Ich glaubte immer an die Kraft in mir. Bianca Sissing
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ich glaubte immer an die Kraft in mir - Bianca Sissing страница 4
Es schien so, als hätten ihre Stärken ein perfektes Zusammenspiel ergeben können. Doch es kam anders. Leider gewannen ihre Schwächen die Überhand. Sie versuchten, sich in meiner Gegenwart nicht zu streiten und anzuschreien, doch das hat nicht immer geklappt. Das Verrückteste, was durch den Raum flog, war – soweit ich mich erinnere – eine heiße Tasse Kaffee. Zum Glück verfehlte sie meinen Vater um ein paar Zentimeter und traf die Wand hinter ihm. Es blieben Kaffeeflecken zurück, die noch viele Jahre lang zu sehen waren.
Irgendwann, erinnere ich mich, lebte mein Dad nicht mehr mit uns zusammen. Meine Eltern glaubten, dass es besser sei, getrennt zu leben, vielleicht würden sie sich dann weniger streiten, sich besser verstehen, und ich würde nicht mehr länger Zeuge ihres Unfriedens. Also blieben Mom und ich im Haus und Dad fand eine Wohnung. Ich war damals sechs Jahre alt.
Im Krankenhaus
»Den Charakter eines Menschen kann man daran erkennen, wie er diejenigen behandelt, von denen er glaubt, dass sie nichts für ihn tun könnten, denn jeder kann etwas für jemand anderen tun.«
Mom und ich lebten in dem Haus in der Branstone Road noch etwa ein Jahr, nachdem Dad ausgezogen war. Dann zogen wir innerhalb von zwei Jahren zweimal um. Dad zog dann in das Haus zurück, in die Souterrainwohnung, und vermietete den oberen Teil des Hauses. Ich besuchte ihn manchmal in der Woche und an den Wochenenden. Dann fuhren wir ab und zu zum Zelten in den Haliburten Forest & Wild Life Reserve Ltd. Ich liebte es, mit Dad zu zelten. Das war richtiges, kanadisches Zelten. Wir mussten vier Stunden fahren, um zu unserem kleinen Platz in der Wildnis zu kommen, der in der Mitte des Waldes an einem See lag, wir hatten einen einfachen kleinen Anhänger mit, und auf dem Platz war eine Feuerstelle. Wir gingen stundenlang fischen, saßen in einem Boot, manchmal redeten wir und manchmal waren wir einfach nur still. Wir genossen die Natur und warteten darauf, dass ein Fisch anbiss. Oder wir wanderten stundenlang durch den Wald und entdeckten die Details des Waldes. Diese Ausflüge hatten eine starke Wirkung auf mein Leben. Bis heute liebe ich es, im Wald spazieren zu gehen. Ich kann stundenlang auf verschiedenen Wegen wandern, mir die Bäume anschauen und die durch das Wetter verursachten Veränderungen beobachten. Ein Wald ist ein magischer Ort, voller natürlicher Energie, mit der wir uns aufladen können, wenn wir dessen gewahr und offen dafür sind.
Zwei Jahre nach Dads Auszug, 1986, verschlechterte sich Moms Zustand derart, dass sie mit der Diagnose starke endogene chronische Depression in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert wurde.
Bis dahin wusste ich nur, dass Mom manchmal traurig war und manchmal wütend. Zuweilen schlief oder weinte sie sehr viel, aber ich verstand nie warum. In diesen frühen Jahren hatte Mom, wenn es darauf ankam, wirklich alles verdammt gut im Griff. Sie hatte gute Jobs, schöne Kleider an, hielt sich fit (außer dem Rauchen) und hielt das Haus in Ordnung. Wir sind zurechtgekommen und waren beide aktiv. Doch als wir unser altes Haus verließen, begannen die Dinge, sich langsam aufzulösen. Es gelang Mom wirklich gut, ihre Depressionen vor mir zu verstecken. Ich merkte damals noch nicht, wie schlecht es wirklich um sie stand. Wie konnte ich auch? Ich war erst sieben Jahre alt.
Dann musste Mom eines Tages ins Krankenhaus gehen, in eine psychiatrische Klinik, und dort bis auf Weiteres bleiben.
Ich lebte von da an bei meinem Vater, der jetzt mit einer anderen Frau zusammenlebte. Mom und Dad waren nie verheiratet gewesen. Ich war ein uneheliches Kind und trug Moms Nachnamen. Das hat manchmal zu vielen Fragen geführt, zum Beispiel: Warum hatte ich einen anderen Nachnamen als mein Dad? Damals, in den Achtzigerjahren, war es noch verpönt, ein außereheliches Kind zu haben. Dad wollte heiraten und hatte Mom sogar gefragt, doch Mom hatte ihre Gründe, warum sie nicht heiraten wollte.
Nun veränderte sich meine Lebenssituation extrem. Dad vermietete unser ganzes Haus und lebte mit seiner Freundin und ihren beiden Töchtern in deren Haus. Das hieß, dass ich auch bei ihnen leben musste. Wow! Das waren für eine Siebenjährige bedeutende, traumatische Lebensveränderungen. Mom musste ins Krankenhaus, Abteilung Psychiatrie, niemand wusste wie lange, und ich zog in ein fremdes Haus, zu meinem Vater, seiner Freundin und ihren beiden Töchtern. Und ich musste die Schule wechseln. Heute bin ich erstaunt darüber, dass ich nicht depressiv wurde oder ein wildes, unkontrollierbares Kind. Wenn ich daran zurückdenke, sehe ich, dass meine einzige Möglichkeit, das alles durchzustehen war, immer positiv zu denken, immer nach dem silbernen Faden am Horizont Ausschau zu halten, und zu ahnen, dass es noch schlimmer sein könnte, und dass es irgendwann besser wird.
Vielleicht fragst du dich jetzt: »Woher weiß eine Siebenjährige, dass es gut ist, positiv zu denken und zu überlegen, dass die Umstände noch schlimmer sein könnten?« Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, woher oder warum ich das wusste. Ich wusste es einfach. Ich dachte, dass Mom im Krankenhaus ist, damit es ihr wieder besser geht, und wenn ich bei Dad lebte, konnte ich mehr Zeit mit ihm verbringen, was auch positiv war. Ich wusste, dass es Kinder gab, die gar keine Eltern mehr hatten, die sich um sie hätten kümmern können, und die bei fremden Leuten lebten. Und dass war meinem Gefühl nach noch schlimmer als meine Situation. Ich lebte einen Tag nach dem anderen und konzentrierte mich nur darauf, diesen Tag zu erleben.
Schon im Alter von sieben Jahren und durch die Erfahrungen der letzten zwei Jahre wusste ich, dass der nächste Tag wieder völlig anders sein konnte als der heutige, und dass sich in einem Moment alles verändern kann. Ich versuchte, so gut ich konnte, in jedem Moment positiv zu denken, und ich glaubte, dass, wenn ich positiv eingestellt bliebe, sich die Dinge dann entsprechend positiv entwickeln würden. Großartige Gedanken für eine Siebenjährige. Ja, aber wenn man in einem so zarten Alter schon so viel erlebt hat, dann entwickeln sich die Gedanken, Handlungen und Emotionen über das Alter hinaus.
Meine Eltern einigten sich darauf, dass ich Mom im Krankenhaus besuchen durfte, wann immer ich wollte. Das einzige Problem, das sich daraus ergab, war, dass das Krankenhaus ziemlich weit von uns entfernt lag, und nach der Schule gab es immer recht viel Verkehr, entweder auf dem Weg ins Spital oder auf dem Weg nach Hause. Da Dad wusste, dass es wichtig für mich und für Mom war, dass wir uns regelmäßig sahen, machte er es möglich. Manchmal war die Zeit im Auto länger als die tatsächliche Besuchszeit. Aber so war das eben. Und es war gut, dass wir uns überhaupt sehen konnten.
Mom im Krankenhaus zu besuchen, insbesondere auf der psychiatrischen Station, war …, na, sagen wir ein außergewöhnliches Abenteuer für eine Siebenjährige. Da waren alle möglichen Leute. Einige von ihnen sahen normal aus, wie Mom, andere irgendwie krank, fahl, mit schlaffen Augen. Sie hatten keine Energie. Wieder andere waren völlig überladen mit Energie und konnten nicht stillsitzen. Und manche sah man gar nicht, man hörte durch die Wände und Türen nur ihr lautes Schreien und merkwürdige Laute. Wenn ich durch die Flure ging, bekam ich viele verschiedene Dinge mit, die ich nicht kannte. Ich hörte und sah Leute, die auf entsetzliche Weise schrien oder stöhnten, wovon jedes Kind beängstigende Träume haben würde. Ich sah Leute, die unkontrollierbare Anfälle und Wutausbrüche hatten, die von den Krankenschwestern festgehalten werden mussten, um ruhiggestellt zu werden. Ich sah manche, die sich selbst schlugen, die sich mit sich selbst unterhielten oder mit einem leeren Stuhl neben sich. Oder sie sagten unsinnige Dinge zu Leuten, die sie gar nicht kannten. Obwohl ich so etwas nie zuvor erlebt hatte, hatte ich niemals Angst. Mom versicherte