Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Man kann dies wohl das prächtigste und zauberischeste Gemälde nennen, was Farben betrifft; mit jedem Blicke quillt neuer Genuß daraus fürs Auge; nächst dem noch göttlichern und reichern Hingang zum Tempel der Madonna als Kind in der Scuola della Carità von Tizian, dem Triumph aller Malerei. Sie werden lange unübertroffen bleiben und einzeln in der Welt dasein.

      Die Vernachlässigung des Kostüms ist eigentlich ein Fehler für die Antiquaren; denn der große Haufe weiß nichts davon und merkt's nicht. Freilich wäre es besser, die Künstler wählten keine alte Geschichten, wenn sie Naturwahrheit und Farbenpracht in den Gewändern zeigen wollten; griechische Gestalt und leichte Kleidung ist uns ganz entrückt. O wie verlangt mein Herz, jene glückseligen Inseln und das feste Land auf beiden Seiten noch heutzutag zu sehen und wie das heitre milde Klima noch jetzt dort das Lebendige bildet! Ach, wir sind so weit von der Natur abgewichen und von der wahren Kunst zurück, daß wir fast insgesamt einen bekleideten Menschen für schöner halten als einen nackten! Das kostbarste, prächtigste, feinste und niedlichste Gewand ist für den echten Philosophen und das Wesen, das nach klarem frischen Genuß trachtet, ein Flecken, eine Schale, die ihn hemmt und hindert.«

      »Hätt ich Sie doch damals schon gekannt«, sagt ich ihm hierauf, »als ich diesen Zug begann: so wär Ihr Wunsch erfüllt! So wie Sie mich hier sehen, hab ich dieses alles schon durchwandert; leider zu früh. Mein Vater nahm mich mit sich nach Griechenland, wohin er von der Republik abgeschickt wurde; und ich blieb mit ihm daselbst drei Jahre; das Beste, was ich zurückgebracht habe, ist Kenntnis des Griechischen; ich lese das alte ziemlich geläufig und schreibe und spreche das neue.«

      Hier sprang er auf vor Freuden, ganz außer sich, so daß die Gläser vom Tische flogen, und rief: »O glücklicher, seltner, wunderbarer Zufall! so jung und schön, und voll Verstand und Erfahrung! wir müssen ewig Freunde sein, und nichts soll uns trennen; du bist der Liebling meiner Seele.«

      So fiel er mir um den Hals. Uns verging auf lange die Sprache, und wir waren zusammengeschmolzen durch Kuß und Blick und Umarmung.

      Endlich nahm er wieder das Wort und sagte: »Hier ist nichts als wir! und alles andre in der Welt steht uns nur da zum Dienst.«

      Ich war ganz erschüttert, durchbrannt von seinem Feuer, seiner Heftigkeit. Es wurde überhaupt wenig mehr gesprochen außer unzusammenhangende Reden im lyrischen Taumel, Akzente der Natur. Wir glühten beide von Wein und Leidenschaft: er riß sich los, schon spät in der Nacht, mit den Worten: »Morgen sind wir wieder beisammen.«

      Ich legte mich zu Bette. Herz und Seele und alles in mir war wie ein Bienenschwarm, so sumsend, stechend heiß und ungeduldig; schlummerte wenig Stunden und fuhr oft dazwischen auf.

      Den andern Morgen kam er bei guter Zeit. Mich überlief bei seinem Anblick ein leichter Schauder vor seinem gestrigen Ungestüm; aber er erschien mir von neuem so liebenswürdig, daß ich hingerissen wurde und dem unwiderstehlichen Zuge nachfolgte.

      Ich hatte noch keinen Menschen gekannt, mit welchem ich so zusammenstimmte, in der Art zu empfinden und zu handeln; nur war er reicher und stärker an Natur als ich, seine Seele voller, aber auch unbändiger, und seine Geburt warf ihn in andre Umstände, unter andre Menschen, in eine andre Laufbahn. Wer einen Freund ohne Fehler finden will, der mache sich aus dieser Welt heraus oder geh in sich selbst zurück, die Vollkommenheit erscheint hienieden nur in Augenblicken, und diese allein sind unser Genuß. Ein großer Geist, ein edel Herz wiegt manches Laster auf, wohinein uns die Schlechtigkeit bürgerlicher Verfassungen stürzt.

      »Wir schieden gestern voneinander wie im Rausche«, trat er ins Zimmer. »Glück ist die größte Gabe, die Sterblichen zuteil werden kann, nur muß man es mit Verstand brauchen.«

      Nachdem wir einigemal stillschweigend auf und ab gegangen waren, fragte er mich: »Habt Ihr nie etwas von Kunst getrieben?« Ich antwortete ihm, daß ich nach der hiesigen Erziehung zeichnen gelernt hätte, Augen, Mäuler, Nasen, Ohren und Gesichter, und Hände und Füße nach Vorschriften; im Grunde soviel als nichts: denn bis zum eigentlichen Lebendigen wär ich nicht gekommen; welches mir herzlich leid tue! mich reize sie unendlich, und ich möcht es gern darin bis zu einer gewissen Fertigkeit für mein eigen Vergnügen gebracht haben. Jetzt mach ich nur noch zuweilen die Hauptumrisse schöner Gegenden, der Erinnerung wegen.

      »Da ist noch nichts verloren«, fuhr er fort; »wir wollen einander helfen. Alle Künste sind verwandt; sie zusammen erhöhen und verstärken die Glückseligkeit des Menschen, bilden sein Gefühl, mehr als alles, für die Schönheiten der Natur und setzen ihn über das Tier. Wie fangen wir es am besten an, damit Ihr so geschwind als möglich Euch diese Fertigkeit erwerbt? Ich denke«, fügt' er scherzhaft hinzu, »Ihr braucht mich zum Modell, nach kurzen Wiederholungen von dem, was Ihr schon wißt; so wie ich Euch dann zuweilen bei meiner Arbeit.

      Im Griechischen hab ich mich hauptsächlich nur mit den Dichtern beschäftigt, mit dem Homer, Pindar, Sophokles, Euripides, weil mein Lehrmeister selbst ein Dichter war; und dabei aus den Geschichtschreibern nur die Beschreibungen der glänzenden Siege über die Perser gelesen. Die Schätze der Weisheit im Aristoteles, Plato, Xenophon kenn ich meistens nur aus Gesprächen und vom Hörensagen und habe wenig von den Quellen selbst getrunken. Wir könnten damit manchen folgenden schönen Sommerabend uns himmlisch ergötzen, wenn Euch dazu Zeit übrigbliebe.

      Mein eifrigstes Verlangen aber ist, daß Ihr mich in dem noch Lebendigen dieser Göttersprache, im Neugriechischen, unterrichten möchtet; damit ich bald mit Bequemlichkeit und größerm Nutzen und Vergnügen eine Wallfahrt beginnen könne nach dem echten klassischen Boden.

      Ihr habt genug am Zeichnen, wie einer, der selbst kein Dichter werden, sondern nur die Meisterstücke der Alten und Neuen in ihrer ganzen Vollkommenheit fassen will, an der Poetik des Aristoteles. Jede Kunst, bis zum letzten Ziel erlangt, ist etwas anders und erfordert eines Menschen ganzes Leben. Für Euch soll's nur Spiel sein; Ihr seid zu Höherm bestimmt und müßt glänzen wie der Morgenstern in Eurer Republik. Dies wird immer neuen Reiz in unsre Freundschaft bringen, und wir werden leben in der Natur, soviel uns mit Sinnen, Phantasie und Verstand vergönnt ist.«

      »Du erfüllst mich mit Hoffnung und Freude«, antwortet ich ihm. »Mein Vater ist jetzt in Dalmatien, und ich bin mit meiner Mutter allein. Sie zieht bald aufs Land, vielleicht noch diese Woche. Die Gegend ist eine der angenehmsten der ganzen Lombardei; das Gut, wohin wir wollen, liegt am Lago di Garda, wo Catull, vor welchem Cäsar sich neigte, zuweilen vom römischen Taumel ausruhte. Er sang von dem Ort:

      Peninsularum, Sirmio, insularumque

       Ocelle, quascunque in liquentibus stagnis Marique vasto fert uterque Neptunus.3

      Willst du mich begleiten: so werden wir nach dem Pindar in die Burg des Kronos gelangen, umweht von kühlen Seelüften; wo in schattigen Gärten Goldblumen funkeln, diese der Erd entsprießen und anmutigen Bäumen, andre aber der klare Bach erzieht. Wir wollen mit ihren Angehängen und Kränzen uns die Arme umflechten und die Schläfe umwinden.

      Kapitel 4

       Inhaltsverzeichnis

      Vorher aber muß ich dich meiner Mutter vorstellen; jedoch du mußt hübsch gescheit sein. Sie ist eine gar gute Frau, die mich zärtlich liebt. Sie weiß schon, daß ein junger Mensch mich aus dem Kanale gerettet hat, und es wird ihr gefallen, daß du es bist. Sie hat große Freude an schönen Madonnen; und wenn du ihr eine in ihre Kapelle malst und fromm bist: so hält sie dich wie ein Kind.«

      Es ging hierbei eine sonderbare Bewegung in ihm vor, die mir lange hernach erst erklärlich wurde; er sah mich an, neugierig mit heißen Blicken,

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