Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Kopf in Venedig einigemal in Kirchen auf den Raub abgezeichnet und ein paarmal in Gesellschaft gesehen. Nie aber wollt es mir gelingen, in ihrem Hause Zutritt zu erhalten oder sie allein zu sprechen. Dieses geschah endlich beim Schlusse des letzten Karnevals, auf dem Markusplatz, in einer Ecke an der neuerbauten Kirche S. Zeminiano, als es Nacht werden wollte. Ich trug schier eine Maske wie einer ihrer Brüder: sie sah mich im Getümmel für denselben an, ging auf mich zu, faßte mich bei der Hand und flüsterte mir etwas freudig ins Ohr. Ob ich sie festhielt und wie, kannst du denken; ich hatte sie schon auf den Platz hereinkommen sehen, auch war ihr lieblich Gesicht wenig verhüllt. Männer und Weiber, die sie begleiteten, mochten ebenfalls im Irrtume wie sie sein; denn sie ließen uns beisammen, gaukelten auf dem bunten Welttheater im kleinen ihre Mummereien fort und hatten keinen Argwohn. Ich gebrauchte die schnelle Gelegenheit, so gut mir möglich war. Sie mußte mich auch mit einem Blick erkennen können: unsre Augen hatten sich schon oft mit Seele begegnet. Ich verlangte zu wissen, ob ich etwas über sie vermöchte; hob ein wenig meine Maske vom Gesicht: und sie wollte sich, errötend von den ründlichen Wangen bis an den schneeweißen Hals, zurückziehen; allein ich hielt das warme Händchen fest.

      Ich blickte rasch umher, und sie desgleichen: wir wurden in der Dämmerung nicht beobachtet, und ein Possenreißer hatte überdies aller Augen auf sich gezogen; und sagte ihr, aber wie kann ich genau die Worte wiederholen! daß ich sie liebte, anbetete; daß ich verschwiegen wäre wie ein Stein, eine Mauer, mich der geringsten Gunst nie rühmen würde; mich ihr in allem unterwerfen wollte, allen meinen Verstand zu unserm Vorteil anwenden wollte; wir seien füreinander geschaffen, und das Verhältnis mit andern Menschen solle uns nicht trennen. Alles dies und mehr ging aus meinem Munde wie ein Lauffeur, leis, aber mächtig ihr ins Ohr. Sie trat fort und hielt ein, zuckte mit der Hand und überließ sie wieder den heißen Wallungen meiner Liebespulse. Endlich riß sie sich los, sagte mir aber mit einer schüchternen gebrochnen Stimme die Honigworte, die wie eiskühlend und brennendsüß erquickend Labsal durch Mark und Gebein rannen: ›Morgen früh zu Santi Giovanni e Paolo.‹

      Ich schwand von ihr weg wie der Blitz, zur ersten Probe meiner Aufführung: und schlief die ganze Nacht nicht, war so wach und lebendig, als ob ich nie geschlafen hätte und nie wieder schlafen würde, durchaus Feuer und geistig Toben. Was hab ich da nicht für Plane gemacht!

      Ich hielt schon lange vor der Zeit Wacht um die Kirche; und wie sie aufging, war ich der erste drinnen. Ich wartete und wartete und verging vor Ungeduld; so langweilig war mir das Meßlesen der Priester noch nicht vorgekommen. Wie es allzu lange währte, so ließ ich mir den Vorhang von dem göttlichen Tizian wegziehen, wo Peter, der Märtyrer, von einem Räuber erschlagen wird, sein Gefährte flüchtet und ein Paar reizende Buben als Engel auf die Bäume der herrlichen Landschaft herabschweben. -

      Welch ein Meisterstück! Die Szene schon äußerst lebendig; welche Lokalfarben haben nicht die schlanken Stämme der hohen Kastanienbäume! wie verliert sich das Land in ferne blaue Felsen! der Mörder voll räuberischem Wesen in Gestalt und Stellung und jeder Gebärde bis auf Kleidung und Kolorit! der Heilige hat ganz das Entsetzen eines Überfallnen und eines guten weichen Mannes, der sein Leben banditenmäßig verliert: auf seinem Gesichte ist die Blässe der Todesangst; und mit welcher Natur in der Lage ist er niedergeworfen! der, welcher flieht, ebenso täuschend in allen Teilen. Die drei Figuren machen einen vortrefflichen Kontrast in Stellung, Charakter und Kolorit und den Gewändern von Mönchs- und Räubertracht. Welch ein trefflicher Ton im ganzen, und wie schön hält es die Beleuchtung zusammen!

      Dies half etwas, aber wenig, ich hatte keine Ruhe. Endlich erschien sie doch, und armer Tizian, wie fielst du weg! O alle Kunst, neige dich vor der Natur! Sie zog zur Pforte herein, den Kopf in eure Tracht versteckt, wie im dünnen Gewölk aufgehende Sonne; vor ihrem Glanz verschwand alles oder bekam Ansehen, Wesen, lenkte sich zu einem Ganzen.

      Sie kam mit ihrer Mutter. Beide knieten erst vor dem Altare nieder, wo Messe gelesen werden sollte; und setzten sich hernach, sie mit abgeworfner Hülle vom Haupte. Im Knien blickte sie einigemal gen Himmel und seufzte; ich bemerkte alles. Sie wurde mich hernach im Sitzen gleich gewahr und maß mich mit einer Engelschönheit, ruhig dem Anschein nach, vom Wirbel bis zur Zehe, in tiefem Nachdenken. Was für Seele aus ihrem weitgewölbten schwarzen Auge blickte, ist nicht zu sagen; und um ihre Lippen regten sich bange Gefühle, die jedoch in Lächeln übergingen. Ach, daß ich nicht gleich mit ihr sprechen durfte!

      Ich saß nicht weit von ihr rechter Hand, schräg auf der Seite, und verwandte, soviel ich unbemerkt sein konnte, kein Auge. Sie las hernach in ihrem Buche und nahm ein Zeichen heraus und deutete mir mit einem Winke darauf.

      Die Messe war vorbei, und man ging auseinander; ich folgte ihr auf dem Fuße. Bei der Kirchtür hatt ich im Gedränge, mit der feinsten Wendung, die Karte unvermerkt in der Hand. Ich konnte nicht geschwind genug in einen Winkel kommen und lesen. ›Zwei Stunden nach Mitternacht an der Tür auf die Straße hinter dem Kanale.‹ Weiter stand nichts darauf, und es war genug.

      Nur dies und sie empfand und dacht ich den ganzen Tag. Gegen Abend ging ich schon dort einigemal auf und ab und wußte alle Türen und Fenster und Gelegenheiten auswendig. Ich versah mich alsdenn auf allen Fall in meinem Quartiere mit Gewehr; meinen Gondelfahrer hatt ich ohnedies schon vorher immer bei der Hand.

      Nach Mitternacht macht ich mich auf den Platz bei Maria Formosa. Wie wurde mir die Zeit so lang! Die Hoffnung hob mich vom Boden weg durch alle Himmel: die Natur hingegen wollte gar nicht fort; Orion, Adler, Schwan und Wagen schienen mich zum besten zu haben, ich hätte sie gern himmelab aus Ungeduld mit den Händen gerückt und sprang oft närrisch in die Höhe, sie zu erreichen.

      Endlich schlug die letzte Viertelstunde, und ich eilte an den bestimmten Ort. Alles war still auf den Wegen, und ich lief über die Brücken weg und wartete in einer Ecke nahe bei der Tür, in meinen Mantel eingehüllt, lauter Ohr und Auge.

      Ich war kaum da: so ging sie schon auf. Ich machte mich herbei und vernahm die leisen Worte: ›Herein!‹; ich schlüpfte durch und war im Dunkeln. ›Die Schuh aus!‹ flüsterte sie, ›mir die Treppe herauf nach!‹ Und sachte, sachte, Hand in entzückend zarter, warmer, festhaltender Hand tappten wir in ein Zimmer auf den Kanal; und wieder zugeschoben mit dem Riegel wurde die Pforte des Himmels. Cäcilia war in einem leichten Nachtgewande, den Kopf entblößt und das lange Haar nur in einen Knoten gebunden, das weich in den Seiten mir in die Finger fiel.

      Ich hielt sie umschlungen und raubte den ersten Kuß, der wie ein süßer Blitz mein Wesen durchfuhr; und sie sagte seufzend: ›O was wag ich nicht, Euch näher kennenzulernen! Ich weiß, daß Ihr ein Florentiner seid und hier die Malerei treibt, aber daß dies Eure Bestimmung nicht ist, sondern Nebenbeschäftigung, und Euer Ziel im verborgnen höher steckt. Eine Freundin Eurer Tante und von mir, die Euch als eine andre zärtliche Mutter wohlwill und durch jene Euch Eure Wechsel auszahlt, hat es mir unter dem Siegel des Stillschweigens anvertraut. Eure edle schöne Gestalt und Jugend und, es muß nun von meinen Lippen! ein unwiderstehlicher Zug im Innern, den ich noch bei keinem Sterblichen fühlte, haben mich dazu verleitet.‹

      ›Verlaßt euch in Geheimnissen auf Weiber‹, dacht ich, ›wenigstens, die sie nicht selbst betreffen!‹ und geriet in ein Labyrinth.

      ›Ein andermal von unsern Umständen‹, erwidert ich. ›O daß ich dich endlich habe, du Stolz von Venedig und Zierde der Welt! Laß uns jetzt ganz allein sein und die vorübereilenden Augenblicke genießen in junger feuriger Liebe, o du Seele meiner Seele, Geist und Licht meines Lebens!‹ Hier hob ich sie mit Macht in meine Arme und trug sie unüberwindlich so auf einen Sofa, der in der Ecke am Fenster stand.

      Kapitel 7

       Inhaltsverzeichnis

      ›Unglücklicher‹,

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