Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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noch reichlich vermehrt mit Grausamkeiten und Erpressungen, und Unterschleifen in Verhandlungen mit den Türken, steht in großem Ansehn; und ihre Familie, obgleich bemittelt, bedarf doch wegen ihrer Brüder einer solchen Verwandtschaft. Unser Liebesknoten schlang sich dadurch nur fester; jedoch drohte das nahe Hagelwetter in der Ferne die Blumen aller unsrer Freuden zu zerschlagen.

      Mein Aufenthalt diesen Sommer hier am Lago in kurzen Lustreisen von Venedig aus war schon beschlossen, eh ich mit dir bekannt wurde; und dein Antrag, mit dir zu ziehen, setzte mich anfangs in Verlegenheit: allein ich wußte nun der Sache keinen bessern Rat. Auch Cäcilia, die äußerst besorgt ist, wurde furchtsam darüber; doch ist alles insoweit nach Wunsch abgelaufen.

      Hier kamen wir weit öftrer zusammen. Sie hat ihre Wohnung auf dem Gut in dem Garten, gerade vor einer Pflanzschule von jungen Bäumen, nicht weit von einem Brunnen mit einem weiten Marmorbecken, von hohen Ahornen umgeben, wo man sehr bequem über die Mauer klettert. Sie kann von der Seite zu einer Tür herein; und überdies ist ein Fenster in ihr Zimmer wegen des Lattenwerks für die Reben daran leicht zu ersteigen; welches ich aber doch, aus Furcht, gesehen zu werden, nur einigemal die letzten Nächte, wo es völlig dunkel war und weder Mond noch Stern leuchtete, um die Umschweife zu ersparen, gewagt habe: und ich erstieg immer damit alle neun Himmel; mit der Nachricht von der Ankunft des Bräutigams zur Hochzeit erobert ich endlich, ach, unter wieviel Schmeicheleien, beredten Bitten, heißen Wollustküssen und Gewalttätigkeiten! das heilige Palladium, umrungen von Glanz und Feuer, jede Fiber süße Wut.«

      Ardinghello hatte sich bei den letzten Reden von mir abgewandt und hielt nun sein Gesicht in den frischen klaren Quell hinein, um die Glut davon abzukühlen.

      Wir machten uns vom neuen über die Flaschen her, und ich gab ihm den Rat, weder sie noch ihn zu malen und lieber sich zu rechter Zeit zu entfernen; die Sache käme mir allzu gefährlich vor.

      »Flieh du«, antwortete er, »wenn du keinen Willen hast und dir die Füße gebunden sind! Ja, fliehen möcht ich, aber mit ihr; jedoch wohin?«

      Schon senkte sich der Tag, und der Abend rückte näher; wir erstiegen noch die Höhen und übersahen weit die Lombardei und ihre Lustreviere. Beim Heruntergehen nahmen wir einige Zeichnungen von reizenden Winkeln und Aussichten ab, fanden alsdenn unsern Steurmann auf uns warten, verließen Quell und Wäldchen und den leichten erhebenden Äther: wandelten wieder in die Tiefe und segelten unter dem lieblichen Zauberspiel von Abendröte nach Hause, zwischen den Gesängen frohlockender Winzer über den Segen des Herbstes.

      Ardinghello wagte noch dieselbe Nacht eine Zusammenkunft mit Cäcilien. Sie hielten Rat, und es wurde beschlossen, daß er die Porträte malen sollte, indem es anstößig sein würde und sogar Verdacht erregen könnte, wenn er es nicht täte. Übrigens verließen sie sich auf ihre Gegenwart des Geistes und Verstellungsgabe und nahmen deswegen die sichersten Maßregeln.

      Den dritten Tag darauf holt' ihn auch ihr jüngrer Bruder dazu ab, und er begleitete ihn mit allen Zugehörigen; der Bräutigam wollte ihr Ebenbild noch vom Stand ihrer Jungfräulichkeit.

      Sie hätte gar nicht nötig gehabt, ihm zu sitzen; aber er zauderte mit Fleiß und schien auf nichts achtzugeben, als die eigensten und bedeutendsten Züge von ihr recht zu fassen. Er bat sie, so ganz bloß als unbekannter Maler, sie möchte sich nur völlig frei ihrem Wesen überlassen und tun wie sonst in der Gesellschaft oder als ob sie allein wäre; er müsse von selbst aus den mancherlei Bewegungen ihrer Seele auf der Oberfläche des Körpers ihren Charakter abnehmen und seine Phantasie das Ganze bilden. Ein gutes Porträt sei platterdings keine bloße Abschrift, und es gehöre dazu das tiefste Studium des Menschen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu er auch zu jung wäre; aber er wolle nach Vermögen das Seinige tun.

      Ihre Mutter war immer dabei zugegen, und der Bräutigam und einige von seinen und ihren Verwandten gingen auf und ab. Cäcilia war sehr aufgeräumt, sprach und scherzte und hatte die Malerei zum besten; schien zwar dem holden Jüngling in seiner Beschäftigung gern zuzusehen, warf so gar unverstellte Blicke auf ihn, wie man auf Schönheit wirft: aber alles wie fremd und zum ersten Mal; und ihre Worte hatten immer etwas von dem vornehmeren Ton gegen einen, den man für seine Arbeit bezahlt.

      Die erste Sitzung geschah des Nachmittags gegen Abend. Nach wenig Umriß und Zeichnung fing er sogleich am Kopf an zu malen. Sie saß den andern Morgen beim Frühstück noch einmal; und dann wollt er sie nicht weiter plagen, außer bei der Vollendung, um hier und da nachzuhelfen. Den Nachmittag und ganzen dritten Tag und vierten Morgen bracht er damit fast allein zu: und siehe da! sie kam heraus wie völlig lebendig. Alt und jung bewunderten die erstaunliche Gleichheit. Er hatte sie in einem leichten sömmerlichen Morgenanzuge vorgestellt, meist von grüner Seide, worunter die vollkommnen Formen ihrer jugendlichen Glieder reizend aufwallten und durchleuchteten. Sie stand in Lebensgröße, nachdenkend, wie gerührt, in die Zukunft blickend, den Kopf in der Linken auf einen Pult gestützt, in einem Zimmer, wo durch ein ganz offnes Fenster die Aussicht auf den See ging, an welchem Sirmio in der Nähe und ein wenig blaue Ferne von den Gebirgen wohl angebracht waren. Ardinghello hatte im Gesichte schon Züge von ihrem Charakter ausgespähet, die sich nachher erst entwickelten.

      Kapitel 9

       Inhaltsverzeichnis

      Den fünften Nachmittag gab er sich an den Bräutigam. Nach den ersten Umrissen gestand er ihm gleich, daß ihm sein Kopf sehr schwer vorkomme und daß er noch keine rechte Idee von der ursprünglichen Einheit seines Charakters in der Einbildung habe. Mit allen großen Männern müss' ein Künstler lange leben, um nur eine von ihren bedeutendsten Außenseiten in täuschender Wahrheit fest zu haschen; und überhaupt sei es schier unmöglich, irgend jemand sicher darzustellen, den man nicht an Geist und Kraft gewissermaßen übertreffe.

      Es ging hierbei im Mark Anton eine gewaltige Veränderung vor, und er errötete und wurde wieder blaß augenscheinlich, so daß er aufstehen und ans Fenster gehen und Ardinghello einhalten mußte.

      Dieser faßte darauf all sein Bewußtsein zusammen, und jener kam nach einer langen Pause wieder und setzte sich. Ardinghello zeichnete vom neuen, und ihre Blicke begegneten sich einander wunderbar: die des Ardinghello hell und durchdringend, doch von aufgewühltem Herzen, flammten in die seinigen wie in eine düstre Nacht voll Irrfeuer.

      Mark Anton fragte ihn endlich, ob er sich schon lange in Venedig und der Gegend aufhalte. Ardinghello antwortete mit Besinnung: »Es ist noch nicht lange; die Werke des Tizian und Paul von Verona und Tintorett haben mich dahin gezogen; und auch am Johann Bellini ist noch zu studieren und andern; besonders aber an der herrlichen Menschenart zum Kolorit.«

      »Seid Ihr aus Florenz selbst?« verfolgte er ferner. »Ja«, war die Antwort. »Und Euer Vater?« »Mein Vater ist tot, und meine Mutter ist tot, ich ohne Geschwister bin allein übrig.«

      »Wer war er, was trieb er?« Diese Frage machte Ardinghellon endlich ungeduldig, er schnickte den Pinsel aus und antwortete: »Er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen.«

      Bei diesen Worten trat Cäcilia herein und hemmte das Gespräch; denn sie waren vorher ganz allein. »Nun, geht's gut?« fragte sie lächelnd. »Es würde besser gehen«, antwortete Ardinghello, »wenn ich das Glück gehabt hätte, Ihro Exzellenz länger zu kennen.« »An mir ist nicht soviel gelegen«, erwiderte der Bräutigam; »wißt Ihr was, laßt es für jetzt gut mit mir sein und macht die Signora vollends fertig. Wir werden näher bekannt werden, und künftigen Winter einmal ist's bessere Zeit.«

      »Wie Sie befehlen«, versetzte Ardinghello und rückte die Staffelei weg.

      »O nein«, sprach heftig Cäcilia, »im Winter gibt's lauter Nebel

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