Vernunft und Offenbarung. Micha Brumlik
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„Eben darin liegt das Hauptkriterium einer wahrhaft äußerlichen Offenbarung, einer Offenbarung in ihrer wahren und unverletzten Bedeutung, daß ihr Inhalt mit dem meines schlechthinigen Selbstbewußtseins sich im Widerspruche befindet, und sich eben dieses Selbstbewußtsein dennoch genöthigt fühlt, genau wie in der ganzen Welt der Erscheinung, dem Ding-an-sich, der Materie und ihren bewegten Gesetzen, die ebenfalls denen, aus dem reinen Bewußtsein herausgesponnenen, contrarié widersprechen, die wahre Existenz in der Wirklichkeit zuzuschreiben, was sie denselben a priori durchaus abzusprechen gezwungen ist.“42
Der Sprung in den Glauben der Bibel löst sowohl die internen Widersprüche des Bewußtseins als auch den Widerspruch zwischen dem vernünftigen Bewußtsein und der Erfahrung. Steinheim hatte sich vorgenommen zu beweisen, „dass das geoffenbarte (Gott, Seele, Freiheit) sich in einem Widerspruch mit dem rein-Vernünftigen befinde: und dennoch, oder vielmehr, eben deshalb das wirklich wahre und in der That existirende Wesen sein müsse.“43 Unter der Bedingung, daß sich erstens ausweisen läßt, daß der Begriff der Offenbarung dem des vernünftigen Denkens strikt entgegengesetzt sein muß, und zweitens, daß die Inanspruchnahme geoffenbarter Wahrheit von einer (pragmatischen) Vernunft zweiter Stufe geboten ist, hätte Steinheim in der Tat gezeigt, daß nur der Glaube die Antinomien der Vernunft lösen kann. Aber sogar wenn man bereit ist, die Definition der Offenbarung als das Nicht-Vernünftige zu akzeptieren, läßt sich bezüglich der zweiten Bedingung fragen, ob sich entweder nicht agnostisch – wie Kant selbst – mit den unaufgelösten Antinomien leben läßt, beziehungsweise warum, wenn denn schon eine offenbarte Wahrheit akzeptiert werden muß, es nun ausgerechnet und nur die der Hebräischen Bibel sein muß. Steinheims Generalantwort auf diese Frage besteht auf dem Hinweis der in seiner Zeit allgemein anerkannten Charakter der Religion als Korpus und Ausdruck einer Sittenlehre. Auf diesem widerum kantischen Hintergrund kann Steinheim zurecht behaupten, daß eine Religion, die weder die Idee menschlicher Freiheit noch die der Moral einholen kann, ihren Namen nicht verdient – was ihn zu einer schroffen Gegnerschaft zu jeder romantischen Religion, wie sie dann Schleiermacher und die historische Schule konstruierte, führen mußte. Indem Steinheim zu zeigen versucht, daß die Intuition der sittlichen Freiheit der Menschen ausschließlich im Bilde der biblischen Schöpfungslehre konzipiert und rekonstruiert werden kann – diesen Gedanken hat er besonders eindringlich und klar im 1856 erschienenen zweiten Band seines Werks erläutert44 – muß er sich mit zwei Folgeproblemen auseinandersetzen.
Er muß erstens zu der Frage der Faktizität und Historizität der biblischen Offenbarung Stellung nehmen, und zweitens ausschließen, daß die Gedanken von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit sich auch in anderen mit Offenbarungsanspruch auftretenden Religionen nachweisen lassen. Es zeigt sich jetzt, daß die eigentliche Crux des Gedankens einer Offenbarungsreligion weniger in den Herausforderungen eines naturwissenschaftlich-positivistischen Weltbildes liegt, sondern in der Herausbildung eines wissenschaftlich-kritischen historischen Bewußtseins. Steinheim löst so das Problem einer historischen Nichtverortbarkeit einer offenbarten Religion: ein historischer Beginn würde dem Begriff der Offenbarung widersprechen, indem er der offenbarten Religion zwar den Anfang der Zeit ab –, dafür aber den Fortgang der Zeit zuspricht.
III.
Die Frage, wie das Göttliche in die Geschichte eintritt, wie eine mit vernünftigem Denken und wissenschaftlicher Erfahrung nicht begreifbare Größe menschliches Denken und Handeln beeinflussen kann, ist ein Problem, das die Offenbarungstheologie von der Philosophie der Subjektivität seit Descartes und Kant geerbt hat. Hatte Descartes zwischen der ausgedehnten und der denkenden Substanz unterschieden, so konnte Kant seine Kritik an rationalistischer Philosophie und seine Ethik des kategorischen Imperativs nur mit dem Mittel einer strikten Scheidung von Dingen an sich selbst hier und Erscheinungen dort, beziehungsweise zwischen einem je empirisch bestimmten Willen und einem noumenal freien Subjekt begründen, populär gesprochen mit einer „Zweiweltenlehre“. Dabei bleibt stets die Frage offen, wie zwei völlig voneinander unterschiedene „Substanzen“ aufeinander einwirken können. Auf das Problem des Verhältnisses von Gott und Menschen bezogen, lassen sich mindestens vier Lösungsstrategien skizzieren.
Der Offenbarungspositivismus – wie ihn Steinheim und die lutherische Orthodoxie vertreten45 – hält sowohl die positive, nur wissenschaftlich und empirisch begreifbare Welt der Erfahrung als auch die nur im blinden Glauben bezeugte Wirklichkeit des geoffenbarten Gottes fest. Beides ist unüberbrückbar voneinander getrennt, aber für eine unverkürzte Form richtigen menschlichen Lebens sinnvoll aufeinander bezogen. Der materialistische Positivismus seit der französischen Frühaufklärung leugnet die Existenz Gottes, da sie mit dem gesunden Verstand weder bewiesen noch erklärt werden kann, und reduziert Gottes Offenbarung auf empirisch erklärbare, psychologisch verständliche materielle Interessen der Menschen.
Die spekulative Religionsmetaphysik seit Spinoza46 identifiziert Gott und die Materie im Gedanken des Absoluten miteinander und bezahlt hierfür den Preis eines Verlustes an Orientierung in der biblischen Tradition.
Die idealistische Philosophie der Fichte, Hegel und Schelling leugnet die objektive Existenz der Materie und sieht diese als Ausdruck eines göttlichen Geistes an, nimmt also die dem materialistischen Positivismus konträre Haltung einer einseitigen Auflösung des Spannungsverhältnisses von Gott und Substanz zugunsten Gottes an. Über Spinoza hinaus dynamisiert der Idealismus den Gottesgedanken so, daß dieser als mit Entwicklung und innerer Geschichte begabt gesehen wird. Hegel und Schelling unterscheiden sich von Fichte, indem sie die Objektivität des göttlichen Geistes nicht im menschlichen Bewußtsein, sondern in der Objektivität des Denkens ansiedeln, Schelling wiederum unterscheidet sich von Hegel, indem er an die Stelle einer eigenmächtigen Konstruktion eine bedächtige Rekonstruktion des Wesens Gottes nach Maßgabe der Entwicklung des religiösen Bewußtseins setzt. Die historisch dynamisierte Gleichsetzung von Gott und absoluter Substanz hat – im Unterschied zum Offenbarungspositivismus – den wissenschaftspolitischen und theoriestrategischen Vorteil, mit der Entwicklung der damals neu entstehenden Geistes- und Geschichtswissenschaft insofern vereinbar zu sein, als sie das menschliche Denken über die Götter und Gott in die (Re-)Konstruktion Gottes aufnehmen kann, während der Offenbarungspositivismus gezwungen ist, wider alle geisteswissenschaftliche Einsicht entweder fundamentalistisch an der Bibel festzuhalten oder wie Steinheim mit der Ungereimtheit einer zwar historisch fortwirkenden, aber nicht historisch beginnenden Offenbarung operieren zu müssen.47 (Auch Steinheim hat die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung sehr wohl zur Kenntnis genommen und ist bemüht, dort, wo es um das Fortwirken der Offenbarung geht, historische Kritik walten zu lassen.)48 Vor dieser Problemlage wird deutlich, warum das Christentum flexibler auf die Herausforderung