Die Bewusstseinsrevolution. Sebastian Siegel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Bewusstseinsrevolution - Sebastian Siegel страница 7
Hast du jemals das Gefühl, dass ein gerade vergangenes Ereignis unbedingt genauso eintreten musste, wie es passiert ist, dass es aber, falls es sich eine Million Mal wiederholen würde, in Millionen Varianten dieses Universums, jedes Mal eine leicht veränderte Version des Geschehens geben würde, allerdings mit genau demselben Ergebnis? Ähnlich wie am Beispiel des Schicksals und der Hand, die sich dir entgegenstreckt, gelingt es auch hier der lebendigen Schöpferkraft, eine Furche der Schönheit in den Acker der Zeit zu graben. Das ist die Natur der Schöpferkraft. Sie kann sich beim Backen eines leckeren Kuchens ausdrücken oder in der anmutigen Landung eines Vogels auf einem Zweig. Mit ihrer Hilfe werden Babys gezeugt und sie ist der Prozess, durch den sich der universale Geist manifestiert, in dir und durch dich.
Die Papierkugel landete im Papierkorb. Von den Studenten war kein Ton zu hören. Es war, als sei der Wurf einer ewigen Schleife der Unvermeidlichkeit gefolgt. Mein Vater reagierte verwundert auf diese Ironie: »Mein Gott, es ist wirklich passiert.« Er und ich hatten für einen Moment Blickkontakt. Das war mein zweites Satori.
Satori ist ein buddhistischer Begriff, der aus dem japanischen Wort »satoru – verstehen« abgeleitet ist. Der Ausdruck bezieht sich auf einen Moment des Erwachens, eines plötzlichen und totalen Verständnisses. Wenn der Boden eines Eimers durchfällt, verliert der Eimer das ganze Wasser auf einmal. Plötzlich verstehst du, so wie dich die Pointe eines Witzes trifft. Du verstehst, ohne darüber nachdenken zu müssen. Alles wird klar in diesem Augenblick, wie in einem Aha-Erlebnis. Es kommt plötzlich und unerwartet. Es ist, als werde ein elektrischer Schaltkreis geschlossen.
Wenn sich dieser eine Augenblick in unzähligen Variationen und in einer unendlich großen Anzahl von möglichen Universen wiederholen würde, dann wäre Satori die sofortige und unmittelbare Erkenntnis der einen Wahrheit, die gleichzeitig in all diesen Varianten sichtbar wird. Äußerlich nehmen alle Varianten eine andere Form an. Das Erwachen jedoch, also der Prozess, durch den der Geist sich selbst anerkennt, klingt durch alle auf identische Weise hindurch. Diese Erkenntnis ist das Satori.
Sich selbst feiern lernen
In der Grundschule und dann auch später auf dem Gymnasium fühlte ich mich stark zum Theater hingezogen. Mir gefielen sowohl die Aufwärmübungen als auch das Theaterspielen selbst, da beides mir erlaubte, tiefere Muster des Werdens zu entdecken. Die Übungspraxis in der Theaterwerkstatt bot mir zum allerersten Mal die Gelegenheit, so etwas wie eine gemeinschaftliche Meditation zu erleben. Wenn die üblichen Schranken fallen – Alter, Klassenunterschiede, Geschlecht, Rasse, Religion und Nationalität –, dann kann man sich selbst in einer Atmosphäre größerer Freiheit besser kennenlernen und man braucht weniger Angst davor zu haben, dass man von anderen verurteilt wird.
Charakteristisch für diese Atmosphäre ist, dass man sich einander unvoreingenommen begegnen kann. Oft wissen die Teilnehmer am Anfang nichts übereinander und können daher vorurteilsfrei miteinander umgehen. Es ist, als sei man die unausgesprochene Vereinbarung eingegangen, zusammen einen Raum für freien Selbstausdruck und Selbsterforschung zu schaffen. Hier sind die Beziehungen zueinander dynamisch, humorvoll, authentisch, intim und somit förderlich für persönliches Wachstum. Jeder erlaubt dem anderen, sich frei auszudrücken, ohne von kulturbedingten Vorannahmen eingeschnürt zu sein. Es wird dann möglich, sich einander mit aufrichtiger Neugier zu begegnen. Wäre es nicht wundervoll, wenn wir Menschen im Allgemeinen in der Lage wären, so miteinander umzugehen? Eine derartig energische und gleichzeitig einfühlsame Haltung wäre eine Methode, die zur gegenseitigen Befreiung führt. Wie viele intime und intensive Beziehungen könntest du zu ganz verschiedenen Menschen haben, wenn es auch im alltäglichen Leben eine solche unausgesprochene Vereinbarung gäbe wie im Theater.
Der deutsche Psychologe Fritz Perls machte die sogenannte Gestalttherapie populär. Ziel dieser Therapie ist es, die Bewusstheit zu schärfen. Dazu gehört es, die eigenen Gefühle besser zu erkennen, Empfindungen in dem Moment wahrzunehmen, in dem sie auftauchen, und größere Aufmerksamkeit darauf zu richten, was im zwischenmenschlichen Umgang von Augenblick zu Augenblick emotional passiert. Perls Grundidee war, dass jeder Mensch untrennbar von seiner Umwelt ist. In diesem Sinne sind Selbsterkenntnis, das Verstehen der Mitmenschen und das Verstehen des Kontextes, sowohl innerlich als auch äußerlich, Aspekte ein und desselben Prozesses. Es ist nicht verwunderlich, dass Perls sich auch besonders für die Schauspielkunst interessierte. In der Theaterpraxis gibt es viele Übungen, durch die man seine Kommunikationsfähigkeit verbessern kann, besonders was Kreativität und Spontaneität betrifft.
Eine der Theaterübungen, die Perls an die Gestalttherapie angepasst hat, heißt »leerer Stuhl«. Ein Patient oder Klient sitzt einem unbesetzten Stuhl gegenüber. Er stellt sich vor, dass jemand auf diesem Stuhl sitzt – das kann eine andere Person sein oder aber auch ein Teilaspekt des eigenen Ich. Die Übung besteht darin, dass der Klient dann mit der in der Fantasie vorgestellten Person kommuniziert. Dadurch, dass die andere Person oder die personifizierten eigenen Gefühle und Gedanken auf den leeren Stuhl projiziert werden, können Dinge ausgedrückt und näher untersucht werden, die ansonsten unterdrückt blieben. Im zweiten Schritt kann sich dann der Klient auf den leeren Stuhl setzen und die Rolle des anderen spielen. Der Effekt dieser Übung kann es sein, dass man widersprüchliche Teilaspekte in sich selbst versöhnt oder dass man seine Perspektive in Hinsicht auf die Beziehung zu einem anderen erweitert. Dieselbe Übung gibt es in verschiedenen Varianten, mit oder ohne Stuhl oder mit anderen Requisiten. In jedem Fall geht es darum, eine Erfahrung ins Hier und Jetzt zu bringen, um sie dann untersuchen und verarbeiten zu können. Genau das ist auch die Aufgabe des Schauspielers, wenn er oder sie eine Rolle verkörpert. Es ist auch die Aufgabe eines Menschen, der sich vollständig auf das Leben einlassen will.
Als ich klein war, las ich oft Comics aus Indien, in denen zahlreiche Menschen, Götter, Göttinnen, Krieger, Dämonen, anthropomorphe Wesen und Tiere vorkamen. Viele der Geschichten aus der vedischen und hinduisti- schen Tradition hatten ein Thema gemeinsam: die Fluidität, mit der verschiedene Wesen sich zwischen allen Daseinsebenen ein- und ausbewegen. Die Schöpfungskraft des Lebens drückt sich auf unendlich vielfache, wild kreative Weise aus. Somit bist du ein Avatar Gottes, der ursprüngliche Ausdruck einer Stimme, die niemals wieder auf exakt dieselbe Weise wiedergegeben werden kann, genauso wie eine mythologische Figur in einem Theaterstück, dessen Autor du bist und in dem du selbst mitspielst, als Schauspieler, dessen Aufgabe es ist, den gegenwärtigen Augenblick hervorzubringen. Du bist beides, das Geschöpf und der Schöpfer, der unentbehrliche Mitarbeiter an der Erschaffung neuen Lebens.
In dem Augenblick, in dem es dir klar wird, dass genau das deine Rolle ist, wird das Leben zu einem großen Abenteuer. Das, was du als Beitrag bringst, kann von keinem anderen gebracht werden. Niemand kann dich kopieren. Diesen Beitrag zu bringen, ist also nichts weniger als eine göttliche Aufgabe.
Martin Buber stellte die Teilnahme am Leben in den Kontext der Beziehung zwischen dem Ich und dem Du. Das Du ist dabei das Auge Gottes, der Puls allen Seins, die Heiligkeit der Schöpfung. So wie du der Chefkoch bist, der ein göttliches Mahl kocht, bist du das süße Salz, welches die Essenz des Mahles ausmacht. Und ebenso bist du der Dirigent des Symphonieorchesters und gleichzeitig der Musiker, der die erste Geige spielt. Und genau jetzt, in dem Augenblick, in dem du diese Worte liest, bist du das Christuskind, das im Begriff ist, geboren zu werden, und