Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz?. Группа авторов

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Schneider wendet sich damit gegen einen seiner Meinung nach verkürzten Medienbegriff, in dem die Kommunikationsbedingungen (z.B. die Entkoppelung von Produktion und Rezeption) von der Medialität abgetrennt werden und der Umstand nicht berücksichtigt wird, dass es „sowohl im Mündlichen wie auch im Schriftlichen unterschiedlichste mediale Verfahren“ (Schneider et al. 2018, 62) gebe. Dieser Ansatz erinnert in gewisser Weise an das Interaktionskonzept von Hausendorf et al. (2017), nur ist jenes soziologisch, dieses medientheoretisch ausgerichtet: Auch Hausendorf et al. (2017, 41) betonen, dass die Face-to-Face-Kommunikation „weit über Mund und Ohren“ hinausgehe und hierbei nicht notwendig gesprochen werden müsse. Sie schlagen deshalb vor, auf die Termini ‘Mündlichkeit’ und ‘Schriftlichkeit’ zu verzichten und sie durch das Begriffspaar ‘Anwesenheit’ und ‘Lesbarkeit’ zu ersetzen (s.o.). Schneider seinerseits fordert dazu auf, die konzeptionelle Dimension nicht von der Medialität zu trennen und den Medienbegriff anders zu definieren. Er kritisiert, dass „in der Linguistik bis heute ein dinglicher Medienbegriff“ vorherrsche (mit dem er vermutlich sowohl Medium1 als auch Medium2 meint) und an diese Stelle ein prozessorientierter Medienbegriff (= Medium3) treten solle (vgl. Schneider 2016, 553). Daran freilich übt wiederum Thomas Krefeld Kritik (s.o.). Er wendet sich dagegen, die Materialität des Zeichens (also seine Artikulation/Audition) mit der Medialität zu identifizieren (vgl. Krefeld 2018, 12), und vertritt seinerseits einen Medienbegriff, der ansatzweise in eine technische Richtung geht (= Medium2).

      Es gibt also zahlreiche Diskussionen rund um den Koch/Oesterreicher’schen Medienbegriff und verschiedene kritische Stimmen zu dem von ihnen beschriebenen Verhältnis von Medium und Konzeption. Auf einige wichtige Publikationen wurde Bezug genommen (Schneider, Feilke, Androutsopoulos, Selig, Krefeld), auf andere konnte hier nicht eingegangen werden. Deshalb sei an dieser Stelle nochmals auf den instruktiven Sammelband von Feilke/Hennig (2016) verwiesen. Darin findet man sowohl im zweiten Themenblock unter der Überschrift „Zur wissenschaftstheoretischen und -historischen Verortung“ (S. 73–186) als auch im vierten Themenblock „Zur medialen Dimension von Nähe und Distanz“ (S. 333–415) gute weiterführende Literaturhinweise zur Rezeption des Modells.

      4 Koch/Oesterreicher und das Internet

      Kommen wir nun abschließend zu der Frage, was Peter Koch und Wulf Oesterreicher in ihren neueren Publikationen selbst zum Thema ‘neue Medien’ (die ja so neu nicht mehr sind) schreiben und wo die aktuelle Internetforschung in Bezug auf das Verhältnis von Schriftlichkeit (Graphie) und Mündlichkeit (Phonie) steht. Zunächst zum ersten Punkt: In der überarbeiteten Auflage ihres Studienbuchs halten Koch/Oesterreicher fest:

      Die völlig neuen Kommunikationsformen, die sich vor unseren Augen im Bereich der computergestützten Medien inzwischen eingebürgert haben (E-Mail, SMS, chat etc.), sind längst auch auf das Interesse der Linguisten gestoßen. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, dass das Schema in Abb. 5, das allein die Medien Phonie und Graphie berücksichtigt, nicht ausreicht, die Komplexität dieser neuesten medialen Entwicklungen zu erfassen. Einer solchen Einschätzung ist jedoch entschieden zu widersprechen. (Koch/Oesterreicher 2011, 12–14)

      Warum dieser Einschätzung zu widersprechen ist, führen sie im Anschluss daran kurz aus; die Begründung entspricht der, die sie – hier etwas ausführlicher – in ihrer letzten gemeinschaftlichen Publikation vortragen. In diesem Beitrag widmen sie dem Thema sogar ein eigenes Kapitel, das die Überschrift „Neue Medien und Korpuslinguistik“ trägt. Hier stellen sie fest, dass man der Meinung sein könne, dass die „Nähe-Distanz-Unterscheidung […] für die Behandlung dieser medialen Entwicklungen unbrauchbar sei“ (Oesterreicher/Koch 2016, 53), dass diese „irrige Meinung“ aber zurückzuweisen sei. Dann legen sie dar, dass auch die neuesten Kommunikationsformen „im sensorischen Bereich letztlich immer auf dem akustischen Prinzip der Phonie oder auf dem visuellen Prinzip der Graphie“ (Kursivierung im Original) aufbauen würden und deshalb selbstverständlich auch diese „mit den anthropologisch fundierten kommunikativen Kategorien erfasst“ (2016, 53) werden können.1

      In der Tat sind alle drei von ihnen genannten Kommunikationsformen (die E-Mail-, die SMS- und die Chatkommunikation) schriftbasiert; sie basieren auf dem „Prinzip der Graphie“ (s.o.). Daran ändert auch nichts der Umstand, dass in eine E-Mail Audio- oder Videodateien integriert oder in Kombination mit einer Chatnachricht Fotos verschickt werden können. Dagegen beruhen beispielsweise Internettelefonate wie auch das Versenden von Sprachnachrichten auf dem „Prinzip der Phonie“ (s.o.). Natürlich lassen sich beide Modalitäten, Phonie und Graphie, kombinieren, wie dies z.B. ja auch in der massenmedialen Kommunikation, etwa in Fernsehnachrichten, der Fall ist. In einem Nachrichtendienst wie WhatsApp kann beispielsweise umstandslos zwischen Sprechen und Schreiben hin und her gewechselt werden; über ein soziales Netzwerk kann man Texte, Fotos und Videos hochladen, in Skype kann man einen Text-, Video- oder einen Audiochat führen und parallel dazu eine Textdatei oder eine PowerPoint-Präsentation geöffnet haben, über die man sich austauscht. Es wäre aber trotzdem falsch zu behaupten, dass die Grenzen von Phonie und Graphie deshalb aufgehoben würden. Davon gehen z.B. Hausendorf et al. (2017, 377) aus. Sie sprechen davon, dass „die Trennung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit schon auf den ersten Blick brüchig geworden“ sei und „das Lesen mehr und mehr einhergehen mag mit dem Betrachten von Bildern und Videos und dem Hören von Stimmen“. Auch Bahlo/Klein (2017, 181) argumentieren in diese Richtung:2

      Aufkommen und lawinenartige Verbreitung neuer Medien wie E-Mail, Chats, SMS, WhatsApp oder Twitter […] haben zum einen zu einer gewaltigen Ausweitung der Adressaten, mit denen man kommunizieren kann, geführt. Zum anderen haben sie Kommunikationsweisen geschaffen, in denen die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache verwischt und in denen auch nichtsprachliche Mittel wie Bilder oder Musik leicht eingebunden werden können.

      Halten wir dazu fest: Gesprochene und geschriebene Sprache können in Kombination miteinander auftreten, und sie können gemeinsam rezipiert werden (so wenn in Fernsehnachrichten zu Ton und Bild ein Textband läuft). Doch im Produktionsprozess verwischen sich die Unterschiede nicht, man spricht oder man schreibt. Die Komplexität digitaler Äußerungsprodukte (also z.B. von Fernsehnachrichten oder Skype-Konferenzen) macht es aber umso schwieriger, sie adäquat auf das Modell von Koch/Oesterreicher zu beziehen. Ein WhatsApp-Dialog etwa kann aus Sprachnachrichten, Textnachrichten, Fotos oder nur Emojis bestehen. Durch das Internet haben sich zudem die Kommunikationsbedingungen verändert (z.B. hinsichtlich Privatheit und Öffentlichkeit), so dass es auch auf dieser Ebene problematisch ist, das Modell anzuwenden. Koch/Oesterreicher wagen zwar einen Vorstoß in diese Richtung (etwa in Bezug auf den Chat), doch sind die neueren Kommunikationsformen, die sie nennen, oft Teil komplexerer Kommunikationsszenarien (z.B. Facebook), so dass auch deshalb die Einbettung in das Modell an ihre Grenzen stößt (vgl. Dürscheid 2016, 382).

      Schaut man sich aktuelle Arbeiten zur Internetforschung an, stellt man denn auch fest, dass meist nur noch knapp auf das Modell von Koch/Oesterreicher Bezug genommen wird; auch von ‘nähe-’ und ‘distanzsprachlich’ bzw. ‘konzeptionell mündlich’ und ‘konzeptionell schriftlich’ ist nicht mehr so oft die Rede.3 Stattdessen wird in Anlehnung an die Arbeiten von Angelika Storrer zwischen einer interaktionsorientierten und einer textorientierten Schreibhaltung unterschieden (vgl. Storrer 2017). Beim textorientierten Schreiben, so erläutert Storrer, ist das Schreibziel ein Produkt, das aus sich selbst heraus verständlich sein muss, beim interaktionsorientierten Schreiben stehen die Schreiber in einem wechselseitigen Austausch und verfassen ihre Äußerungen in diesem Bewusstsein. Ob diese Unterscheidung sinnvoll ist und ob sie auch auf die mündliche Internetkommunikation übertragen werden kann (z.B. das Telefonat als interaktionsorientierte, die Sprachnachricht als textorientierte Handlung), sei hier dahingestellt. Auf jeden Fall sollte man in der aktuellen linguistischen Internetforschung den Blick nicht mehr nur auf die schriftliche (und bildliche) Kommunikation richten, sondern auch die neueren Entwicklungen in der Internetmündlichkeit berücksichtigen.

      Zum Schluss möchte ich auf einen Punkt zurückkommen, der noch einer Begründung bedarf: Weiter oben wurde

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