Vernunft und Offenbarung. Micha Brumlik
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„Für die Fortbildung des Monotheismus müssen wir eine nationale Individualität bleiben, denn der Monotheismus hat eine geschichtliche Singularität uns aufgeprägt. Und da diese Nationalität von keinem eigenen Staate gehemmt wird, so ist sie vor dem Schicksal der Materialisierung seiner nationalistischen Idee geschützt.“34
Hermann Cohen hat für die Reinhaltung der Idee des jüdisches Volkes als eines Volkes von Priestern und Gerechten vom Nationalismus einen hohen Preis gezahlt. Der Denker, der wie kein anderer in der Moderne am reinsten für den prophetischen Universalismus, für ein nicht-materialistisch begründetes Programm sozialer Gerechtigkeit sowie für eine weltweite Rechtsordnung eintrat, sah die Erfüllung dieser Ziele aus Mitleid mit den unterdrückten Juden Rußlands ausgerechnet im Kriegseintritt des wilhelminischen Reiches. So hellsichtig und vernünftig der Jude und Philosoph wirkte, so verblendet äußerte sich der deutsche Patriot Hermann Cohen in seinem systematischen Bemühen, die kreatürliche Furcht vor dem Tode durch ein Jenseits zu ersetzen, das in nichts anderem besteht als in einer selbstlosen Aufopferung der Individuen zugunsten einer messianischen Idee, die vielfältig ursurpierbar war.
Der Begriff der Offenbarung bei Steinheim und Schelling
I.
Ob Gott nur durch blinden Glauben oder auch durch vernünftiges Denken erfahrbar sei, ist Thema der Religionsphilosophie spätestens seit dem platonistisch denkenden alexandrinischen Juden Philo.
Daß die Hoffart autonomen menschlichen Denkens in Widerspruch zu jenen Behauptungen geraten mußte, die gerade so, wie sie in den heiligen Schriften standen, zu glauben waren, macht die Unruhe nicht nur der Religionsphilosophie, sondern auch der Theologie als des wissenschaftlich kontrollierten Glaubens aus.
Stößt sich die Religionsphilosophie an der Apodiktizität biblischer Geschichte, die sie vor den Richterstuhl der Vernunft zerren möchte, so stößt sich jede Theologie in einer Welt, die eben auch die Vernunft kennt, an dem Umstand, daß die vernünftige Welt dem verkündeten Wort nicht vertraut, ohne Argumente für diesen Glauben gehört zu haben.
Damit steht jede Theologie vor dem fatalen Dilemma, sich entweder mit vernünftigen Argumenten auf einen Disput mit der Philosophie einzulassen – und dabei stets von anderem Gebrauch zu machen denn alleine von Glaubenswahrheiten, und so schließlich den Glauben verraten zu haben – oder aber den Disput an irgendeiner Stelle mit dem Hinweis zu beenden, daß über diese oder jene Wahrheiten des Glaubens nicht mehr debattiert werden könne. Argumentativer Glaube oszilliert stets zwischen der Skylla der Selbstaufgabe an die Vernunft und der Charybdis törichten Beharrens. Aus dieser Schwierigkeit führen zwei Wege heraus, deren ersten die scholastische Theologie beschritten hat, nämlich der Versuch, die menschliche Vernunft in der Übereinstimmung mit der biblischen Wahrheit zu verkünden, also gleichsam die Parallelität von Weltvernunft und Glauben zu konstruieren. Der zweite Weg ist uns nach Immanuel Kant vertraut, er besteht „lapidar gesagt“ darin, Vernunft und Glauben zu entwirren und beiden je ihr eigenes, nicht miteinander konkurrierendes Recht einzuräumen. Unter einem anderen Gesichtspunkt wird sich freilich diese Entzerrung von Vernunft und Glauben als besonders vernünftig erweisen. Dies nachzuweisen, war das Lebenswerk Salomon Ludwig Steinheims, des positivistisch gesonnenen Arztes, dem die Versuchung des Übertritts zum Christentum, der eine ganze Generation deutscher Juden erlag, nicht fremd war. Sein zwischen 1835 und 1865 verfaßtes theologisches Lebenswerk Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge entfaltet in vier Bänden in immer neuen Durchgängen und Erweiterungen die These von der Vernünftigkeit der Trennung zwischen Vernunft und Offenbarung und ist dabei um den Nachweis bemüht, daß im rechtverstandenen rabbinischen Judentum diese Differenz konstitutiv geworden sei; gerade so, wie das historisch entstandene Christentum diese Differenz spätestens seit dem Johannesevangelium zugunsten einer Vermengung von philosophischer Spekulation und messianischem Glauben aufgegeben habe.
Nichts könnte darum auch falscher sein, denn Steinheim als den Philo des neunzehnten Jahrhunderts zu bezeichnen. Denn so sehr Steinheim in Bezug auf Kant das gewesen sein mag, was Philo hinsichtlich Platos war, so sehr nimmt Steinheim gegen Philos Spekulation Stellung, gerade so, wie Kant in der Kritik der reinen Vernunft gegen die rationale Psychologie und Metaphysik des Platonismus Stellung nahm. Mehr noch: Steinheim sah in den großen rationalistischen jüdischen Religionsphilosophen, in Philo von Alexandrien und Baruch Spinoza seine eigentlichen Antipoden, jene Denker, die erst – in der Antike – das Christentum vorbereiteten und dann – im Zeitalter der Aufklärung – die jüdischen Grundideen der Freiheit und Verantwortlichkeit der Menschen verdunkelten. Denn Freiheit und Moralität – so weiß Steinheim von Kant – sind Fakten, die wissenschaftlich und philosophisch nicht beweisbar, sondern als vorgegebene allenfalls zu begreifen sind. Die Freiheit des Menschen aber hängt von Gottes freiem und persönlichem Handeln in der Schöpfung ab; jede Vorstellung von einer an sich ewigen Materie, die der Gott nur gestaltet, oder einer Identität zwischen Gott und Materie zerstört die Grundlagen des sittlichen Lebens. Dieser Umstand war – so Steinheim – Descartes und Kant noch geläufig, während er schon von den jüdischen Hellenisten Aristobul und Philo sowie von Spinoza systematisch verleugnet wurde.
„Das Dasein der Materie war also diesen beiden Denkern [Descartes und Kant, M.B.] dem Vater und dem Reiniger der modernen Philosophie, das Wunder aller Wunder, die Tat des unbegreiflichen, geoffenbarten Gottes. Dies verkennen, oder verdunkeln, oder endlich gar verleugnen, wie es die drei Judenphilosophen, namentlich Philo und Spinoza getan, heißt ‚Gott‘ nicht kennen, sondern nur den schlechten, ohnmächtigen Götzen, der mit dem schwachen Menschen auf einer Linie steht, und der eisernen Notwendigkeit des Faktums und an das Mögliche, was die gleich ihm ewige Materie zuläßt, gebunden, den blinden Mächten des Naturgesetzes unterworfen ist. Wir erblicken in dieser Philosophenlehre mora mathematico den verhüllten Apisdienst, den des goldenen Kalbes, indem sich das zeugend-ordnende Naturferment versinnlicht findet, ein weltordnender Phallus, der nur zeugen, nicht erschaffen kann.“35
Steinheim verbindet in seinem theologischen Werk Motive einer offensiven Polemik frühneukantianischer Art gegen die spekulativen Überlegungen des „Deutschen Idealismus“ auf der Linie Fichte-Hegel-Schelling mit einer soliden geführten Apologetik des Judentums wider rationalistische Religionsphilosophie und romantisch inspirierte Religionsgeschichte. Steinheim hat früh erahnt und richtig gesehen, daß ein sich argumentativ gebender Antijudaismus hier seine stärksten Stützen finden würde. Hier warnte nicht nur das Beispiel Spinoza, sondern auch die unverblümte antijüdische Polemik, wie sie sich im Werk etwa Ferdinand Christian Baurs oder Ignaz von Döllingers, zweier bedeutender Religionswissenschaftler seiner Zeit, findet.36 Und tatsächlich: es war die Religionsphilosophie des Deutschen Idealismus in Verbindung mit Einsichten der religionsgeschichtlichen Schule, die den prononciertesten Antijudaismus nationalsozialistischer Christen, etwa Gerhard Kittels oder Emanuel Hirschs, inspirierte.37
Die Argumentationslinie scheint zwingend: Vor dem Richterstuhl einer aufgeklärten Vernunft gerät nicht nur die Zuverlässigkeit der biblischen Zeugnisse in Beweisnot, sondern auch ihr Inhalt. Wie soll es vernünftig begründet sein, daß Gott sich partikular einem kleinen Hirtenvolk zuwandte und nur ihm die Botschaft von Freiheit und Erlösung vermittelte, nicht aber allen Menschen? Endlich: wenn Vernunft autonom geworden ist, so wird sie sich nicht mehr der Vorgegebenheit eines Textes unterwerfen, sondern das, was sie allein als Gott begreifen kann, nämlich das Absolute, aus eigener Kraft konstruieren. Zudem: historische Forschung schien zu zeigen, daß das Judentum weder die älteste, noch gar die erhabenste Religion war. Die entstehende Orientalistik entdeckte den Glauben Alt-Irans ebenso wie die Systeme etwa des alten Babyloniens, und einem vorurteilsfreien Blick mußten sofort Ähnlichkeiten zwischen diesen Bildungen und dem Judentum auffallen. Schließlich