Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Hause auf immer elend!‹ Dies war in einem so festen sichern Tone gesagt wie ein Schwertschlag die Schulter herein, daß ich nachlassen mußte; ich wurde wie voneinandergerissen, als das himmlische warmlebendige Geschöpf meinen Armen entwich.

      ›Nicht so heftig, holder Verwegner! so war es nicht gemeint!‹ fing sie nach einer kleinen Pause an und streichelte mir die Backen, die Sirene.

      Ganz außer mir, ergriff ich sie wieder mit Gewalt von neuen. Hier aber geriet sie in bittern Zorn und riß mich mit den Haaren von sich: ›Glaube nicht‹, sagte sie, ›daß ich ein Kind bin, das nicht weiß, was es tut, und mit sich anfangen läßt, was ein wütender Mensch will!‹ Ich konnte nichts dagegen aufbringen, und Unmöglichkeit, Liebe und Bewunderung machten, daß ich meine Leidenschaften bändigte.

      Wir setzten uns denn. Ich war auf dem stürmischen Meere, herumgewühlt von tausend Wogen. Sonderbare Szene! Sie schlang hernach ihren rechten Arm um meinen Nacken und ich meinen linken um ihre Lenden, und die zwei andern Hände schlossen sich in ihrem Schoße zusammen; vor uns stand auf einem Tischchen ein Nachtlicht. Ach, wie sie blühte! ein voller Rosenbusch im Mai am frischen Morgen im neuen Glanz des Himmels und den Chören der Nachtigallen herum. Ihre jungen festen Brüste kochten und wallten, und im Netz ihrer verwirrten blonden Haare zappelte meine arme Seele wie ein gefangener Vogel.

      Ich flog ihr mit flehendem Gesicht am Busen und klagte schmachtend: ›Was hast du mit mir vor, Zauberin?‹

      ›Liebe! Sei ohne Sorge!‹ antwortete sie darauf; ›sonst würd ich nicht getan haben, was ich tat; süße Traulichkeit, wo ihrer zwei sich das Leben froh machen, die füreinander geschaffen sind.‹

      Uns verging die Sprache, und wir saßen lang, eine schmerzlich entzückende Stille, in heißer Empfindung aneinandergegossen.

      Mir rollten endlich unaufhaltbare Tränen übers Gesicht von dem wütenden Kampf im Innern.

      ›O ich sehe, daß du liebst‹, sagte sie und hob mir das Gesicht in die Höhe, das ich kniend wie ein Kind in ihrem Schoß verbarg, nachdem ich ihr wenig Worte von meinen Schicksalen erzählt hatte, nahm mich auf und küßte mir zärtlich, am ganzen Leibe zitternd, die Augen und das bloße Herz, wovon sie das Hemde wegriß. ›Nun geh fort‹, sagte sie; ›wir können jetzt nicht reden und nicht länger bleiben. Versprich, bescheidner zu sein, und komme heut über acht Tage wieder früh nach Santi Giovanni e Paolo; wenn ich dir ein Zeichen gebe: so sind wir dieselbe Stunde in der Nacht ebenso beisammen.‹

      Mir war selbst zu wohl und zu weh im Herzen, und sie brachte mich unter brennenden Küssen und glühenden Umarmungen leise wieder von sich. Dies war die erste Zusammenkunft. Morgen, Benedikt, das übrige, wenn wir wieder dazu gestimmt sind!« sagte hier Ardinghello.

      Wir machten uns alsdenn berauscht auf unsre Zimmer. »O Freundschaft und Liebe«, rief er, nach dem Wunsche, gut zu schlafen, »was ist ohne dich die Welt! Ein Haufen Unsinn für alle Philosophen.«

      Was Ardinghello gesagt hatte und die Vorbereitung dazu, machte mich äußerst unruhig; mein Gesichtskreis war zwar erweitert: verlor sich aber in undurchdringlichen Nebel, und mich schreckte die Zukunft. Seine Leidenschaften kümmerten mich. Jedoch verließ ich mich wieder auf seinen hellen Geist und sein edel Herz; und schwur ihm vom neuen bei mir ewige Treue und ihn überall, wo Not an Mann ging, zu unterstützen. Er sollte mir auf der Stelle forterzählen, aber er wollte nicht und sagte: »Wir haben ja dazu genug Zeit und Muße; mein Kopf ist zu sehr im Taumel.«

      Den Tag darauf bekamen wir Besuch; und wer war es? Es war der Bräutigam der Cäcilia mit ihren Brüdern, die ihm bis Verona entgegenritten, welcher ein kleines Geschäft abmachen wollte. Sie selbst war einigemal mit ihrer Mutter bei uns gewesen, und ich hatte nichts gemerkt: so sehr konnten sie sich verstellen. Er gestand mir zwar damals ein, der Schalk, daß sie die schönste weibliche Gestalt wäre, die er je gesehen hätte, was Gesicht und Wuchs und Hand und Fuß beträfe; wenn das Verborgne dem Äußerlichen gleichkäme, so wüßte er nicht, ob die griechische Venus zu Florenz noch das Wunder bliebe; und bedaurte, daß so etwas ungenutzt für die Kunst vergehen sollte. Allein eben am Verborgnen habe Phryne so sehr die andern Mädchen übertroffen; vollkommne Bildung an diesen Teilen, der Reife nahe, ohne Überfluß und Magerkeit, die zarten häufigen und doch festen Schwingungen des Lebens in den reinsten Formen mit aller reizenden Mannigfaltigkeit zur größten harmonischen Einheit durch keine Kleidung und Stubenluft verdorben, immer in gehöriger Munterkeit und Bewegung erhalten, von hohem und heiligem und wollüstigem Geist beseelt, ein wenig Überfülle, wo sie sein müsse, üppige sanfte Wölbung und wieder straffer Umriß sei äußerst selten und ein Wunder in der Natur, und man könn es immer, wenn man es fände, als das Allergöttlichste auf diesem Erdenrund betrachten. Es fiel mir nun freilich ein, daß sie höher glühte, wenn er von fern im Schatten die Laute spielte oder mit seiner verführerischen Stimme zur Zithar sang; und sie selbst war es, was er bei mir schilderte.

      Ihr jüngster Bruder – sie war das letzte Kind – konnt ihn gleichwohl leiden. Sie besahen sein Gemälde und machten ihm darüber große Lobsprüche; nur der Bräutigam, eine kalte Staatsperücke von widrigem Gesichte, tadelte ihm einiges ohne rechten Verstand, um nach dem gewöhnlichen Kniffe der Großen sich damit ein Ansehen zu geben, welches Ardinghello jedoch gefällig aufnahm, indem er sich damit entschuldigte, daß die Malerei sehr schwer und selten einer in allen Teilen nur erträglich wäre; und rühmte dabei seine große Einsicht. Dies gefiel ihm denn; und er fragte ihn wie einen jungen Malergesellen, ob er ihn und seine Braut abkonterfeien wolle. Ardinghello verbeugte sich und erwiderte, daß ihm dies großen Ruhm zuwege bringen würde, wenn es nach Wunsch gelänge. Jener beschloß, ihn abrufen zu lassen, sobald es sich schickte. Darauf ritten sie fort, nachdem sie ohngefähr ein paar Stunden angehalten hatten.

      Den Abend blieben wir bei meiner Mutter. Sie freute sich über den Beifall für sein Gemälde und daß er durch diese Gelegenheit, besonders wenn noch die Porträte gefielen, in dem neuen Palaste des Bräutigams viel Arbeit bekommen könne. Geld sei da genug; und dies brauchten die Maler. Die gute Frau war fern, etwas weiter zu mutmaßen; aber Ardinghello stellte sich auch so fromm an. Wir mußten bis spät in die Nacht bei ihr aushalten; und er erzählte, um die Zeit auszufüllen, einige rührende Märchen.

      Wir machten noch vor Schlafengehen aus, den andern Morgen auf dem See ins Gebirg hinein zu schiffen und zum Mittagsmahl das Gehörige mitzunehmen; ich brannte vor Verlangen, mehr und alles von ihm zu erfahren.

      Die Vögel begrüßten vielstimmend den neuen Tag. Die Sonne kam herauf im herrlichen Lichtkreis am Ende der Bergstrecke des Monte Baldo und schritt kühn übers Gebirg bei Verona im gelben Feuer; die Stirn, womit sie sich emporwarf, war Majestät, die der Blick nicht aushielt; und je voller sie hereintrat: desto öfter mußte sich das geblendete Auge von dem göttlichen Glanze wegwenden, der doch so entzückend nach der blinden Dunkelheit war, daß es immer durstiger sich in den köstlichen Strahlen berauschte.

      Breit lag der See da im Morgenduft und die Hügel im dünnen Nebel; ein leises Wehen in der Mitte kräuselte die Wellen und weckte seine Schönheit wie auf und machte sie lebendig. Die Häuserchen zwischen den Bäumen am Ufer schienen allein zu schlummern mit ihrer Unbeweglichkeit und weil die Menschen noch nicht heraus waren.

      Unser Nachen wallte leicht mit voll geschwelltem Segel über die nassen Pfade.

      Es war ein heiter Wetter zu Anfang Oktobers und einer meiner unvergeßlichen Tage. Sirmio lag lieblich da in Strahlen und sonnte sich; und die unabsehliche Kette der Felsen dahinter, wie eine neue Welt, als ob sie bestimmt wäre, lauter Titanen zu tragen. Süßer rötlichter Dunst bekleidete glänzend den östlichen Himmel, und die wollichten Wölkchen schwebten still um den lichten Raum des Äthers, worin entzückt in hohen Flügen die Alpenadler hingen.

      Der See ist würklich einer der schönsten, die ich gesehen habe, so reizend sind dessen Ufer

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