Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Von der sinnlichen Natur aber geht man hernach über in die Geisterwelt und macht in Entzücken Bekanntschaft mit den großen Griechen und Römern und allen außerordentlichen Wesen, die diese Nacht erleuchten.

      Als mein Vater einige Jahre weg war«, fuhr er fort, »bekam ich eine solche Sehnsucht nach ihm, daß ich nicht länger bleiben konnte. Ich fühlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen seiner buhlerischen Tochter erst recht lebendig, sah meine eigne Gefahr und machte mich ohngeachtet der Vorstellungen meiner Tante auf und reiste ihm nach, ohne zu wissen, wo er sich eigentlich aufhielt. Ich ging unter anderm Namen nach Venedig, um dort, während ich ihn auskundschaftete, die Werke Tizians zu studieren und vom Paul Veronese und Tintorett zu lernen; und meine Tante schickte mir von meinem Mütterlichen, soviel ich brauchte. Paul gewann mich bald lieb, so wie der Greis Tizian, den ich in seinen letzten Tagen oft mit Singen und Spielen ergötzte; und sie weihten mich in verschiednen von ihren Geheimnissen ein, weil sie Auge bei mir fanden. Es war mir nun lieb, daß ich außer meinem eignen Vergnügen noch etwas gelernt hatte, womit ich mich auf allen Fall durch die Welt schlagen konnte.

      Den Herbst vor meiner Bekanntschaft mit dir erfuhr ich endlich, daß mein Vater zu Kandia als Hauptmann in Diensten eurer Republik stünde, unter dem General Malatesta, einem Florentiner, dessen Sohn Cosmus in den Armen seines Vaters dort umbringen ließ, weil er mit seiner ersten Tochter Maria zu tun hatte, die er deswegen selbst, der kalte Barbar ohne Eingeweide, mit Gift hinrichtete. Ich war schon zur Abreise fertig und wartete nur auf ein Schiff zur Abfahrt, als meine Tante mir die neue traurige Nachricht meldete, daß auch er durch Meuchelmörder, eben wie der junge Malatesta, längst, noch vor dem Kriege mit den Türken, das Leben eingebüßt habe. Dies traf mich wie ein Wetterschlag; ich schwur in meinem Herzen hohe Rache und kochte lauter Galle. Noch bis jetzt kann ich nichts ausrichten, wenn ich mein junges Blut nicht für ein altes ausgemergeltes auf der Stelle hingeben will: aber das Verderben reift über ihren Häuptern.«

      Dem Edlen standen hier die Tränen in den Augen, er warf sich nieder an die Quelle, mit dem Gesicht auf dem Boden; sein Inneres war beklommen; er schwieg und knirschte mit den Zähnen.

      Ich faßte ihn bei der Hand und redt ihm zu: »Mich jammert dein Schicksal, und du hast recht, zu zürnen. Aber die Welt ist voll von Unglücklichern! und du kannst noch stolz sein; wo sind diejenigen, die soviel Leben in ihrem Innern haben wie du, um alles zu bekämpfen? Freude und Leid umtanzt und umringt wechselsweise jeden Menschen, und hierin ist kein Unterschied zwischen König und Knecht.«

      »O ihr Venezianer«, fuhr er auf, »und ihr Genueser habt gut reden! Euch hat kein Haus, wie uns das Mediceische, so niederträchtig zugrunde gerichtet, und ihr strahlt frohlockend in Osten und Westen von Italien wie das Zwillingsgestirn am Himmel; Toskana, die alte Glorie von Welschland, liegt da in Schmutz und Trauerkleidern, mit Ketten behangen von seinen eignen Söhnen.«

      Unser Gespräch ging dann auf die Geschichte dieser Staaten über, das hier zu weitläuftig wäre und außer meinem Kreise.

      Es war schon gegen Mittag, und der Dunst vom Sonnenbrand auf den Gegenden benahm alle Aussicht; unten schien der See zu kochen und eine ungeheure Feuerpfanne von geschmolznem Silber; Eidechsen, Käfer, Mücken und unzählbare Insekten hielten in der Glut ein allgemeines Fest, und die Grillen betäubten mit ihrem Gezirp wie ein Meerbrausen die Ohren: wir machten uns also an unsere Quelle in die grüne kühle Nacht, wo die undurchdringlichen Eichen und Buchengewölbe und Felsen mächtiglich vor der Hitze Dampf beschirmten.

      Wir stärkten uns mit Speise, und der frische Purpursaft der Traube weckte unbezwinglich die Freude wieder in jeder Nerve. Wie ein Paar junge Götter lagen wir da im Schatten, und unsre Augen und Lippen lächelten vom vergangnen Kummer wie die Blumen des Frühlings von süßem Abendtau. O Jugend, o glückselige Jugend, ach, warum verlässest du uns so bald!

      Wir schwiegen und überließen uns der neuen Wonne; und plätscherten, denn wir hatten Rock und Strümpfe ausgezogen, mit den Händen und Füßen in dem klaren Wasser, das ungern in die Wärme hinausrann, um über Klippen zu schäumen. Jeder von uns ahndete so das Gefühl seiner Laufbahn.

      Nachdem wir lange in Genuß und Empfindung gelegen hatten und mit den Wellen und Kieseln gespielt und Kräutern und jungen Sprossen, brach ich zuerst das Stillschweigen und fragte leise: »Und Cäcilia?«

      »Ach, Cäcilia«, erwidert' er hastig, »ist für mich verloren; ein schwarzer Unhold entführt sie mir. Selige Augenblicke, wo an mir alles Irdische sich bei ihr zu Geist erhöhte, ich vor mir selbst verschwand, in einem Meer untergetaucht von unsterblicher Reinheit und Klarheit! Die Arme dauert mich; aber da ist keine Rettung, wo ein Gott nicht hilft.

      Das goldne Geschöpf hat über mich vermocht, was ich nie glaubte. Unsre nächtlichen Zusammenkünfte in Venedig waren leider selten, und wir sahen uns einander nur bei größter Sicherheit. Noch während dieser Zeit warb mancher um sie, so wie schon viele vorher um sie geworben hatten; besonders der junge Bartholommeo F** mit einer völligen verliebten Raserei, übrigens ein Mann nicht ohne treffliche Eigenschaften, wie du weißt, nur von geringem Vermögen: aber keine Partie war ihren Eltern und Brüdern gut genug, und keiner von den Helden ergriff ihr Herz. Mir gab sie nach und nach alles preis, Seel und Leib, nur die letzte Gunst ward mir vorbehalten; ihr Entschluß hierin war stahlfest und unwankbar: weder Beredsamkeit noch Gewalt und die feinste Verschlagenheit konnt etwas ausrichten. Sie hat mir gute Proben abgelegt, daß ein Weib vor der Verführung sicher sein kann, wenn es nicht verführt sein will. Du magst immer darüber lächeln; aber sie hat es geleistet. Ich sehe dich in Gedanken fragen, was wir zusammen taten. Was Adam und Eva, lieber Freund, ehe sie aus dem Paradiese verstoßen wurden: Wir lebten im Stande der Unschuld nach und nach; freilich ging dies auf einmal aus der bürgerlichen Welt nicht, wo alles seine sündliche Blöße doppelt und dreifach bedeckt. Wir offenbarten uns so wie von Angesicht zu Angesicht unser Innres. Du kannst mich immer zu dieser Zeit einen holden einfältigen Schäferknaben nennen: aber ohne solche Vorbereitung gelangst du nie bis in den achten und neunten Himmel; nur höchstens auf die grüne Wiese, wo, wie man sagt, diejenigen hinkommen, die weder selig noch verdammt sind. Wer alle Himmel durchwandert hat und in jedem genossen und gelitten zum Aufflug in den höhern: darf von dem Reiche der Liebe reden. Glaube nicht, daß ich hier wie Petrarca schwärme; dieser war ein armer Sünder und hing nur am Schein, nie an der Wirklichkeit; er hat mit seinem Geächz und Jammer schier unsre ganze Poesie zugrunde gerichtet. Die Toren seufzten ihm jahrhundertelang nach, und mancher besang bei einer feilen Dirne die Grausamkeit der berühmten Provenzalin in unerträglichem Einerlei, anstatt die verschiednen Reize der Erdentöchter in ihrer Mannigfaltigkeit wie die heitern Griechen aufzuempfinden. Er selbst zwang die kluge Frau zur unerbittlichen Strenge: sie schwebte ja in augenscheinlicher Gefahr, daß er bei der ersten Gunst noch einen Band Sonette und berühmtere Oden auf etwas anders als ihre schönen Augen machte.

      An Planen von Entführung und ewiger Verbindung wurde von uns im Anfange stark gearbeitet; aber weil wir keine Luftgestalten waren und Sinn hatten und sie auf keine Weise von ihrer Familie lassen wollte, die sie allzu zärtlich liebte, und besonders ihre Mutter totzukränken befürchtete: legten sie sich bei näherer Bekanntschaft nach und nach. Wir sahen die mißlichen Folgen bei den großen Hindernissen zu deutlich und erkannten inzwischen innig, daß die Natur unter allem bürgerlichen Verhältnis bei Menschen von reiner Empfindung und klarem Begriff immer durchgeht, trotz allen Gesetzen. Sie richten sich zwar im Äußerlichen nach der Ordnung des großen Haufens: betreiben aber im Geheim ihre eigne Art von Glückseligkeit, ohne welche kein Leben Wert hat. So verstrichen denn die himmlischen Tage, und wir ließen die Götter walten.

      Eben im Frühling nach geschloßnem Frieden kam endlich Mark Anton G*** aus Griechenland dahergestürmt mit neuem Gold und Schätzen. Sein Weib und seine zwei kleinen Kinder, Töchter, waren dort an der Pest gestorben; und die heißen Strahlen, die Cäciliens Schönheit von sich warf, schienen während der ersten Besuche bei ihren Eltern gerade den Reiz zu haben zu andern Erben für sein Vermögen. Gleich einige Wochen nach seiner Ankunft hielt er um sie an: und sie ward ihm versprochen und mußte drein

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