Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Vermählung hier geschehen. Jetzt bin ich ohnedies zu sehr beschäftigt und kann nicht so ruhig sein wie Sie, mein Herz.«

      Sie nahm ihn bei der Hand und sah ihn zärtlich an und führte ihn fort. Ardinghello gab seiner Zeichnung einen Nasenstüber, brachte die Sachen in Ordnung und ging darauf von ihrem Gut und kam zu mir nach Hause.

      Er erzählte mir, was vorgegangen sei: und mir wurde darüber warm im Kopfe. Ich konnte nicht anders glauben, als Mark Anton habe Lunte gerochen, und warnte und beschwur ihn mit Bitten inständig, äußerst auf seiner Hut zu sein und für jetzt sich ganz stille zu halten. Er aber meinte, seine Art, rot und blaß zu werden, müsse von etwas anderm herrühren als Eifersucht; soviel er sich selbst fühle und an andern beobachtet habe, offenbare sich dieselbe auf eine andre Weise. Jedoch sei wahr, daß die Grundverschiedenheit der Menschen hierin sonderbare Abweichungen mache. Inzwischen hätt er sich noch nirgend so betrogen, wenn dies Eifersucht sein solle; auch reime sich dies nicht zu seinem übrigen Charakter, wie er ihn aus Hörensagen und den wenigen Augenblicken kenne. Daß er auf seiner Hut sein würde, dafür brauch ich nicht zu sorgen; aber ein Feiger nur flieh alle Gefahr. Man müsse standhalten, mit unerschrocknem Mut, solange das Verderben nicht unüberwindlich einbräche; dies allein rette und beglücke den Mann.

      Sein Verdacht ging' auf etwas anders; und ein wahrsagerischer Geist geb ihm ein, der Statthalter von Kandia sei bei Ermordung seines Vaters nicht ganz außer Spiele gewesen und die Ähnlichkeit seiner Gestalt ihm aufgeschossen.

      Mir fiel heiß hierbei ein, daß Mark Anton, vor seiner Statthalterschaft von der Republik abgeschickt, einige Zeit zu Florenz gestanden und mit dem Großherzog auf einem so guten Fuß umgegangen sei, daß er seinen schwierigen Auftrag glücklich ausgeführt habe; ich schwieg jedoch hiervon stille, um nicht Öl ins Feuer zu gießen, und sagte im Gegenteil: dies käme mir nicht wahrscheinlich vor, er solle sich deswegen nichts in Kopf setzen.

      Den folgenden Morgen bracht er das Bild dahin, daß es im Rahmen konnte aufgespannt werden, und bekam für seine Arbeit von Cäcilien selbst einen schönen goldnen Ring mit einem kostbaren Rubin zum Geschenk, der gerad an den Herzensfinger seiner linken Hand paßte. Dies gefiel ihm denn; und er freute sich und lachte darüber, wie die Dinge dieser Welt so sonderbar untereinander laufen. Am dritten Tag hierauf sollte das Beilager gehalten werden; alle Anstalten dazu waren schon gemacht und die Nachbarschaft zu einem festlichen Ball eingeladen.

      Ardinghello ging inzwischen tiefsinnig herum, aß wenig und trank viel, und konnt es nicht länger verbergen, daß er vom Stempel der Liebe mächtig gezeichnet war; er mied alle Gesellschaft. Morgens, abends und des Nachts kam er nie auf sein Zimmer und schlief nur des Mittags. Ich hatte mit dem Armen Mitleiden: aber da war nicht zu raten; er hörte wie ein Meersturm. Die ersten Stunden der Nacht am Tage vor der Hochzeit trat er auf einmal plötzlich hastig auf mein Zimmer, blaß und fürchterlich; ich schrieb eben an einem Briefe. Wie ich ihn aber so erscheinen sah, fiel mir die Feder aus der Hand, und ich sprang auf: »Was gibt's, was hast du?«

      »Mein Argwohn war nur zu gut gegründet; höre!« sprach er und ging mit mir zum äußersten Ende von der Tür weg.

      »Du kennst den schönen einsamen Platz, wo die großen babylonischen Weiden vom hohen Felsengestad herunter nach dem See hangen und das Ganze zu einer stillen melancholischen Vertiefung sich einschließt: dahin war die letzte Zeit immer mein liebster Spaziergang; schon vorher sind wir dort beisammengewesen. Auch diesen Abend ging ich dahin und nahm einmal ein Instrument mit. Es fing an zu dämmern, als ich noch auf der entblößten Wurzel der vordersten Weide nach dem Tale zu saß und meine Leiden sang. Der Inhalt von meinem Liede war: ›Ach, mein Vater tot, meine Mutter tot, meines Lebens Lust in fremder Gewalt! Ist dies nicht, ein junges Herz zu brechen? Saitenspiel, klag's mit mir!‹ Und bei den Worten, nach dem Blick und der Empfindung: ›Flüsterst du Lüftchen in den Blättern mir Trost zu?‹, kam's über mich, als ob ich meinen Vater vor mir und mir winken sähe. ›Warum erscheinst du, was verlangst du von mir?‹ rief ich und sprang auf. Zugleich erblickt ich nicht weit von mir einen Kerl mit dem Messer in der Hand, welcher alsbald davonging mit diesen Worten: ›Flieh, junger Mensch, du dauerst mich, ich sollte dich ermorden! Flieh, so geschwind du kannst, so weit dich deine Beine tragen, und meide den Mark Anton. Schon wurde durch ihn dein Vater umgebracht. Meide das Gebiet des Großherzogs.‹

      Mir wurde dabei das Herz im Leibe umgekehrt; aber ich besann mich doch nicht lange, sondern riß meine Pistole hervor (er ging auf seinen Wegen nie ohne Gewehr aus) und jagte ihm von der Seite eine Kugel durch die Brust, daß er auf der Stelle stürzte. ›Stirb, Elender, für deine Schlechtigkeit in der Schlechtigkeit, und bereite das Quartier deinem Patron in der Unterwelt!‹ vernahm er noch die Antwort. Darauf gab ich ihm noch einen sichern Stoß mit seinem eignen Messer und wälzte den Körper in die Dornen und das Gesträuch hinein, den Felsen hinunter. Niemand war schon längst mehr auf dem Felde und es schon finster; und der Ort ist überhaupt, wie du weißt, völlig abgelegen. Den Kerl erkannt ich noch, wie ich ihn näher besah; ich habe vor kurzem in einem Wirtshause zum Zeitvertreib mit ihm a la Mora gespielt und ihm nicht allein seinen Verlust geschenkt, sondern die Zeche obendrein bezahlt.«

      Dies entsetzte mich; ich sah die gräßlichen Folgen bei seiner kühnen Entschlossenheit voraus und wußte nichts zu antworten als: »Es ist ungeheuer!«

      »Du sollst nichts dabei zu tun und nichts dabei zu verantworten haben«, fuhr er fort; »nur beschwör ich dich beim Himmel und deinem letzten Tropfen Liebe zu mir, laß mich's ausführen, einen häßlichen politischen Meuchelmörder mehr aus der Welt zu schaffen. O Vernunft, breit allen deinen heitern Äther in meinem Verstand aus, daß ich kalt genug zu Werke schreite! Wenn er morgen auf der Hochzeit mit dir von mir sprechen sollte, so sage nur, du habest mich die letztern Tage nicht gesehen, ich streiche so oft im Lande herum und suche Schönheit in Gegenden und unter Menschen; und gib im übrigen auf alles acht, was vorgeht, besonders auf dem Ball in der Nacht.«

      Ich war betäubt von allen diesen Dingen und wußte mir nicht zu helfen. Es war da kein Rat, als entweder ihn oder den andern aufzuopfern; und vor dem ersten Gedanken schauderte meine Seele wie vor ihrem Nichtsein; den königlichen Jüngling vom rächerischen Arm der Natur bewaffnet, voll innerm Gehalt, der überall hervorstrahlt: oder den mißgeschaffnen Boshaften, der das Vortrefflichste aus kleinlicher Leidenschaft und elendem Interesse wegtilgt? Es fand weder Wahl noch ein ander Mittel statt.

      Ich gab ihm nach der Überlegung zur Antwort: »Du sollst mich als deinen Freund erkennen; an deinem Mut und deiner Klugheit im übrigen darf ich nicht zweifeln. Jedoch bedenke vorher, was du tust und daß dein Leben selbst dabei in äußerster Gefahr ist.«

      »Was soll mir ein Leben, das Sklaverei duldet und Unrecht leidet?« erwiderte er, »schändliches Unrecht! und das grausamste! O ich weiß, daß das ewig lebt, was in mir lebt, und daß dies keine Gewalt zugrunde richtet. Ich war, was ich bin, und werd es sein: ein edler Geist, den sein göttlich Urwesen durch alle Zeiten von der Drangsal niedriger Verbindungen immer bald erlösen wird. O wären viele wie ich! der Tyrannei unter unserm Geschlecht sollte bald weniger sein. Aber da fürchten sie sich vor dem Wörtchen Tod und glauben, sie wären das, was da kalt und bleich und starr ausgestreckt auf dem Brette liegt, da es nur das Gespenst der eigentlichen Unterwelt ist, das ihre niedrigre Gattung von Wesen nach seinen jämmerlichen Bedürfnissen herumfoltert, und alle reine Seele mit Apostelstimme den verachtet, der keinen Mut hat, zu sterben und sich von dem Elend frei zu machen.«

      Mich dünkte, einen Gott reden zu hören: so stolz und groß stand der Mensch vor mir; ich mußte ihn an mein Herz drücken.

      Allein der mißlichste Punkt bei der Sache war Cäcilia; dies machte ihm am meisten zu schaffen, und er überlegte auf allen Seiten. Er glaubte, daß es endlich auch hier gehen würde, und sei der Gewalt sicher, die er über ihren Willen habe! sie selbst ins Spiel verflochten, und der außerordentlichen Biegsamkeit ihres Geistes und ihren andern Fähigkeiten die Rolle nicht zu schwer. Er müsse das Äußerste wagen, sie diese Nacht noch zu sprechen:

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