Literaturwissenschaften in der Krise. Группа авторов

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Literaturwissenschaften in der Krise - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

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      Schlegel, Friedrich (1979). Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. 22 Bde. Hrsg. v. Ernst Behler. Paderborn, München u. Wien: Ferdinand Schöningh.

      Todorov, Tzvetan (1972). Einführung in die fantastische Literatur. Übers. v. Karin Kersten, Senta Metz u. Caroline Neubaur. München: Ullstein.

      Waldenfels, Bernhard (2017). Platon. Zwischen Logos und Pathos. Berlin: Suhrkamp.

      4 Literaturgeschichte und Konstruktivismus

      Die Wahrheiten der Postmoderne

      Christoph Reinfandt

      Wer ist schuld am weltweiten Aufstieg der Rechtspopulisten und dem mit ihm offenkundig werdenden ›postfaktischen Zeitalter‹? Etwas differenzierter sollte man wahrscheinlich fragen, was denn die vermutlich durchaus vielfältigen Ursachen für diese Entwicklung sind, doch im massenmedialen Betrieb des Feuilletons und des Kulturjournalismus gibt es bereits pointierte Antworten: Die Schuldigen sind allesamt auf der linken Seite des politischen Spektrums zu verorten. »Die Hippies sind schuld«, konstatiert etwa die Überschrift von Thomas Assheuers (2017) letztlich doch abgewogeneren Überlegungen im Anschluss an den amerikanischen Kulturwissenschaftler Fred Turner (2006 und 2016). Assheuer bezieht immerhin noch Rahmenbedingungen wie etwa die fortschreitende Digitalisierung mit ein und verweist auf verkomplizierende Faktoren wie die Spaltung der Linken. Wesentlich einfacher macht es sich hier der Züricher Philosoph Michael Hampe (2016). Hampe erklärt, »pubertäre Theoretiker« der »kulturwissenschaftlichen Linken« (»KWL«) hätten mit ihrem dekonstruktiven Insistieren auf der medialen, diskursiven und damit letztlich sozialen und politischen Konstruiertheit aller Dinge den Aufstieg der »lügenden grobianischen Rechten« (»LGR«) herbeigeführt. In der Beliebigkeit der Postmoderne sei nunmehr die Gültigkeit objektiver Fakten derart unterminiert, dass die Populisten freie Bahn hätten.

      Obwohl der Befund eines gegenwärtig geschwächten Evidenz- und Referenzprinzips für Aussagen über die Wirklichkeit natürlich nicht von der Hand zu weisen ist, greift diese Schuldzuweisung doch zu kurz und ist damit ebenso populistisch wie der kritisierte postfaktische Diskurs. Zum einen sollte man die Wirkmächtigkeit geistes- und kulturwissenschaftlicher Seminare und Publikationen nicht überschätzen, wie etwa Bernhard Pörksen in seiner Replik (2017) hervorhebt. Zum anderen haben sich die pauschal als ›pubertär‹ verunglimpften Theoretiker ihre durchaus komplexen Theorien nicht aus einer Laune heraus ausgedacht, sondern, das sollte man ihnen zugestehen, in Fortsetzung einer langen und durchaus ehrwürdigen Tradition skeptischen und kritischen Nachdenkens und in Reaktion auf eine sich ausdifferenzierende, immer komplexer werdende moderne Wirklichkeit. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diese Tradition und ihre jüngeren Erscheinungsformen in eine Perspektive ihrer medialen und technologischen Bedingtheit einzurücken, so dass klar wird, dass schlichte Schuldzuweisungen à la Hampe nicht zielführend sein können. Dabei wird es auch darum gehen, deutlich zu machen, was denn die Literaturwissenschaften zur Klärung dieses Sachverhalts beitragen können.

      Wahrheit und Wahrheiten

      Der des linken Pubertierens völlig unverdächtige Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann wies schon 1990 darauf hin, dass die »Umstellung des Wissenschaftssystems von einem ontologischen auf ein konstruktivistisches […] Selbstverständnis, wie sie in den zweihundert Jahren seit Kant zu beobachten ist, […] in sehr tiefgreifender Weise das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft [berührt]« (627). Und auch die weiter ausgreifenden, die westliche Tradition seit der Antike einbeziehenden Überlegungen des ebenfalls der postmodernen Schaumschlägerei unverdächtigen Physikers, theoretischen Biologen und Naturphilosophen Bernd-Olaf Küppers machen deutlich, dass es mit der Wahrheit nicht so einfach ist: Schließlich hat doch »die Diskussion um das Wahrheitsproblem […] im Laufe ihrer Geschichte immer wieder neue Varianten des Wahrheitsbegriffs hervorgebracht […]: [d]ie ontologische, die logische, die empirische, die kontingente oder die pragmatische Wahrheit, die zugleich die fortschreitende Differenzierung unseres Weltverständnisses widerspiegeln.« (2008: 177) Wahrheit, so zeigt sich hier, war zumindest im westlichen Kulturkreis schon immer Verhandlungssache. Die Kriterien für ihre Akzeptanz haben sich im Laufe der Jahrhunderte langsam aber unaufhaltsam von ›absolut‹ Richtung ›hypothetisch‹ bewegt. Selbst im Rahmen der auf Aristoteles zurückgehenden und von Thomas von Aquin wiederaufgenommenen Korrespondenztheorien der Wahrheit wurde zunehmend nicht nur die abbildende, sondern auch die sprachlich-symbolische Darstellungsfunktion anerkannt. Dies geschah zunächst noch abgefedert in Annahmen der Strukturgleichheit von (sprachlicher) Darstellung und Welt, dann aber mit zunehmender Akzentverschiebung hin zu Kohärenztheorien der Wahrheit, deren Angemessenheit sich in der Widerspruchsfreiheit auf der Ebene der (sprachlichen) Repräsentation insgesamt erweist und dann letztlich nur noch im Handeln an der Wirklichkeit selbst bewähren kann. Erfolgreiche Bewährung wiederum muss auch mitgeteilt werden, und so verschiebt sich der Akzent erneut, hin zu Konsens- und Diskurstheorien einer Wahrheit, die sich intersubjektiv in kommunikativen Verhandlungsprozessen bewähren muss. Diese allerdings, dies sei betont, werden stets dadurch destabilisiert, dass der modernen Wissenschaft mit ihrer auf die Produktion neuen Wissens und die Falsifikation etablierten Wissens ausgerichteten Praxis immer auch eine Dissenstheorie der Wahrheit eingeschrieben ist.

      Die volle Komplexität dieses am Ende eines langen Evolutionsprozesses stehenden Zustands ist erst in jüngeren Jahren erfasst worden. Sie wird häufig unter dem bei Luhmann genannten Stichwort des Konstruktivismus verhandelt, der ganz unterschiedliche Formen annehmen kann. Im rückblickend von Richard Rorty (1967) für den Anfang des 20. Jahrhunderts angesetzten Linguistic Turn der Philosophie geht es im Kern darum, dass (und wie) die Sprache das Denken formt, und diese Grundfrage ist seither auch in anderen Disziplinen intensiv weiterverfolgt worden (vgl. Boroditzki 2012). Da Sprache zudem niemals pur auftritt, sondern stets an gesellschaftliche Praktiken und verfügbare Medientechnologien gebunden ist, schließen hier im Laufe des 20. Jahrhunderts zahlreiche weitere Cultural Turns an und verheißen Neuorientierung in den Kulturwissenschaften (Bachmann-Medick 2006). Zuvor schon war auch in der Soziologie Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit in den Mittelpunkt gestellt worden (Berger und Luckmann 1966). Erkenntnistheoretisch auf den Punkt gebracht werden die mit dieser Entwicklung verbundenen Einsichten von den sogenannten ›radikalen Konstruktivisten‹ wie etwa Ernst von Glasersfeld (vgl. etwa 1996). Im Kern geht es dabei darum, »dass vom Beobachter und seinen Methoden des Beobachtens und deren Wirkung auf den beobachteten Gegenstand nicht (!) abstrahiert werden darf, wenn Aussagen über die Welt und deren Beschaffenheit gemacht werden« (Simon 2017). Da sich die Angemessenheit derartiger Aussagen wie oben erwähnt nur noch im Handeln, d.h. im Umgang mit der Wirklichkeit bewähren kann, verschiebt sich das Kriterium geglückter Erkenntnis »[v]on der Wahrheit zur Viabilität« (Köck 2011). Man kann somit, fasst Fritz B. Simon (2017) zusammen, »aus konstruktivistischer Sicht zwar nicht sagen, welche Aussagen eine ewige Wahrheit beschreiben, aber man kann durchaus sagen, was Quatsch und unwahr ist.«

      Allerdings bleibt dabei unberücksichtigt, dass es Aussagen über die Wirklichkeit gibt, deren Angemessenheit sich eben nicht (oder zumindest nicht sofort) im Handeln bewähren kann: Wie sollte sich Donald Trumps Behauptung, seine Inaugurationsfeier sei die von der Zuschauerzahl her größte der amerikanischen Geschichte gewesen, im Handeln bewähren? Zwar scheint seine Behauptung angesichts des existierenden Bildmaterials offensichtlich falsch, aber letztlich handelt es sich ja nur um Bildmaterial, das ein Ereignis nie vollständig und in allen seinen Dimensionen erfassen kann. Eine unmittelbare Handlungsoption, in der sich die auf diesem Bildmaterial beruhende gegenteilige Behauptung an der Wirklichkeit bewähren kann, steht ja leider ebenfalls nicht zur Verfügung. Simon (2017) verweist nun darauf, dass

      aus konstruktivistischer Sicht die Möglichkeit der Objektvierung darin [besteht], dass unterschiedliche Beobachter sich über die Fokussierung der Aufmerksamkeit (= Selektion der Phänomene), die Selektion der Beobachtungsmethode, die Kriterien der Bewertung (z.B.

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