Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz?. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz? - Группа авторов страница 16

Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz? - Группа авторов ScriptOralia

Скачать книгу

– und dies selbst dann nicht, wenn ein modalitätsübergreifender Ausdruck benötigt wird. Meist spricht man dann von ‘Äußerungen’ (z.B. Schneider 2016, 336) oder von ‘Äußerungsformen’ (z.B. Dürscheid 2016, 365), die in das Kontinuum eingeordnet werden können, nicht aber von ‘Diskurstraditionen’.11 Auch Kirsten Adamzik nimmt in ihrer Einführung in die Textlinguistik, in der sie die einschlägige Terminologie aus dem Modell von Koch/Oesterreicher kommentiert, nicht auf den Terminus ‘Diskurstradition’ Bezug; sie verwendet ihrerseits den Ausdruck ‘Äußerungsprodukt’ (vgl. Adamzik 2016, 53).

      Damit komme ich zum letzten Punkt dieses Abschnitts, zur Rezeption des Modells in aktuellen textlinguistischen Arbeiten. Die Einführung von Adamzik, die in zweiter, vollständig überarbeiteter Fassung im Jahr 2016 erschien, wurde soeben erwähnt; sie steht im nächsten Abschnitt im Fokus, wenn der Koch/Oesterreicher’sche Medienbegriff diskutiert wird. An dieser Stelle sei noch auf ein anderes Buch eingegangen, das den Titel Textkommunikation. Ein textlinguistischer Neuansatz zur Theorie und Empirie der Kommunikation mit und durch Schrift trägt (Hausendorf et al. 2017) und das, wie bereits aufgrund des Titels zu vermuten, einen schriftbezogenen Ansatz verfolgt. Im zweiten Kapitel ihrer Arbeit sagen es die Autoren deutlich: „Texte sind für uns […] die Erscheinungsform einer durch Schriftlichkeit vermittelten Kommunikation. Ein Gespräch ist für uns also kein Text“ (Hausendorf et al. 2017, 40). Ins Zentrum ihrer Ausführungen stellen sie die „Lesbarkeit“ von Texten, sie fokussieren also stark auf die Rezeptionsseite und sehen in dem Herausarbeiten sogenannter „Lesbarkeitshinweise“ die Kernaufgabe der Textlinguistik. Von der „Lesbarkeit“ unterscheiden sie die „Anwesenheit“, die aus ihrer Sicht die zentrale Kommunikationsbedingung für eine Face-to-Face-Interaktion darstellt. In der Schriftlichkeit (z.B. im Chat) sei eine solche Anwesenheit nicht gegeben, hier zähle einzig der Moment der Lektüre, wobei mit jeder neuerlichen Lektüre die Lesbarkeit des Textes neu realisiert wird (vgl. Hausendorf et al. 2017, 35).12 Von einer Interaktion könne man deshalb nicht sprechen; es handle sich um eine „Kommunikation mit und durch Schrift“, deren konstitutives Merkmal gerade nicht die Anwesenheit der Kommunikationspartner ist. Hausendorf et al. (2017, 36s.) halten fest: „Anwesenheit beim Lesen und Schreiben mag zwar in der Evolution der Textkommunikation von Fall zu Fall eine Rolle spielen, ist aber in der Gegenwart ein klar beschreibbarer Spezialfall.“ Ein solcher Spezialfall liegt z.B. vor, wenn ein Schüler im Beisein eines anderen eine Nachricht aufschreibt und den Zettel dann an diesen weiterreicht (z.B. im Klassenzimmer).

      Im Kontext dieser Überlegungen zu Anwesenheit und Lesbarkeit (und damit zu Interaktion und Nicht-Interaktion) diskutieren Hausendorf et al. (2017) auch die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Sie heben nachdrücklich hervor, dass es sich dabei keineswegs um Entsprechungen handle: „Die Unterscheidung von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit fällt […] nicht mit der von uns postulierten Unterscheidung von Anwesenheit (als Bedingung von Face-to-face-Interaktion) und Lesbarkeit (als Bedingung textbasierter Kommunikation) zusammen“ (Hausendorf et al. 2017, 40). Nun mag man einwenden, dass dies auch niemand vermutet habe, da die Unterscheidung von Anwesenheit und Lesbarkeit nicht auf den Duktus von Äußerungen abzielt, sondern auf die Phonie bzw. Graphie (und damit im Sinne von Koch/Oesterreicher auf die mediale Ebene von Mündlichkeit und Schriftlichkeit). Liegt hier möglicherweise eine Verwechslung vor, sollte im Zitat statt von konzeptioneller von medialer Mündlichkeit und Schriftlichkeit die Rede sein? Die Vermutung wird dadurch bestärkt, dass an späterer Stelle im Text (vgl. S. 43) festgehalten wird, die Unterscheidung in Lesbarkeit und Anwesenheit sei dichotomisch zu verstehen. Denn dies gilt für die mediale Ebene im Modell von Koch/Oesterreicher ebenfalls: Phonie und die Graphie sind zwei getrennte Einheiten, dem „dichotomischen Verhältnis von ‘graphisch’ und ‘phonisch’ beim Medium“ werden die „kontinualen Verhältnisse bei der Konzeption“ (Oesterreicher/Koch 2016, 20) gegenübergestellt.

      Doch auch von einer solchen Zuordnung (d.h. Anwesenheit – Phonie, Lesbarkeit – Graphie), die zunächst recht naheliegend scheint, grenzen sich die Autoren ab. Das machen sie z.B. deutlich, wenn sie schreiben: „Unser Argument für die Unterscheidung von Anwesenheit und Lesbarkeit ist ein kommunikationstheoretisches, das mit der Unterscheidung von gesprochener vs. geschriebener Sprache nicht angemessen wiederzugeben ist“ (Hausendorf et al. 2017, 40).13 In ihrem Fazit plädieren sie deshalb dafür, ganz auf „die schillernde Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ zu verzichten und diese „durch die kommunikationstheoretisch eindeutige Unterscheidung von Lesbarkeit und Anwesenheit“ zu ersetzen (Hausendorf et al. 2017, 43). Die Frage stellt sich, ob dieser Vorschlag auf theoretischer Ebene weiterführend ist – auch weil es z.B. durch die neuen Kommunikationstechnologien Fälle gibt, wo Anwesenheit virtuell gegeben ist (z.B. Kopräsenz an der Tastatur beim Chat), die Kommunikation aber doch schriftlich (bzw. im Sinne von Hausendorf et al. (2017) über ‘Lektüremomente’) erfolgt. Weiter sei mit Kirsten Adamzik angemerkt, dass es sich heute weitgehend durchgesetzt hat, auf konzeptioneller Ebene von ‘Nähe’ und ‘Distanz’ zu sprechen (und nicht mehr von ‘Mündlichkeit’ und ‘Schriftlichkeit’), da es problematisch sei, prinzipiell völlig Unterschiedliches „gleichermaßen mit den Ausdrücken Mündlichkeit/Schriftlichkeit zu belegen, also die übertragene Lesart mit der Medialität terminologisch zu vermischen“ (Adamzik 2016, 76; Kursivierung im Original).

      Sowohl in der Medienlinguistik als auch in der Sprachdidaktik und in der Textlinguistik findet also eine intensive Auseinandersetzung mit dem Modell von Koch/Oesterreicher statt. Diese gestaltet sich in der Textlinguistik – wie im Falle von Hausendorf et al. (2017) – tendenziell kritisch, in anderen Arbeiten eher affirmativ (so z.B. in der germanistischen Sprachdidaktik). Doch auch die kritischen Stellungnahmen machen deutlich, dass die Begrifflichkeiten ‘Nähe/Distanz’, ‘Medium/Konzeption’ und ‘Mündlichkeit/Schriftlichkeit’ in der Germanistik wichtige Referenz- bzw. Reibungspunkte darstellen.14 Das gilt insbesondere für den Medienbegriff, der in der Literatur zum Teil kritisch diskutiert wird. In ihrem Beitrag zur Rezeption des Nähe/Distanz-Modells bringt Maria Selig diese Reaktionen wie folgt auf den Punkt: „Die Argumentationen im Zusammenhang mit dem Modell sind häufig gekennzeichnet von einer Art Frontstellung der Medialität gegenüber“ (Selig 2017, 119).15 Um welche Frontstellungen es sich dabei handelt, ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.

      3 Medienindifferenz und Medienvergessenheit

      Koch/Oesterreicher beziehen den Ausdruck ‘Medium’, wie sie in ihrem 1985er-Aufsatz schreiben, auf „die beiden Realisierungsformen für sprachliche Äußerungen“ (1985, 17), auf die phonische und auf die graphische Ebene. Man mag diese Engführung problematisch finden (siehe dazu einzelne Beiträge in dem Sammelband von Feilke/Hennig 2016); man muss dies aber zunächst einmal zur Kenntnis nehmen. Das gilt um so mehr, wenn man das Modell aus medienlinguistischer Sicht betrachtet. In der Medienlinguistik (und so auch in der neueren Internetforschung) herrscht ein anderes Medienverständnis vor, Medien werden hier als Institutionen (z.B. Fernsehanstalten), als Publikationsformen (z.B. Zeitungen) oder als technische Hilfsmittel gesehen – und schnell besteht die Gefahr, diese Konzepte in Verbindung zu ‘Medium’ bei Koch/Osterreicher zu bringen. Auf den Umstand, dass sie ihrerseits von einem anderen Medienbegriff ausgehen, weisen Koch/Oesterreicher in ihren neueren Arbeiten aber deutlich hin (vgl. Koch/Oesterreicher 2011, 14).

      Einen instruktiven Überblick über die verschiedenen Deutungen des Medienbegriffs findet man sowohl in der Medien-Kulturgeschichte von Wolfgang Raible (vgl. Raible 2006, 12) als auch in der Textlinguistik-Einführung von Kirsten Adamzik (vgl. Adamzik 2016, 61). Adamzik stellt fest, dass man für das, was Koch/Oesterreicher unter ‘Medium’ verstehen, „inzwischen […] einen anderen Terminus vorzieht, nämlich Modus bzw. Modalität“ (Adamzik 2016, 64; Fettdruck im Original). Koch/Oesterreicher verwenden den Ausdruck ‘Modalität’ gelegentlich auch selbst, so z.B., wenn sie in ihrer letzten gemeinschaftlichen Publikation erläutern, dass Medien (in ihrem Sinne, C.D.) bestimmte „sensorische Modalitäten“ ansprechen und dieses Konzept von Medien von „Speicher- und Übertragungsmedien, Telefon, Internet usw.“ (Oesterreicher/Koch 2016, 53) zu unterscheiden sei. Diese beiden Medienbegriffe werde ich im Folgenden mit Medium1

Скачать книгу