Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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davon«, versetzt ich. Darauf ging er nachdenkend einigemal mit mir auf und ab. Endlich sprach er: »Gut; ich reise mit euch und male deiner Mutter eine Madonna, wenn ich ihr anstehe. An Gescheitheit bei ihr soll's hoffentlich nicht ermangeln.«

      Es wurde beschlossen, ihn den Abend noch ihr vorzustellen; bei Tische wollt ich alles einlenken.

      Hier schied er von mir. Ich brachte die Sache vor; und meine Mutter war's gleich zufrieden, ohne ihn noch gesehen zu haben, aus Willfährigkeit gegen mich.

      Mir schwellte aber die neue Bekanntschaft immer mehr das Herz; einen jungen Maler der Art hatt ich noch nicht gekannt. Ich war überrascht; es ging alles so schnell fort, und ich konnte keiner gehörigen Überlegung Raum geben.

      Beim ersten Blick und Gespräch schon gefiel er meiner Mutter, wie ihr noch kein Fremder gefallen hatte. Hier erfuhr ich, daß er sich Ardinghello nannte; ich hatte, voll von ihm, nicht daran gedacht, ihn von neuem um seinen Namen zu befragen. Er gab sich hernach verschiedne andre; doch dieser soll ihm hinfüro bleiben.

      Den folgenden Morgen sah ich einige angefangne Gemälde von ihm. Sein Lebendiges war frisch und meisterhaft in der Arbeit und kam dem Tizianischen ziemlich nahe; doch war es nicht Manier, sondern sein eigen und verschieden nach der Natur: wenig Gewand, das meiste nach dem Nackenden; Studien von Mädchenköpfen, voll Geist und Lieblichkeit, und Brüsten und Leibern, und Rücken, und Schenkeln und Beinen, nackten Buben im Baden, Laufen und Balgen. Für Bezahlung, sprach er, und nach andrer Belieben hab er noch nichts gemacht. »Das Weitre«, fügte er wie unbedeutend hinzu, »will ich dir einmal erzählen, wenn wir mehr in Ruhe sind.«

      Er besuchte die Tage darauf den alten Greis Tizian noch einmal und seine Freunde, und zu Ende der Woche reisten wir ab. Meine Mutter fuhr mit ihren Leuten voraus und wir hinterdrein, weil wir zu Vicenza uns einen Tag wegen der Gebäude des Palladio aufzuhalten gedachten. Wegen des Griechischen nahm ich noch die Bücher mit, die nicht in der Bibliothek auf dem Gute sich befanden; und er das nötige Gerät zum Malen und Zeichnen.

      Als wir eine Strecke vom Großen Kanal entfernt waren, setzte sich Ardinghello aufs Verdeck der Barke und blickte tief gerührt nach der Stadt mit unverwandten Augen; die Feuchtigkeit trat hinein, und sein Herz ward erweicht. Seine Seele schien zu ahnden, daß er sie nie wieder sehen sollte. So wälzen die Schicksale den Menschen fort wie die Fluten des Meers einen schwachen Trümmer! Die Sonne war eben aufgegangen, und die Türme, Kirchen, Paläste und Inseln lagen da im dünnen Nebel.

      Mir war wohl, daß ich herauskam. Im Winter ist Venedig angenehm, weil die Menschen so enge beisammen sind und alles zur Ergötzlichkeit treibt, Lage und Regierung; aber im Sommer ist's ein ungesunder und gefährlicher Ort. Ein Eingeborner kann die Wahrheit besser wissen als ein Dichter aus Neapel. Es mag der Natur nach ein ganz andrer Unterschied sein zwischen Rom und Venedig, ob es gleich prächtig klingt:

      Illam homines dices, hanc posuisse deos.4

      Wenn einer die Geschichte kennt und da gelebt hat und es beim Ausflusse der Brenta vom Ufer betrachtet: so sieht es richtiger aus wie ein endlich sichrer Zufluchtsort von dem Lande weggeprügelter und weggescheuchter furchtsamer Hasen, die sich hernach groß und zu geflügelten Löwen gemacht haben, als ihnen die Feinde übers Wasser nicht nachkonnten und sie von fern sicher sehen mußten. Eine unüberwindliche Festung ist's gewiß, weil durch die Sümpfe vom Land aus nichts anders als kleine Barken anländen können und man von der See her in die Häfen den Faden der Ariadne braucht; und eben weil es unüberwindlich und unzukommbar ist außer Verräterei, trägt es, vom Meer umgeben, eine gewisse Majestät an sich. Götter aber flüchten sich nicht in Sümpfe. Inzwischen hat Sannazar der reizenden Dichtung wegen seine sechstausend Dukaten doch verdient. Die Wahrheit bezahlt man selten so teuer.

      Der große Doge Peter Ziani hat sie gar wohl erkannt, als er den kühnen Entschluß faßte, noch zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts eine neue Völkerwanderung anzustellen. Konstantinopel ist ohne Streit ein glückseliger Plätzchen auf diesem Erdboden. Die Venezianer hatten es damals mit den Franken eingenommen, und wir besaßen mehr von Griechenland als jetzt. Er riet mit stärkern Gründen als je Demosthenes, diese Lagunen zu verlassen und dort uns anzupflanzen; und Dido und Äneas waren dagegen Luftgestalten. »Wenn der Mond mit seiner Ebbe und Flut unsern Kanälen das Wasser entzieht«, sprach er im Großen Rate, »der Schlamm sich zeigt und seinen Gestank ausdünstet: welche gute Nase kann da vor Ekel auf den Wegen bleiben? Sind nicht immer unsre Lazarette voll und die jahraus, jahrein nicht von dannen schiffen wie gefangen? Überdies haben wir Erdbeben, noch außerdem, daß das Meer oft hereinstürmt und unsre Zisternen und Warenlager verderbt. Und welch ein Wohnsitz, um auszuhalten, wo nichts als schlechte Fische Nahrung gibt, weder Korn noch Wein und Öl wächst, weder Baum hervorkömmt, noch trinkbar Wasser quillt, wo alle Elemente verdorben sind, Wasser, Luft und Erd und Feuer? und von allen Seiten Feindschaft um uns her? Dort sind wir gleich in unsern Besitzungen, und welche Aussichten in die Zukunft!«

      Jedoch überwand ihn der Prokurator von San Marco, der Greis Anzolo Falier, unter Fünfhunderten mit einer Stimme, indem er nach dem Aristoteles behauptete: daß die Festigkeit, ohngeachtet aller Übel bei einer Hauptstadt, der glücklichen Lage, ohne dieselbe, vorzuziehen wäre; und daß gerade die Unfruchtbarkeit ein Volk zur Tapferkeit zwänge und über andre erhöbe.

      Darin bestand unsre Unterhaltung bis nach Padua, und Ardinghello beschloß mit folgenden Worten: »Wo die Verständigen nicht herrschen, ist keine Staatsverfassung gut; jedoch mit dem Unterschiede, daß zum Exempel bei einer Million Bürgern in einer Demokratie fünfmalhunderttausend und etliche Narren über viermalhunderttausendundneunhundert gescheite Leute den Ausschlag geben: und in einer Monarchie ein Narr neunmalhunderttausendneunhundertundneunundneunzig Philosophen ins Verderben stürzen könnte, wenn sie nach dem auf Schulen gelehrten Staatsrechte keine Rebellen sein wollten.«

      Als wir von Vicenza weggereist waren, sprachen wir viel über die Gebäude zu Venedig und den Palladio. Ardinghello hielt Venedig für einen der merkwürdigsten Örter in der Baukunst; und sagte: hier wäre nicht nur ein Stil, sondern man sähe darin die Geschichte derselben der neuern Jahrhunderte; und erkenne immer, daß ein Senat von vielen Personen da herrsche und nicht ein einzelner oft elender Mensch ohne Talent und Geschmack, weil man nichts ganz Schlechtes unter den öffentlichen Gebäuden fände wie in andern Residenzen.

      Er liebte den Palladio vor allen neuern Baumeistern, nannt ihn eine heitre Seele voll des Vortrefflichsten aus dem Altertum, und daß er davon mitteile, und aus sich selbst, soviel sich für seine Zeitverwandten schicke.

      In Vicenza wird leider von ihm nichts recht ausgebaut, und die Gebäude gleichen fast nur angefangenen Modellen von seinen Ideen; aber welch ein Wunderwerk ist der Palast Cornaro am Kanal! wie schön die Kirchen zu S. Giorgio und al redemtore in Venedig! und die Brücke zu Vicenza über den Bacchilion, so leicht und reizend und sicher in ihrem Bogen wie ein beherzter Amazonensprung! Wie angenehm das durchbrochne Geländer, damit man das erfreuliche Wasser dadurch wegströmen sehe!

      Jedoch gefiel Ardinghellon das Rathaus nicht, obgleich es Palladio selbst unter die schönsten Werke neuerer Kunst setzt. Die Fassade, an und für sich richtig und schön, glich doch nur einer Schminke, die einer alten Matrone aufgetragen wäre; die Bogen derselben entsprächen nicht denen des gotischen Gebäudes, das überall schief durchguckte. Julio Romano hätte, damals schon älter und erfahrner, mehr Geschmack gezeigt, als er eine meisterhafte gotische dazu erfand. Es sei etwas anders, einen Riß auf dem Papier anschauen und ein Gebäude aufgemaurt in der Luft; dies haben die Ratsherrn, die des Palladio seinen wählten, wie viele Große, die bauen lassen, nicht gewußt.

      Unser Gespräch lenkte sich endlich auf die Architektur überhaupt; und er sagte, soviel ich mich erinnere:

      »Von Schönheit in der Baukunst hab ich wenig Begriff, weil sie mir ganz außer der lebendigen Natur zu sein scheint; höchstens entspringt ihr Reiz

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