Die Bewusstseinsrevolution. Sebastian Siegel
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Die Kosmologie ist die Erforschung und das Studium der natürlichen Ordnung des Universums oder des Multiversums, wobei die Theorie des Urknalls eine zentrale Rolle spielt. Schon Pythagoras verwendete das Wort »Kosmos« in Bezug auf das physikalisch beobachtbare Universum. Der Naturforscher Alexander von Humboldt publizierte ein Werk mit dem gleichen Titel, dessen Untertitel lautet: »Entwurf einer physischen Weltbeschreibung.« Schließlich benutzte auch der amerikanische Philosoph Ken Wilber in seinem Magnus Opus Eros, Kosmos, Logos (ebenso wie in dem kürzeren, leichter zugänglichen Eine kurze Geschichte des Kosmos) den Begriff »Kosmos«, der auch im englischen Original mit »K« geschrieben wird, und er bezieht sich dabei auf die gesamte Evolution allen Seins, einschließlich der Materie, des Lebendigen und des Geistigen. Wilber bezieht also die Evolution des Bewusstseins in seine Beschreibung des Kosmos mit hinein, im Gegensatz zu der Beschränkung auf die Materie in einem Buch wie Eine kurze Geschichte der Zeit des Physikers Stephen Hawking.
Wichtig ist hier folgender Gedanke: Jenseits des physischen Kosmos, der ohnehin schon spektakulär ist, gibt es eine prachtvolle, wunderbare Realität, aus der die physische Materie hervorspringt. Bewusst an dieser Realität teilhaben bedeutet, den Reichtum der physikalischen Wirklichkeit zu vermehren. Es gibt Geist und es gibt Gehirne, genauso wie es den Traum gibt und einzelne Träume. Aufzuwachen heißt nicht, dass etwas von dem Traum hinweggenommen oder dass der Traum reduziert wird. Aufzuwachen heißt, dass das Schauspiel des Lebens illuminiert wird und immer weitere Schichten des kosmischen Kontextes sichtbar werden.
Eines Nachmittags – ich war gerade kurz vorher nach Kalifornien gezogen – ging ich in einen Laden in South Central Los Angeles, um ein Getränk zu kaufen. Ich unterhielt mich mit dem Kassierer, der halb blind war. Da klingelte die Ladenglocke und ein Bekannter des Kassierers kam herein. »Was gibt’s Neues, was ist los«, begrüßte er diesen. Darauf der Kassierer: »Genau, das ist die Frage! Was ist los? Was ist wirklich los? Das möchte ich auch wissen.«
Und das ist in der Tat die Frage: »Was ist eigentlich wirklich los? Woher kommt die Wärme, die das Feuer wärmt, das es ihm seinerseits erlaubt, das Zimmer zu heizen? Wer oder was ist das »es« in »es regnet«? Beobachte einen Schwarm Vögel oder Fische. Erlebe, wie sich die Herzschläge von Mutter und Kind synchronisieren. Dann wirst du vom Spirit, vom Geist berührt, von dem ewigen Du, von der Einheit, die ist und die immer war. Der Geschmack und die Konsistenz des Samadhi – der tiefsten Versenkung jenseits allen Denkens – ist um dich herum. Es ist der Geschmack einer unendlich reichen Leere, der Geschmack eines gewaltigen Nichts, in dem alle Möglichkeiten unvermeidlich sind.
Luft schmeckt nach Wasser, Wasser schmeckt nach Milch und Milch schmeckt nach Honig. So wie in dem Laden in Los Angeles gibt es auch in dir einen Blinden und einen Freund. Manchmal muss der Freund den Blinden aufsuchen und ihn darum bitten, ihm zu helfen, die Welt anders zu sehen. Die Antwort auf das Rätsel liegt im Prozess des Erwachens selbst. Du brauchst es nicht auf einem Berggipfel im Himalaja zu suchen oder darauf zu warten, dass ein Guru es dir zuflüstert. Nein, du findest es im Laden an der Ecke, 24 Stunden am Tag geöffnet. Der Schlüssel ist immer schon in deiner Tasche.
Der Traum
Eine schöne Seite der Nichtdualität ist die Wiedergeburt der Dualität, die Freude des Auf-die-Welt-Kommens. Was in einem nicht linearen Traumzustand oder im Zustand meditativer Versunkenheit geschieht, kann wunderbar unbeschreiblich sein. Das Göttliche ist ohnehin nicht in Worten ausdrückbar. Aber auch das Greifbare, das Erfahren und Erleben bringen Wachstum, Schmerzen und viel Schönheit.
Du kennst diesen Moment, wenn du im völligen Wachzustand auf den Mond schaust, der die unsichtbare Sonne hell reflektiert, und du den Mann siehst und dann den Hasen, wenn dann urplötzlich diese Ahnung aus deinem Inneren aufsteigt und du das Selbst siehst, das ewige Selbst, das jenseits deiner selbst ist und alles Selbst durchdringt.
Die Wahrnehmung der Zeit ist ein Produkt der Evolution, ein im Entstehen begriffener, funktionaler Aspekt der linearen Organisationsweise des menschlichen Geistes. Ihr Zweck ist es, das Überleben in dieser relativen Welt zu ermöglichen. Das Sterben ist also nicht so tragisch, wie nicht wiedergeboren zu werden. Und da bin ich, da bist du – da ist die glorreiche Wiedergeburt von allem, genau dort im Licht des Mondes, der Tod und die Wiedergeburt, von Augenblick zu Augenblick. Es ist so, als folge man einem Stern, dessen Funktion es ist, dich gerade so weit in die Irre zu führen, dass du wiedergefunden werden kannst. Das genau ist der Telefonanruf Gottes.
Was die menschliche Kognitionsfähigkeit angeht, so ist die Ironie ja die Tatsache, dass der Verstand beständig versucht, etwas zu »fassen«, und zu be-«greifen«, was außerhalb seiner Reichweite liegt. Der Verstand ist eine außerordentliche Maschine, machtvoll, aber gleichzeitig beschränkt. Der Verstand ist allenfalls in der Lage, eine Straßenkarte zu erstellen, auf der die Pforten in eine andere Welt markiert sind. Jenseits dieser Pforten gibt es keine Straßen mehr, nur noch unbefahrenes Gelände. Erfahre die Gesamtheit der Existenz, indem du sie mit dir selbst füllst. Und da du selbst ein Teil dieser Existenz bist, füllt sie gleichzeitig auch dich. Alles ein und dasselbe.
Das Bewusstsein geht der Realität voraus. Die materielle Welt entsteht aus dem einen, einzigen Bewusstsein, aus dem nichtdualen So-Sein. Es wächst und entwickelt sich … um sich dann erneut selbst zu transzendieren. Die Physikalität der Existenz ist nur ein Aspekt dieses Entwicklungsprozesses. Und da ist es: Es deutet auf etwas hin, was im Jenseits liegt und gleichzeitig alles durchdringt. Genau hier, im tiefen Purpur eines Blütenblattes, dem Dunkelblau des weiten Ozeans, der Elektrizität, die freigesetzt wird, wenn man in ein lächelndes Auge schaut – genau hier, im Mondlicht.
Die Formeln der Physik können den Verstand durchaus in die Welt jenseits der Wahrnehmung hinausführen. Um allerdings die Majestät der himmlischen, ewigen und unsäglichen Weiten aufzuzeigen, braucht man die Ausdrucksmittel der Künstler und Dichter, die über den beschränkten Verstand hinausreichen. Solche Mittel sind die Poesie, das Filmemachen, die Kunst, die Mutterschaft und die Gartenarbeit. Oder einfach das Sich-selbst-Sein, sein eigenes wundervoll lächerliches Selbst. Der Traum geht weiter. Und du bist da, für immer.
KAPITEL 3
Das zweite Satori und sich selbst feiern lernen
Das zweite Satori
Als ich drei Jahre alt war, zog unsere Familie von Oxford in England nach Hawaii. Mein Vater trat eine Professorenstelle in Vergleichender Religionswissenschaft an, mit den Religionen Indiens als Spezialgebiet. Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehören seine Vorlesungen, in die ich mitgehen durfte. Eines Morgens sprach er über den Taoismus und über Zen. Sein Thema war der chinesische Begriff des Wu Wei – Handeln, ohne etwas zu erzwingen. Das Wort »Wu« bedeutet»nicht« oder »ohne«, und »Wei« kann mit »handeln« oder »tun« übersetzt werden. Der Begriff bezieht sich also sowohl auf das Nichthandeln als auch auf das Handeln im Einklang mit der Natur, ohne jeden Zwang.
Stell dir vor, du hältst die Blüte einer Blume in der Hand. Wenn dein Griff zu leicht ist, fliegen die Blütenblätter davon. Wenn er zu fest ist, zerdrückst du sie. Wu Wei, Handeln ohne Zwang, ist ein Beispiel für Anmut. Es veranschaulicht außerdem ein Paradox, das eigentlich jeder Aktivität innewohnt. Wenn du dich in einer Beziehung nicht genug deinem Partner zuwendest, läuft sie Gefahr, schwächer zu werden und zu zerbrechen. Wenn du hingegen deinem Partner nicht genug Raum lässt und sie oder ihn erdrückst, auch dann zerstörst du die Beziehung. Das gilt auch für unwillkürliche und unbewusste alltägliche Handlungen, wie eine Unterschrift leisten, küssen, schlucken, atmen, sexuelle Erregung, jemanden zu grüßen oder sogar beim täglichen Stuhlgang. Wenn du willst, dass eine Katze zu dir kommt, musst du ihr schmeicheln und gut zureden.
Mein Vater