Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz?. Группа авторов

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einem Familienchat zum selben Thema (z.B. über eine Geburtstagsfeier). Auch wenn das Thema dasselbe ist und die Beteiligten in derselben Beziehung zueinander stehen: Es gibt Unterschiede, die eine Eins-zu-Eins-Entsprechung dieser beiden Kommunikationsereignisse im Nähe/Distanz-Kontinuum verbieten. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass der Familienchat anderen kommunikativen Bedingungen unterliegt als das Gespräch: Im einen Fall sind Produktion und Rezeption der Äußerungen minimal zeitversetzt (im Chat), im anderen Fall vollziehen sie sich zeitgleich (im Gespräch). Ein weiterer Unterschied ist der, dass die Beteiligten im Familienchat vermutlich Ausdrucksweisen verwenden (z.B. Emojis, Ausrufe- und Fragezeichen), die im Gespräch nicht möglich sind – und umgekehrt (z.B. Gesten). Und noch ein dritter Punkt sei genannt: Bestimmte grammatische Konstruktionen sind im Chat unauffällig, in der gesprochenen Sprache dagegen sind sie auch in einem informellen Duktus markiert (z.B. Artikelellipsen). So hat Karina Frick in ihrer Dissertation zu deutschsprachigen SMS gezeigt, dass in SMS-Nachrichten Artikel- und Präpositionsellipsen auftreten (Frick 2017), die spezifischen syntaktischen Bedingungen unterliegen.

      Als Beispiele für solch elliptische Strukturen seien hier einige Auszüge aus schweizerdeutschen Textnachrichten angeführt, die aus dem Schweizer SMS-Korpus stammen: Ø Film ish mega lang gange; das isch Ø hauptsach; bin am sa Ø zürich, am morge bini Ø st. galle.4 Auch zum Französischen findet man in dem SMS-Korpus interessante Belege (z.B. zur Weglassung des Subjekts, vgl. Hey, comment Ø va?). An solchen Daten sieht man, dass durch die neuen Medien (im Sinne von Medium2) neue kommunikative Praktiken entstehen, die spezifische sprachliche Merkmale aufweisen. Mag sein, dass diese Merkmale auch in anderen schriftlich-informellen Kontexten auftreten können (z.B. im Tagebuchschreiben; vgl. Stark/Robert-Tissot 2018), anders als bei der Analyse von Tagebucheinträgen ist man beim Chat aber schnell geneigt, eine Parallele zum Gespräch zu ziehen. Und das wäre falsch: Eine schriftliche Internetkommunikation ist nun einmal kein Gespräch, auch wenn die Nachrichten in kürzesten Abständen hin und her wechseln.

      Zu den neuen kommunikativen Praktiken im Internet gehört aber nicht nur die schriftliche, quasi-synchrone Kommunikation, dazu gehört auch, wie weiter oben bereits betont, das Versenden von Sprachnachrichten. Wie aktuelle Studien zeigen, werden diese immer populärer (vgl. Schlobinski/Siever 2018). Und auch die Mensch-Maschine-Kommunikation (z.B. die Kommunikation mit Sprachassistenten wie Siri oder Alexa) spielt in unserem Alltag eine immer größere Rolle.5 Es bleibt abzuwarten, ob diese neuen Formen der digital-mündlichen Kommunikation ebenfalls auf der Basis des Modells von Koch/Oesterreicher beschrieben werden bzw. auch im Hinblick auf solche Interaktionen die Frage diskutiert wird, ob das Modell darauf anwendbar ist. Peter Koch und Wulf Oesterreicher können sich dazu leider nicht mehr äußern.

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