Ich glaubte immer an die Kraft in mir. Bianca Sissing

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Ich glaubte immer an die Kraft in mir - Bianca Sissing

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ein paar Minuten allein zu sein und meinen eigenen Gedanken nachzugehen.

      Wirklich genossen habe ich, solange ich bei Dad lebte, dass wir etwas mehr Zeit zusammen verbrachten. Direkt gegenüber des Hauses, auf der anderen Straßenseite, lag ein großer Park. Dort haben wir viel Zeit verbracht. Es gab eine Grünfläche mit Gras und Bäumen, ein Basketballfeld und einen großen Spielplatz mit Schaukeln, Rutschen, Klettergerüsten und verschiedenen anderen Dingen zum Spielen. Die Schule, die ich nun besuchte, war in derselben Straße, drei Häuser entfernt. In der ganzen Nachbarschaft lebten viele Kinder, mit denen ich spielen konnte, und ich liebte es, in den Park zu gehen.

      Dad und ich begannen wieder mit unseren Krankenhausbesuchen bei Mom. Er hörte dann etwas früher auf zu arbeiten, holte mich von der Schule ab, und wir fuhren gegen Abend durch den Feierabendverkehr zum Krankenhaus. Mom und ich hatten dann etwas Zeit miteinander. Wir redeten darüber, was ich in der Schule machte, und ich zeigte ihr meine Hausaufgaben. Schnell ging die Zeit vorbei, Dad und ich sagten Adieu und fuhren nach Hause. Inzwischen kannten mich die Doktoren und Schwestern, und sogar einige der Patienten, mit denen Mom sich angefreundet hatte, und wir grüßten sie immer. Ich gewöhnte mich an die Atmosphäre in der psychiatrischen Abteilung, und es störte mich nicht mehr, wenn andere Patienten mir ihre interessanten Erfahrungen mitteilen wollten. Während der nächsten paar Monate wurden die Krankenhausbesuche zur Routine.

      Ein schüchternes Kind

       »Individualität ist etwas Wunderbares.

       Habe den Mut, du selbst zu sein.«

      Ich war ein schüchternes Kind. Und wenn ich schüchtern sage, dann meine ich extrem schüchtern. Es dauerte lange, bis ich mit Menschen warm wurde. Wenn ich nicht mit ihnen warm wurde, dann habe ich auch nicht mit ihnen geredet oder eben nur das Nötigste, um höflich zu sein. Stellten Fremde mir eine Frage, dann schaute ich meine Mutter oder meinen Vater an und wartete darauf, dass sie für mich antworteten. Das Wort »Fremde« schloss auch Bekannte ein, die ich regelmäßiger sah, wie zum Beispiel den Bankangestellten, den Apotheker, die Sprechstundenhilfe beim Arzt. Für mich waren das immer noch Fremde, und ich habe mich nicht immer wohl dabei gefühlt, mit ihnen zu sprechen. Bereits in der Elementary School sagten die Lehrer, dass ich mich mehr am Unterricht beteiligen, melden und Fragen stellen sollte. Die einzige negative Bemerkung in meinem Zeugnis war immer: »Bianca muss sich mehr am Unterricht beteiligen. Bianca ist zu still in der Klasse.« Ich sah einfach nicht die Notwendigkeit, immer zu reden oder ständig etwas zu kommentieren. Wenn ich nicht das Bedürfnis hatte zu reden, dann sagte ich eben auch nichts.

      Weil ich so schüchtern war, dachten die anderen Kinder in der Schule, dass ich unfreundlich und arrogant sei, dass ich mich für etwas Besseres hielt als sie. In Wirklichkeit war ich einfach nur zu schüchtern und wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Freunde wussten das. Sie haben mich immer unterstützt und den anderen Kindern erzählt, dass ich in Wirklichkeit sehr freundlich sei, aber zu Anfang einfach nur sehr schüchtern. Wenn ich die Menschen erst einmal kennengelernt hatte, öffnete ich mich, und sie lernten mein wahres Ich kennen. Denn eigentlich war ich entspannt, unkompliziert, spontan und lustig.

      Als ich älter wurde, nahm meine Schüchternheit allmählich ab. Sie war allerdings der Grund, warum ich anfing, als Model zu arbeiten. Aber dazu später. Was mir auch half, meine Schüchternheit zu überwinden war, dass ich für Mom stark und unterstützend sein musste, wenn es ihr nicht gut ging. Je älter ich wurde, desto mehr Verantwortung für die alltäglichen Aufgaben übernahm ich, wenn Mom es nicht schaffte, aus dem Bett zu kommen. Dann habe ich eingekauft, die Wäsche erledigt und andere Besorgungen gemacht, was eben gerade zu tun war. Manchmal, wenn ich ans Telefon ging, war eine Firma dran, der wir Geld schuldeten, wie zum Beispiel dem Elektrizitätswerk oder der Telefongesellschaft. Dann habe ich gesagt, dass Mom nicht zu Hause sei. In Wirklichkeit lag sie im Bett und schlief. In der ersten Zeit musste ich meine Schüchternheit schnell überwinden, um diese Dinge machen zu können. Wenn ich unterwegs war, um Besorgungen zu erledigen, war ich immer sehr reserviert und sachlich. Ich ging raus, erledigte, was ich zu tun hatte, aber erhielt die Mauern um mich herum aufrecht und ging wieder nach Hause.

      Ein Grund dafür, warum ich eine Mauer um mich herum aufrechterhielt, war mein Aussehen. Ich war immer sehr groß. Ich entwickelte mich ganz allgemein schneller, als es meinem Alter entsprach und sah daher älter aus, als ich war. Seit meinem zehnten Lebensjahr schauten die Männer sich nach mir um und dachten, ich sei ein Teenager. Sie dachten, was auch immer Männer denken, wenn sie einen jungen Teenager anschauen! Einmal kauften meine Mom und ich in einem Supermarkt Lebensmittel ein. Da bemerkte ich zwei erwachsene Männer, die mich anschauten und miteinander redeten. Zuerst versuchte ich, sie zu ignorieren. Doch sie starrten weiter und es schien, dass sie uns folgten. Ich fing an, mich unwohl zu fühlen, und sagte es Mom. Sie hatte die Männer bisher nicht bemerkt und beobachtete nun die Situation sehr diskret, um zu sehen, wie weit die Männer gehen würden. Dann ging Mom auf die beiden zu und bat sie sehr höflich, damit aufzuhören, mich, ihre zehnjährige Tochter, anzustarren, und sagte ihnen, dass ich mich unwohl dabei fühlte. Die Männer entschuldigten sich sofort und sagten, dass sie mich sehr schön fänden und natürlich gedacht hätten, dass ich älter sei. Mom bedankte sich für das Kompliment und unsere Wege trennten sich.

      Eine andere ähnliche Situation, die ich nie vergessen werde, ergab sich, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Mom und ich warteten an einer Bushaltestelle. Wenige Meter dahinter waren ein paar Geschäfte, und ich ging hin, um mir die Schaufenster anzuschauen. Mom blieb etwa vier Meter entfernt an der Bushaltestelle stehen. Da kam ein junger, hochgewachsener Mann auf mich zu, ich schätze, er war Anfang 20, und fragte, ob ich Feuer hätte. Welch eine typische Art anzubändeln. Ich sagte »Nein«, drehte mich um und schaute wieder in das Schaufenster. Dann fragte er mich, ob ich hier in der Nähe wohne. Ich antwortete »Nein«, und starrte, in der Hoffnung, dass er mich verstanden hätte und mich in Ruhe lassen würde, weiter ins Schaufenster.

      Aber der junge Mann war hartnäckig. Er fragte mich, wo ich hinwolle, was ich heute noch vorhätte, und ob ich vielleicht mit ihm einen Kaffee trinken gehen möchte. Ich drehte mich um, lächelte und ging langsam zu Mom. Natürlich kam er nach. Als wir neben Mom standen, sagte ich: »Das ist meine Mutter.« Ich dachte, jetzt würde er merken, dass ich viel zu jung war, dass er es dabei belassen und seines Weges gehen sollte. Nee, er war willensstark oder nicht so clever. Er schaute Mom an und meinte: »Ich habe Ihre Tochter gerade gefragt, ob sie einen Kaffee mit mir trinken gehen würde.« Mom lächelte und sagte: »Und was hat sie gesagt?« Der Mann antwortete: »Na ja, sie hat noch nicht geantwortet«, und schaute mich an. Mom und ich lächelten uns an und sie meinte: »Das ist wahrscheinlich, weil sie erst zwölf Jahre alt ist und nicht mit erwachsenen Männern Kaffeetrinken geht. Wir gehen in die Kirche. Sie können gern mitkommen, wenn Sie mögen.« Der junge Mann war nun ganz verlegen, entschuldigte sich und ging seines Weges.

      Erfahrungen wie diese haben mich gelehrt, eine Mauer um mich zu bauen, um mich zu schützen. Ich musste mich schützen, damit nichts passierte, wenn ich allein war. Die Mauer bestand aus einem ernsten Gesichtsausdruck, knapper, sachlicher Kommunikation, einem schnellen Gang, und manchmal, wenn ich das Gefühl hatte, dass es am besten war, dann redete ich nicht. Sei stark, halte Abstand, dann wird dir hoffentlich niemand etwas tun. Das war mein Motto und mein Schutz in meiner Kinder- und Jugendzeit.

      Ich glaube, meine Schüchternheit half mir auch in stressigen oder hektischen Situationen, ruhig zu bleiben. Ich überlegte immer, bevor ich etwas sagte. Ich dachte vorher darüber nach, was und wie ich es sagen und wie ich verstanden werden wollte, und wie die andere Person darauf reagieren könnte. Okay, manchmal habe ich vielleicht zu viel analysiert und zu lange überlegt. Aber das war meine Natur, eher achtsam zu sein, vorsichtig und langsam, anstatt schnell, unachtsam und leichtsinnig.

      Wenn Leute einfach so drauflos plappern und sagen, was ihnen gerade durch den Kopf geht oder was ihnen einfällt, ohne nachzudenken, dann kann es missverständlich werden, es kann im falschen Tonfall oder mit den falschen Worten herauskommen und sogar verletzend

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