Grenze als Erfahrung und Diskurs. Группа авторов

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anzuführen, in dem das erzählte Ich von einem Grenzübertritt von Frankreich nach Spanien berichtet. Im September des Jahres 1936 verlässt er mit anderen Freiwilligen Paris, um auf Seiten der Republik gegen den Staatsstreich der spanischen Faschisten zu kämpfen. In dem Weg, der ihn über die Pyrenäen zu den Internationalen Brigaden führt, wiederholt sich der Weg, den er, ebenfalls als Freiwilliger und ebenfalls von Paris kommend, in seine alte Heimat, an die Saar, genommen hat.

      Das Ohr des Malchus ist nach dem narrativen Prinzip der Spiegelungen aufgebaut. Jede Erfahrung, jede Szene und jede Begegnung hat eine Entsprechung, die in einem Korrespondenzverhältnis zu ihr steht; die Abschnitte und Stationen des erzählten Lebensweges kommentieren einander. In diesem Sinne sind die politische Agitation im Saarkampf und das militärische Engagement im Spanischen Bürgerkrieg aufeinander bezogen. (Dies zeigt sich auch in der Rolle der kommunistischen Partei, über die das Buch in der Darstellung beider Lebensabschnitte nachdenkt und zu der das erzählte Ich seine eigenen Positionen in ein Verhältnis zu setzen sucht.)

      Während die Begegnung mit der „SA auf dem Bahnsteig“ sowie mit Polizisten mit Hakenkreuzbinden in Serrig an der Saar als ängstigend und einschüchternd geschildert wird, hat die Szene mit dem französischen Douanier eine humoristische Qualität:15

      Wir sahen schon den spanischen Milizionär hinter dem Grenzbaum stehen und fühlten, wir müßten vorwärtspreschen in seinen Schutz hinein, aber wir gehorchten dann doch dem Wink des französischen Zöllners und hielten. Er prüfte lange unsere Papiere. Dann kam die Mittagszeit, in der jeder Franzose von Kultur nur noch die Stimme des Magens hört. […]

      Unser Beamter trat vor die Tür des kleinen Häuschens. „Ich fahre zum déjeuner“, sagte er. „Was während der Mittagspause hier geschieht, geht mich nichts an.“16

      Die Darstellung spielt nicht nur mit klischeehaften Vorstellungen nationaler Eigenart, die seit dem späten 18. Jahrhundert tradiert worden sind. Indem der Grenzbeamte seinen persönlichen Ermessensspielraum nutzt, um dem erzählten Ich und seinen Gefährten zur Ausreise zu verhelfen, zeigt die autobiografische Erzählung Möglichkeiten eines notwendigen, weil moralisch richtigen Ungehorsams auf. Auf diese Weise veranschaulicht der Text eine der übertragenen Bedeutungen des Grenz-Begriffs: Das Zusammenleben von Menschen in sozialen Gemeinschaften wird durch Gesetze und Normen reguliert, welche die Entfaltung des Einzelnen einerseits befördern, andererseits limitieren. Die humane Haltung, die hinter der Genreszene in Reglers Erinnerungsbuch aufscheint, sieht im Wohlergehen des Menschen den Maßstab sittlichen Handelns: Grenzen und Begrenzungen sind lediglich dann sinnhaft, wenn sie eine Funktion im Hinblick auf den Menschen haben; kehrt sich diese Relation um, werden sie zu einem Instrument totalitärer Herrschaft.

      Inwiefern die Frage nach der Freiheit des Individuums im Kontext des Diskurses über Grenzen fassbar wird, zeigt ein Abschnitt aus dem Sechsten Buch der Autobiografie. Dem erzählten Ich ist es – vornehmlich durch die Fürsprache namhafter Freunde – gelungen, Europa zu verlassen. Bevor er jedoch in die Vereinigten Staaten von Amerika einreisen darf, muss er einige Tage auf Ellis Island verbringen, jener der Stadt New York vorgelagerten Insel im Mündungsgebiet des Hudson River, auf der die Einwanderungsbehörde über die Einreiseerlaubnis für Immigranten entscheiden musste. Sowohl die Schiffspassage über den Atlantik als auch der Aufenthalt auf der Insel werden verkürzt wiedergegeben; der Erzähler fokussiert nicht die Erlebnisse der Reise, sondern ihr Ergebnis:

      Acht Tage später waren wir in Ellis Island; ein Gefängnis, aber kein Luftalarm mehr; Eisengitter, aber kein Maschinengewehr davor. Manhattan leuchtete wie ein Versprechen. Luxusessen, nachts saubere Decken, am Morgen heiße Bäder. Nach zwei Tagen waren wir frei!17

      An der Grenze der Vereinigten Staaten macht das erzählte Ich zwar die Erfahrung einer erneuten Gefangenschaft. Indem diese aber mit den Gefahren und Begrenzungen des europäischen Kontinents verglichen wird, verliert sie als ein transitorischer Zustand ihren Schrecken. Der letzte Grenzübertritt, von dem Das Ohr des Malchus erzählt, bezeichnet den Weg des erzählten Ich aus dem durch Grenzen zerschnittenen, zerteilten, zergliederten Europa in das freie, grenzenlose Amerika. Wenngleich diese Darstellung von einer ahistorischen Stilisierung bestimmt wird, zeigt sie die Funktion der Grenze als eine Zone des Übergangs. In diesem positiven Bild liegt die Einsicht, dass Grenzen als materialisierte Schnittstellen zwischen Staaten nicht nur Paradigmen der Spaltung, der Teilung und Trennung sind, sondern, indem sie dazu beitragen, Identität und Selbstbild einer Nation zu stabilisieren, Freiheit ermöglichen.

      In der Erzählung seiner Lebensgeschichte denkt Gustav Regler über Grenzen als symbolische Repräsentationen nach, über das Recht des Einzelnen und die Begrenzungen seiner Möglichkeiten, über die Dialektik von Freiheit und Unfreiheit als bestimmende Größe seiner Epoche. Schließlich regt die Autobiografie einen kritischen Diskurs über das Unrecht an, das jedem Versuch immanent ist, das kulturell Gemachte einer Grenzziehung absolut zu setzen.

      Regler ist damit auch in der ideengeschichtlichen Tradition Jean-Jacques Rousseaus zu lesen, der in seiner Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen aus dem Jahr 1755 die Regelung von Besitzverhältnissen – und das Setzen von Grenzen ist sichtbarer Ausdruck derselben – als eine Abkehr vom Prinzip der Natur auffasst. In der Ver- und Aufteilung von Land, das – nach Rousseau – in dem glücklichen Urzustand des Menschen Gemeingut war, an dem alle Menschen gleichermaßen partizipierten, liegt der Beginn der „bürgerlichen Gesellschaft“, ihrer limitierenden Vorstellungen von Eigentum und Wert.18 Das Ohr des Malchus begegnet dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts und seinen Folgen, aber auch den Ideologien des 20. Jahrhunderts mit dieser aufgeklärten Denkfigur und unterstreicht auf diese Weise den Anspruch und die fortwährende Notwendigkeit einer Littérature engagée.

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