angesehen und ist nachweislich an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt. Die Parietallappen, die sich hinter den Frontallappen befinden, sind hauptsächlich für unseren Tastsinn und für die Interpretation der Körpersignale zuständig, die wir hören, sehen und fühlen oder an die wir uns erinnern. Visuelle Impulse werden hauptsächlich in den Okzipitallappen auf der Kopfhinterseite verarbeitet. Die Temporallappen, die sich nah an den Ohren befinden, sind hingegen für die Verarbeitung unseres Hörsinns verantwortlich. Ebenso sind sie für Gedächtnis und Emotionen wichtig. Jeder Lappen kann daher bestimmten Hirnfunktionen zugewiesen werden, jedoch arbeiten die Hirnlappen nicht im Alleingang. Es gibt verschiedene komplexe Verbindungen und Beziehungen zwischen den Lappen und Hemisphären, die entscheidend dazu beitragen, dass das Gehirn als Ganzes ordnungsgemäß funktioniert.
Abbildung 1.3:
Seitenansicht der linken Hemisphäre mit ihren vier Lappen (Frontal-, Parietal-, Okzipital- und Temporallappen) sowie den wichtigsten Verarbeitungszentren (nach Roche 2013a: 54)
In den 1960er und 1970er Jahren wurde bei vielen Patientinnen und Patienten mit Epilepsie ein operativer Eingriff durchgeführt, bei dem Teile des corpus callosums, des Nervengewebes, das die beiden Gehirnhälften verbindet, entfernt wurden. Es wurde nämlich angenommen, dass die epileptischen Anfälle, unter denen diese Patienten und Patientinnen litten, die Folge von widersprüchlichen Informationen aus den beiden Hemisphären waren. Das führte zu interessanten Veränderungen, die aber für die Patientinnen und Patienten nicht immer von Vorteil waren. Weil die Hälften nicht mehr miteinander kommunizierten, verhielten sie sich mehr oder weniger unabhängig voneinander. Man erkannte, dass die nicht-dominante Hälfte nur sehr bedingt sprachliche Fähigkeiten aufweist und dass die meisten sprachbezogenen Prozesse in der dominanten Hirnhälfte stattfinden. Die bekanntesten Gebiete sind das Broca-Areal und das Wernicke-Areal.
Broca, Wernicke und die Verbindung zwischen ihnen
Paul