Vernunft und Offenbarung. Micha Brumlik

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Vernunft und Offenbarung - Micha Brumlik

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in dem durch den Einfluß der griechischen Philosophie die spekulative Vernunft schon immer ihr Recht hatte. Endlich wirkt das Judentum als bornierte Religion, die weder die Tiefe der Menschheitsgeschichte noch die Höhe des spekulativen, vernünftigen Gedankens zu akzeptieren bereit ist. Unter diesen – im neunzehnten Jahrhundert tatsächlich so verlaufenden – geistespolitischen Fronten konnte im Gegenzug zwischen Historismus und Spekulation nur der Rückgriff auf positive (Natur)-Wissenschaft, auf autonome Moral und eben „Offenbarung“ helfen! An diesem Zentralbegriff eines autonom gewordenen, von jeder menschlichen Vermittlung freien Glaubens muß sich erweisen, ob die Tradition biblischen Denkens nach der Aufklärung noch eine Chance haben kann. Wenn sich zeigen läßt, daß die Selbstoffenbarung des biblischen Gottes am Sinai wenigstens nicht im Widerspruch zum empirischen und kausalitätsgebundenen Denken der modernen Naturwissenschaft steht, dann mag es nicht nur möglich, sondern geradezu geboten sein, diesem Gott zu glauben, wenn anders Freiheit, Moral und Menschenwürde nicht verspielt werden sollen. So sehr nun die Geschichte eines idealistisch instrumentierten Christentums und seiner antisemitischen Konsequenzen Steinheim recht gegeben haben mag, so wenig ist der Sache nach entschieden. Denn zwar gilt auch vom Denken, daß man es an seinen Früchten erkennen solle, gleichwohl muß sich ein argumentativ auftretendes Denken auch an der Güte seiner Argumente prüfen lassen. Da Steinheim, anders als die jüdische Altorthodoxie, nicht schlicht auf dem Glauben beharrt, sondern die Vernünftigkeit des Festhaltens an ihm diskursiv begründen möchte, sind diese Argumente selbst diskursiv zu überprüfen. Zudem ist zu fragen, ob der Gegner, gegen den er sich richtet, nämlich die von ihm so genannten „Mythophilosopheme“, die in der von Steinheim eher peripher erwähnten Philosophie Schellings ihren deutlichsten Ausdruck gefunden haben, von ihm angemessen bekämpft wird.38 Tatsächlich war die geistespolitische Lage komplizierter, als sie sich bisher darstellte. Denn die große idealistische Philosophie der Fichte, Hegel und Schelling war keineswegs bereit, der sich erneuernden orthodoxen Religion, sei sie nun jüdischer oder christlicher Provenienz, den Begriff der „Offenbarung“ kampflos abzutreten, im Gegenteil: die spekulative Durchdringung der menschlichen Geschichte überbot Spinozas Gedanken eines mit der Natur identischen Gottes durch die Idee eines sich durch die Geschichte entfaltenden und somit offenbarenden Gottes. Eine den biblischen Glauben verteidigende Position muß also nicht nur den Begriff „Offenbarung“ als vernünftig rekonstruierbar ausweisen, sondern zudem noch die Position behaupten, daß diese Offenbarung sich als punktuelles Ereignis in der Geschichte und nicht als der geschichtliche Prozeß selbst abgespielt habe. Im Werk des späten Schelling schießen jene Elemente, die Steinheim wechselseitig bekämpft hatte, nämlich eine rationalistische Gottesspekulation sowie eine Geschichte der religiösen Ideen zusammen, nehmen die subjektive Versenkung in Geschichten und die objektive Konstruktion einer Gottesidee, die Gestalt einer Philosophie der Mythologie und Offenbarung an.39 Darum wird im Folgenden zunächst Steinheims Begriff der „Offenbarung“ erläutert, um ihn anschließend mit Schellings Überlegungen zu einer Philosophie der Offenbarung wenigstens skizzenhaft zu konfrontieren. Abschließend soll die Frage gestellt werden, ob ein Offenbarungspositivismus, wie ihn die neuere evangelische dialektische Theologie seit Karl Barth gepflegt hat, für das Judentum eine Möglichkeit ist.

      II.

      Seit die französische Frühaufklärung die Idee einer geoffenbarten Wahrheit wegen ihrer öffentlich nicht systematischen Nachvollziehbarkeit kritisierte, stand das an der Aufklärung orientierte oder mit der Aufklärung konfrontierte Denken vor der Aufgabe, diesem Begriff zunächst eine scharfe Bedeutung zu geben. So hat Johann Gottlieb Fichte in seinem im Jahre 1792 erschienenen Versuch einer Kritik aller Offenbarung bereits zwischen natürlicher und geoffenbarter Religion unterschieden und den Unterschied beider daran bemessen, ob das Prinzip des Übernatürlichen sich als innerhalb oder außerhalb des menschlichen Bewußtseins denken lassen kann. Fichte sieht richtig, daß offenbarte Wahrheiten nicht als empirische Erkenntnisse a posteriori angesehen werden können, sondern von einer vorgängigen, apriorischen Konstruktion oder Selbsterforschung des menschlichen Bewußtseins, besonders in moralischer Hinsicht, abhängig sind. Die apriorische Annahme, daß die Quelle moralischer Institutionen nicht innerhalb, sondern außerhalb des menschlichen Bewußtseins liegt, führt schließlich zum Begriff der geoffenbarten Religion: „Der deducierte Begriff ist wirklich der Begriff der Offenbarung, d.i. der Begriff von einer durch die Causalität Gottes in der Sinnenwelt bewirkten Erscheinung, wodurch er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt.“40 Vor solchen oder ähnlichen Grundannahmen kantischer Art stellt sich dann die Frage, auf welche Weise ein als übersinnlich gedachter Gott auf das Sinnenwesen Mensch einwirken kann – zumal dann, wenn Gott ganz im kantischen Sinne als eine vom menschlichen Bewußtsein hervorgebrachte regulative Idee begriffen wird. Weiter stellt sich die Frage, anhand welcher Kriterien faktisch oder historisch übermittelte Mitteilungen als göttliche Offenbarung identifiziert werden können. Gibt es eindeutige formale oder materiale Kriterien, die eine Mitteilung als offenbarte Wahrheiten qualifizieren? Dabei ist die Frage nach den materialen Kriterien von Offenbarung im Rahmen eines kantischen Denkens leicht zu beantworten: der Inhalt der Offenbarung kann kein anderer sein als der Inhalt des Sittengesetzes beziehungsweise jener regulativen Ideen, die nach Kant der Mensch als moralisches Wesen hegen muß: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. In formaler Hinsicht impliziert der Endzweck jeder Offenbarung, nämlich reine Moralität, zunächst ein Ausschlußkriterium, nämlich die absolute Freiheit der Durchsetzung ihrer Inhalte von allen externen Motiven:

      „Der Gehorsam gegen die moralischen Befehle Gottes kann sich nur auf Verehrung, und Achtung für seine Heiligkeit gründen, weil er nur in diesem Falle rein moralisch ist. Jede Offenbarung also, die uns durch andere Motive, z.B. durch angedrohte Sprachen oder versprochene Belohnungen, zum Gehorsam bewegen will, kann nicht von Gott sein, denn dergleichen Motive widersprechen der reinen Moralität.“41

      Man sieht sofort, daß unter solchen philosophischen Auspizien die Chancen für eine gerechte Würdigung des spätestens seit Luther, frühestens seit Johannes und Paulus als Gesetzesreligion verketzerten Judentums schlecht genug waren und dieses selbst zum Inbegriff dessen werden mußte, was eine geoffenbarte Religion nicht sein konnte: nämlich ein Gesetzesglaube, der dem auserwählten Volk unter Androhung härtester Sanktionen auferlegt wurde. Das bedeutet aber im Umkehrschluß nichts anderes, als daß jener Gott, der sich vermeintlich als autoritärer Gesetzgeber am Horeb gezeigt hat, nicht der Gott sein konnte, den ein vernünftiger und moralischer Offenbarungsbegriff forderte. Vor dem Richterstuhl philosophischer Offenbarungskritik mußte das Judentum als historisch faktischer Ausdruck von Unfreiheit gelten. Vor dem Hintergrund solcher und ähnlicher Argumente übernahm Steinheim die Aufgabe, sowohl das Judentum als geoffenbarte Religion der Freiheit zu retten, als auch die heftig diskutierte Frage der Kriterien einer Offenbarung zu lösen. Steinheim bezeichnet dieses Kriterium als „Schibboleth“ und kommt im ersten, 1835 erschienenen Band seiner Offenbarung nach dem Lehrbegriff der Synagoge zu dem Schluß, daß es die Ideen der Einheit Gottes, der Schöpfung der Welt aus dem Nichts sowie der menschlichen Handlungsfreiheit sind, die in formaler und materialer Hinsicht das Kriterium der geoffenbarten Wahrheit ausmachen. Gegen den Trinitarismus des Christentums, gegen den philosophischen Materialismus des religiösen Denkens von Philo bis Spinoza und wider die paulinisch-lutherische Lehre von der Unfreiheit der Menschen in der Erbsünde wäre damit die Richtigkeit des Tenach und des rabbinischen Judentums erwiesen, das im Buche Genesis Schöpfung und Freiheit und in den prophetischen Büchern die Einheit, Einzigkeit und Allgegenwart Gottes behauptet.

      Anders als Fichte, der seinen Offenbarungsbegriff apriorisch konstruiert und am Kant der Kritik der praktischen Vernunft ansetzt, kommt Steinheim zu seinen Folgerungen durch ein unmittelbares Anschließen an Kants Kritik der reinen Vernunft.

      Im berühmten Antinomienkapitel der Kritik der reinen Vernunft hatte Kant demonstriert, daß ohne Erfahrung die herkömmlichen metaphysischen Fragen, ob die Welt einen Anfang in der Zeit habe und dem Raum nach in Grenzen eingeschlossen sei oder nicht; ob alle Substanz aus einfachen Teilen bestehe oder nicht; ob die Welt nur durch Naturkausalität oder auch durch Freiheit zu erklären sei oder nicht und endlich: ob die Welt als Teil oder Ursache ihrer selbst ein notwendiges

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