Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder страница 108

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

Скачать книгу

anders nachbilden, als bis wir es entweder selbst gelebt oder mit unsern Sinnen in ergreifender Wirklichkeit empfunden hätten. Ohne Perikles und Aspasia, Alkibiaden, Phrynen und ihresgleichen alt und jung: kein Phidias, Praxiteles und Apelles. Albrecht Dürer habe den Nürnberger Goldschmiedsjungen nie völlig aus sich bringen können; in seinen Arbeiten sei ein Fleiß bis zur Angst, der ihm nie weiten Gesichtskreis und Erhabenheit habe gewinnen lassen; und bloß deswegen hätte ihn Michelangelo so sehr gehaßt. Seine meisten Kompositionen wären Passionsgeschichten und Hexen und Teufel. Er als verlorner Sohn am Troge bei Schweinen, die Trebern fressen; Proserpina, wie sie Pluto auf einem Bocke holt; Diana, wie sie eine Nymphe mit dem Knittel bei einem Satyr prügelt: zeigten genug seine mißleitete Phantasie. Sonst sei er ein wackrer Meister, habe Kraft und Stärke; und ein guter Kopf von richtigem Geschmack könne viel von ihm lernen.

      Wir hatten bei unserm Leben auf dem Lande uns zum Gesetz gemacht, daß keiner den andern in seinem Tun und Lassen stören sollte; und alles Beisammensein war freier Wille von beiden Seiten. Wenn also einer allein sein wollte: so sagte er es dem andern oder schloß die Tür ab. Zuweilen gingen wir miteinander, zuweilen zog einer allein aus: und Ardinghello kam manchen Tag und manche Nacht nicht nach Hause, ohne mir vorher zu sagen, wenn er fortging, und ohne daß es mich befremdete. Die immer grünen, mit hohen Bäumen eingefaßten Wiesen und die vielen klaren Flüsse, von den Seen reingewaschen, erfreuten ihn unendlich in der Lombardei; solche Natur war dem Toskaner fremd. Er nistete sich in den schönsten Dörfern überall ein und machte Bekanntschaft mit den Landleuten.

      Kapitel 6

       Inhaltsverzeichnis

      Einigemal kam er abends auf einem lustigen Nachen mit Weinlaub und Efeu geschmückt, der Zithar am Arm im Dithyrambengesang gleich einem jungen Bacchus wieder, oder in einem andern Aufzug: und es war immer ein allgemeiner Jubel; denn jedermann wollte ihm wohl. Er ließ sich mit jedem ein und drang in dessen Innres, half ihm fort oder machte ihm das Leben froh und leichter. Er hatte eine von den seltnen gefühligen Stimmen, die das Herz anlocken; ihr Ton war fest und voll; süß und gelind bei Liebe und heftig eindringend wie ein Sturmwind in der Höhe bei widrigen Leidenschaften. Er spielte zwar auch trefflich die Laute: aber die Zithar zog er allen Instrumenten zur Begleitung vor. Er sang wenig andrer Dichter Worte, sondern eigne Poesie, wie sie seinem Wesen entquoll! meistens ohne Reime; oder diese, wie sie sich schicken wollten. Es war bezaubernd, dem jungen Schwärmer zuzuhören, und wie in lächelnder Kühnheit das Feuer aus ihm wehte. Wie oft haben wir hernach in heitern Nächten uns in den See gestürzt! denn er hatte mir das Schwimmen bald beigebracht; und in der unermeßlichen gestirnten Natur frei herumgewallt wie die Götter!

      Noch hab ich ihm eine größere Geschicklichkeit im Fechten zu verdanken, worin er ein großer Meister war; wie er denn seinen Körper überhaupt äußerst gewandt und ausgebildet hatte.

      So flog himmlisch leicht unser Leben dahin unter Spiel und Fest und reizender Beschäftigung.

      Mit seiner Madonna war er im August schon fertig. Er hatte die Begebenheit der Flucht nach Ägypten gewählt. Sie saß mit dem Kind an der Brust unter einem Ahorn, der seine Zweige weit umher verbreitete und Dämmerung herniederwarf; in der Nähe und Ferne standen Pinien und Zypressen anmutig vermählt und zerstreut. Die Gegend war ein Gebirg, woheraus ein Fluß in Katarakten sich stürzte, in fernem Schaum und Dampf von Silberstaub, dann eine kleine Ebne durchfloß und in einem stillen See ruhig dahinwallte. Die bezauberndste Seite von der romantischen Wildnis unsers Lago war ganz treu hier zu sehen; vom Glanz der untergehenden Sonne blitzten Fels und See und schimmerte das Laub der Bäume. Äußerst kühn gewagt!

      Die Madonna war eine holde Jungfrau, die ihr erstes Kind in Armen hält und der Geschichte davon in entzückender Grazie nachdenkt; ein Kopf ganz aus der Natur, nur erhöht und ins reine gebracht, von unaussprechlicher Wirkung auf jeden fühlenden Menschen. Auch der Bube, so recht in Liebe erzeugt, trug die Spuren der vollen Wonne seines Werdens in der Gestalt; er hielt sich mit dem einen Händchen an der rechten halb entblößten Brust unter dem rötlichen Gewand an, und lächelte von der offnen straff geschwellten jugendlichen linken ab mit seinem blonden Köpfchen in die schöne Natur. Das braune Haar der Madonna war in ein rötlicht gestreiftes Netz gebunden, wovon noch einige Locken ins Gesicht und die Backen fielen; der blaue Mantel zerflossen, und die Beine und zarten Füße ruhten in reizender Lage. Beider Augen, besonders der Madonna, blickten heiter schön, in Empfindung schwimmend. In den Zweigen des Ahorns schweben Engel wie junge Liebesgötter; abwärts weidet der Esel, und Joseph steht auf seinen Stab gelehnt, wie ein alter treuer Wärter, der sein Anvertrautes glücklich aus der Gefahr über die Grenze gebracht hat.

      Form und Ausdruck und Kolorit in allen Teilen des Lebendigen, Bekleidung und Beleuchtung und Szene macht eine süße Harmonie zusammen. Das Gemälde war groß, und die Figuren im Vordergrunde an die zwei Drittel in Lebensgröße; jedoch ging ihm die Arbeit geschwind vonstatten, weil er die Studien zur Madonna und dem Kleinen mitgebracht hatte und nur zum Joseph und den Engeln einen Alten und Kinder aus der Nachbarschaft brauchte.

      Meine Mutter konnte sich darüber nicht satt freuen und gewann ihn immer lieber.

      Inzwischen bemerkt ich doch bei seinem fröhlichen und traulichen Wesen eine leidenschaftliche Hastigkeit an ihm und etwas Verborgnes in seinen Gesichtszügen, auch fiel mir endlich sein Ausbleiben auf. Er sagte zwar: »Ich bin ein Herumschweifer und kann nicht wohl an einer Stelle bleiben«; aber er nahm mich doch zu selten mit sich. Ich wollte wissen, was in ihm vorging; und dies klärte sich denn auf einmal in einer stillen Mitternacht auf, wo alle Winde schwiegen und kein Laut sich regte.

      Wir saßen am kühlsten Platz unsers Gartens auf einer Anhöhe, in einer Laube von Lorbeer und Myrtengesträuch, von einem alten Hain grüner Eichen umfaßt; und hatten oft die Gläser ausgeleert, und gesungen und gesprochen; viel vom Menschen und den Begebenheiten der Welt, jugendlich, erfahren und unerfahren. Mein Herz stand offen; und ich entdeckt ihm auf die Letzt meine kleine Liebesgeschichten, womit ich hier den Lauf nicht unterbrechen will; gestand ihm aber, daß ich noch nicht alles fände, was ich verlangte. »Du wirst mir guten Unterricht geben können«, fügt ich hinzu; »denn nach deinen Studien in der Malerei und Leibes- und Seelentugenden mußt du schon ein Held unter Amors Fahne sein.«

      Er antwortete hierauf: »Ich spreche nicht gern von diesen Dingen; denn sie machen alle Menschen neidig, Freund und Feind. Aber weil du einmal angefangen hast, so will ich auch dir bekennen. Doch vorher den Todesbund ewiger Freundschaft feierlicher vom neuen; wir kennen uns nun vollkommen.«

      Hier zog er einen Dolch hervor, streifte sich den linken Arm auf, stach hinein und ließ das Blut in den Becher rinnen; überreichte mir den Dolch: und ich tat, wie von einer furchtbaren Macht ergriffen, voll Glut und Rührung dasselbe. »Wie unser beider Blut hier im Weine vermischt ist«, rief er aus, »und in unser Leben sich ergeußt: so sollen unsre Herzen und Seelen auf dieser Welt zusammenhalten; dies schwören wir dir, Natur! und deiner Gottheit! Wer scheidet, fall in Elend und Verderben.«

      Wir tranken, umschlangen uns fester und inniger, stillten darauf die Wunden, und der eine verband mit lächelndem Ernst den andern.

      Dies geschehen und aus dem Taumel uns wieder gefaßt und in Ordnung, fing er an: »Das herrliche Geschöpf, das ich liebe, bekränz als Priesterin unsern Bund! Cäcilia ist ihr Name, von der Heiligen, der himmlischen Musik, entlehnt. O du dort oben, walte über uns! Auch unser Fest ist Saitenspiel und Gesang; und sind wir nicht so fromm als du, wozu nur Auserwählte gelangen: so ist doch unsre Liebe heilig; denn sie ist ganz Natur und hat mit bürgerlichem Wesen nichts zu schaffen. Diese Cäcilia wohnt eine Stunde von hier, ist einzige Tochter bei zwei Brüdern, ihr Vater leider der große C***, und soll sich in kurzer Frist mit dem reichen Mark Anton vermählen; welches du schon alles weißt.« Ich blieb hierbei stumm vor Erstaunen und hörte mit beiden Ohren.

      »Wir

Скачать книгу