Vernunft und Offenbarung. Micha Brumlik
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IV.
Nun hat Baecks Werk, trotz einer beeindruckenden Einheitlichkeit, doch eine Entwicklung durchlaufen, weshalb an einer seiner durchdachtesten und systematischsten Arbeiten, der 1922, zehn Jahre vor Theologie und Geschichte entstandenen Romantischen Religion zu überprüfen ist, ob die im Wesen des Judentums angelegten theoretischen Kurzschlüsse im Sinn einer stringenteren Argumentation behoben sind.
In der Romantischen Religion wird nun das, was noch im Wesen des Judentums als von innen her treibende Kraft jeder Religion postuliert wurde, auf die Objektseite gerückt, freilich so, daß eine bestimmte Art religiöser Erfahrung als „romantische“ kritisiert wird, während die Ausdrucks- und Erlebnisformen der „klassischen“ Religion gerechtfertigt werden. Einen um Objektivität auch nur bemühten, methodologischen Standpunkt jenseits von „romantischer“ und „klassischer“ Religion kann Baeck nicht vorweisen – seine Kritik der romantischen Religion setzt sogleich material ein, ohne sich vergewissert zu haben, daß sie genau jenes vermag, ohne das der geisteswissenschaftliche Forscher nicht auszukommen im Stande ist. Die Romantik sei besonders geeignet, den Stimmen früherer Tage zu lauschen, daß sie „mit ihrer Empfindungsfülle allem Menschengemüt in seinen Falten und Geheimnissen nachzusinnen, sich in die Individualitäten hineinzufühlen vermag.“63 Diese nun die historische Wissenschaft allererst ermöglichende Haltung wird aber später, wo sich Baeck ausdrücklich mit „jeder Romantik“ auseinandersetzt, der Unfähigkeit geziehen, das „Kulturproblem“ zu lösen. Romantik, das ist in Baecks Augen Selbstsucht und Genußsucht, eine ethisch unverantwortliche Haltung, die sich alleine der Hinwendung zum Fühlen der einzelnen Individuen, dem Selbstgenuß widmet und dabei das Arbeits- und Kulturleben, ja jeden Lebenszusammenhang entwertet. Der romantischen Religion, für Baeck am reinsten im paulinischen Typ der Frömmigkeit sowie in Luthers Glaubenserfahrung verkörpert, fehle jedes Motiv und jede Notwendigkeit, sich dem Staats- und Wirtschaftsleben zuzuwenden und damit sei sie aus internen, strukturellen Gründen unfähig, das „Kulturproblem“ zu lösen:
„Immer bleibt die lebendige Kultur ein Draußen, ob nun deshalb, weil sie, wie dort, bestritten wird, oder, wie hier, weil kein gerader gewiesener Weg zu ihr hinführt… Der eigentlich romantische, paulinische Glaube mit seiner Heteronomie des Lebens, mit der Passivität, auf die er sich gründet, kann einer Kultur, zumal der sozialen, die ihre Daseinskraft in dem Gebote der Verwirklichung hat, das an den Menschen ergeht, nur fremd gegenüberstehen. Er kann nicht prinzipiell, sondern nur nachträglich den Aufgaben gerecht sein, die die soziale Aufgabe dem Menschen stellt.“64
Die romantische Religion, die Baeck am reinsten im Christentum mit Ausnahme des Calvinismus verkörpert sieht, kulminiert im Glauben an den einzigartigen Tod Jesu, die Heiligung von Sakramenten, damit an Autorität und Dogmen wie Sentimentalität. Dogmen und Autorität fungieren mit all ihren freiheitseinschränkenden Elementen als notwendiges Gegengewicht wider eine religiöse Haltung, die jedes bestimmende innere Gesetz ablehnt. Daher rührt auch die Zentralität des Erlösungsbegriffs in der romantischen Religion, die freilich mit den „Mühen und Aufgaben des inneren Lebens“65 nichts zu tun habe und von innerem Ringen und Gewissenskämpfen nichts wisse, ebensowenig wie von menschlicher Freiheit. Indem die romantische Religiosität den Erlösungsgedanken in die Gottheit selbst hineintrage, verlängere sie die menschliche Selbstsucht und komme so zu einem Gott, der paradoxerweise in seinem Kreisen um sich selbst den Menschen nicht beistehen könne. Dabei weiß der Kritiker dieser Metaphysik, daß jedenfalls bei Paulus selbst erhebliche Bestandteile der alttestamentlichen Ethik vorhanden sind. Diese Analyse scheint mit dem missionarischen Auftrag der Kirche, sich um das Wohl nicht nur des Nächsten, sondern aller Menschen zu kümmern, auf den ersten Blick unvereinbar. Baeck zögert nicht, diesen Missionierungsdrang den jüdischen Wurzeln des Christentums und die Fortsetzung der Mission nach dem dritten Jahrhundert dann vor allem den Eigeninteressen dieser Institution, Zwang und Kontrolle auszuüben, zuzuschreiben. Der Umschlag von Empfinden in Zwang schließt nach Baeck notwendig einen Kreis:
„Daß das Empfinden alles bedeuten soll, darin liegt das Eigentümliche, das Wesentliche der Romantik. Es kann ihre Kraft sein, daß sie sich versenkt, daß sie aus starken Gefühlen schöpft, und es ist ihre Zartheit, daß sie das Schwebende, Webende erfährt.“66
Das ist nicht ohne Wärme gesprochen und Baeck, der als Schüler Wilhelm Diltheys mit dem Werk Schleiermachers aufs Beste vertraut war, weiß wovon er spricht. Als ob er jedoch schließlich merkte, daß er mit seiner Kritik der romantischen Gefühlswelt auch seinem eigenen wissenschaftlichen Werk den Boden unter den Füßen hinwegzieht, sieht er sich schließlich genötigt, den eigenen, selbst proklamierten Klassizismus so zu modifizieren, daß die Möglichkeit eines tieferen Verständnisses irrationaler Kräfte möglich wird. Der Preis für diese Rettung aus einem selbst zu verantwortenden Dilemma besteht in einer nun wahrlich irrationalistischen Lebensphilosophie, die ihren Halt alleine in der Eindeutigkeit des Gesetzes findet: Für die klassische Religion offenbare sich das Seiende „aus dem Irrationalen hervor, dem Ich zurufend, dieses Wirkliche und Gebietende, das, worin alles, was ist und sein soll, verwurzelt ist, das, worin Geschöpf und Schöpfer sich treffen. In ihr ist das Irrationale die tiefe Wahrheit des Lebens, der tiefe Grund darum auch des Gesetzes, die tiefe Bürgschaft der Gewißheit, der ‚Arm der Ewigkeit‘, der alles umfaßt. In ihr bedeutet es das Heilige, diesen Bund zwischen dem Ewigen und dem Menschen.“67
Gerade im Unterschied zur romantischen Religion komme so die klassische Religion zu einer angemesseneren Auffassung des Irrationalen, insofern sie in ihm jene wahrhaft unableitbare Größe, nämlich das Leben selbst, identifiziere. Sich in diesem Leben, Gottes Gebote verwirklichend, zu sittlichen Zielen zu bestimmen, verweist auf eine Zukunftsorientierung, der es der romantischen Religion, die nur auf ihren göttlichen Ursprung zurück hin ziele, ermangele. Inwieweit diese Charakterisierung dem Werk Paulus’ und Luthers wirklich angemessen ist, sei hier dahingestellt; daß zumindest das frühe Christentum, nicht