Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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liegt in der Tat da wie der Sitz einer Kalypso, um von da aus das Land zu beherrschen, und hat das prächtige Theater von ungeheuren Gebirgen vor sich.

      Wir kamen bei guter Zeit am bestimmten Ort an und machten uns noch in der Kühle den Berg hinauf. Als wir die erste Anhöhe erstiegen hatten, lagerten wir uns in dem Wäldchen von Kastanien unten an den Quell der mit Efeu bekleideten Felsenwand ins weiche Gras, von hohen dunkeln Eichen und Buchen hier umschattet, nachdem wir erst unsre Weinflaschen an den frischesten Platz gestellt, gerade wo der Sprung hervorstrudelte. Dem Schiffer sagten wir, er sollte vor Sonnenuntergang uns wieder abholen; und so blieben wir allein.

      Wir ruhten vom Aufsteigen aus und streckten uns die Länge lang auf die bequemsten Fleckchen; noch niedrig beim Aufgehen hatte schon die Sonne durch die Stämme den Tau weggeküßt, und es war nun alles trocken. Wir genossen vom neuen das Labsal des letzten Schlummers, als wir so früh aus den Betten mußten: und die einzelnen Lichtstrahlen zitterten süß von oben schräg durch die bewegten Zweige auf unsre Augenlider und schimmerten in die Dämmerung. »O Sonn und Erde«, rief endlich Ardinghello, »wie gut macht ihr's euern Kindern, wenn sie sich selbst das Leben nicht verbitterten!« und sprang auf. Auch ich rastete nicht länger: der frische Duft der fortrieselnden Quelle machte den ganzen Körper doppelt rege.

      Ich nahm ihn in Arm und ging mit ihm auf und nieder durch die Bäume und sagte: »Das ist doch nicht fein, da wir so lange beisammen sind und ich dich liebe wie mein ander Ich, daß du mir noch nichts von deinen Lebensumständen bekannt gemacht hast und immer damit hinter dem Berge hieltest! Sooft die Rede auf deine Familie kam, bogst du davon aus, als ob du aus dem Kraute gewachsen wärest; was Cäcilien betrifft, laß ich's noch angehen, und deine Entschuldigung wäre bei jedem andern gut gewesen.«

      »Lieber!« versetzte er darauf, »mein Schutzgeist hat mich davon abgehalten. Ich glaube, daß jeder Mensch einen Dämon hat, der ihm sagt, was er tun soll, und daß Sokrates nicht einen allein hatte; wenn wir nur dessen Stimme hören und uns nicht übereilen wollten. In jedem Menschen wohnt ein Gott; und wer sein inner Gefühl geläutert hat, vernimmt ohne Wort und Zeichen dessen Orakelsprüche; er kennt seinen eignen höhern Ursprung, sein Gebiet über die Natur und ist nichts untertan.

      Ich stamme aus einem der guten Häuser von Florenz: mein Vater war Astorre Frescobaldi und meine Mutter Maria von der verfolgten Familie der Albizi! Beide sind nicht mehr, und ich bin allein noch übrig, ihr erstes und letztes Kind. Mein Vater entbrannte in Leidenschaft für Isabellen, die dritte Tochter des Cosmus, vermählt mit dem Römer Paul Orsini: und sie gab ihm leicht Gehör; er war noch jung, wohlgebildet und hatte tausend Reize, sie zu fesseln. Sie wurde gleichfalls gegen ihn entzündet; und in Abwesenheit ihres Mannes, der von ihr wie geschieden lebte und sich meistens zu Rom aufhielt, hatten sie erwünschte Gelegenheit, ihr Liebesspiel zu treiben. So gebar sie denn zwei Töchter, von welchen wenigstens die erste meine natürliche Schwester ist. Sie hat sich hernach vielen preisgegeben und mag wohl selbst nicht wissen, mit wem sie die übrigen Kinder erzeugte; jung und schön über alle Weiber, voll Witz und Geist und Leben, und so durch Erziehung gebildet, daß sie Spanisch, Französisch und sogar Lateinisch spricht, verschiedne Instrumente spielt, wie eine Sirene singt, und Verse macht, oft aus dem Stegreif, herrschte sie am Hofe wie eine Göttin und tat, was sie wollte. Noch jetzt übt sie Gewalt aus, obgleich der Zepter ihres Vaters ihr nun entwandt ist.7 Ihre Liebhaber verfolgten sich einer den andern, und wie Sonne strahlte die Mutwillige, ungestört vom Krieg der Elemente um sie herum; immer mit neuen Vergnügungen beschäftigt, ließ sie ihre Geliebtesten im Elend verderben und machte sich darüber keine Sorge. Ein göttlich schönes Ding bloß für die Gegenwart! ein Feuer, das alles aufzehrt, was sich ihm nähert.

      Mein Vater wurde das erste Opfer; der Herzog ließ ihn gefangensetzen. Er machte sich los und flüchtete nach Venedig und von dort in die Levante. Man zog seine Güter ein, unter Vorwand von Verschwörung und Staatsverbrechen; meine Mutter starb darüber für Gram. Mich nahm meine Tante Lucrezia zu sich. O guter Freund, du weißt noch nicht, was ein kluger Tyrann tun kann! von fern sieht die Tigerkatze schön aus, wegen ihrer Stärke und Behendigkeit. Wenn Cosmus ein zweiter Augustus ist in Unterjochung der Freiheit und Wollust gegen seine Landestöchter und in seinen Julien: so ist er noch viel grausamer als sein Urbild.

      Durch ein bloßes Ohngefähr hab ich die beste Erziehung erhalten. Als Knabe folgt ich meistens meinem Hange und wurde hernach bei dem gestörten Hausfrieden durch die Leidenschaft meines Vaters gegen Isabellen wenig mit vorgesetzten Lehrmeistern geplagt. Ich ging mit Kindern von allerlei Klassen um, und die fähigsten waren meine Spielgesellen; ich suchte sie zu übertreffen im Laufen und Ringen und Schwimmen im Arno und in listigen Streichen. Ich habe freilich manche Beule im Balgen und Fallen davongetragen, bin aber davon weder ein Krüppel geworden noch gestorben. Mein Vater, ein mutiger tapfrer Mann, nahm mich im ersten zarten Alter einigemal mit zur See, wo er als Befehlshaber der Galeeren die Küsten gegen die Korsaren bestrich: und die reinen großen ewigen Gegenstände erfüllten hier meine ganze Seele und erregten mächtig alle Triebe zum Freien und Edlen.

      Wie ich zum Jüngling heranwuchs, hatten die bildenden Künste und höhern Leibesübungen den größten Reiz für mich, und nächst diesen griechische und römische Sprache und die Geschichte dieser hohen Völker; auch hierin wollt ich jeden übertreffen, und Glück und Gestalt und Wesen führte mich zu den besten Meistern.

      In der Zeichnung und Malerei kam ich auf die Letzt unter die Hände des Georg Vasari, der zwar nie ein schöpferisches Werk hervorgebracht hat, aber voll Kenntnis und Geschmack war, bei allen seinen Vorurteilen. Der alte Schwätzer blies wie ein Boreas mit vollen Backen in meinen Enthusiasmus. Mein Vater, dessen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach seiner Jovialität und nach Georgens Verheißungen, daß ich ein Licht werden würde, alles zu verdunkeln, freien Willen: doch bracht er mich noch kurz vor seiner Gefangenschaft und Flucht zu verschiednen philosophischen Köpfen, in deren Umgang ich nach und nach mich zu einer andern Richtung lenkte. Meine erste Neigung behielt aber immer die Oberhand.

      Kapitel 8

       Inhaltsverzeichnis

      Ich glaube, die Hauptregel bei der Erziehung sei, den Kindern Zeit zu lassen, sich selbst zu bilden. Das beste, was man tun kann, ist, daß man die Triebe schärft und reizt, ein vortrefflicher Mensch zu werden, und ihnen die eigne Arbeit soviel wie möglich dabei erleichtert. Alle Natur, wenn sie groß und herrlich werden soll, muß freie Luft haben. Freilich muß der Stoff dazu in den Urkräften liegen, und ein guter Erzieher sollte doch einigermaßen die Vortrefflichkeit der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geist wirft schon in der Kindheit, obgleich noch im Chaos und Nebel, helle Strahlen von sich. Alkibiades legt sich als spielender Knabe Wagen und Ochsen in den Weg, zwingt den Treiber, zu halten; Scipio erkannte den künftigen Marius im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke, nur eine Tat, von scharfem, tiefem Gefühl oder vielfacher Überlegung entsprossen, obgleich noch roh auf verschiednen Seiten, ist eine glückliche Vorbedeutung; und so Schnelligkeit, zu fassen und zu behalten: hingegen Allgehorsam und Fraubasengutartigkeit, so beliebt bei Pedanten, eine unglückliche; denn da ist kein Mut und keine Kraft. Alles, was in die jungen Seelen eingetrichtert wird, was sie nicht aus eigner Lust und Liebe halten, haftet nicht und ist vergebliche Schulmeisterei. Was ein Kind nicht mit seinen Sinnen begreift, wovon es keinen Zweck ahndet, zu seinem eigenen Nutzen und Vergnügen: das verfliegt wie Spreu im Winde. So ist die Natur des Lebendigen vom Baum und Gras an, und der Mensch macht davon keine Ausnahme. Jeder geh in sein Leben zurück und sehe, ob etwas von allem dem Vorzeitigen geblieben ist, wo nicht etwa bloß zum Verderb des Genusses. Viel Natur und wenig Bücher, mehr Erfahrung als Gelerntes hat die wahren vortrefflichen Menschen in jedem Stand hervorgebracht.

      Ein Kind muß erst den Boden kennenlernen, worauf es geboren ist, Gewächse, Tiere und Menschen, eh es etwas Ausländisches fassen kann: sonst kömmt ein Papagei heraus. ›Keine Schrift‹, sagt Plato mit Recht, ›und wäre sie von dem echtesten Trismegist, gibt mehr als Erinnerung

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