Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Der hieroglyphische Adam ist die Historie des ganzen Geschlechts im symbolischen Rade: – – der Charakter der Eva, das Original zur schönen Natur und systematischen Ökonomie, die nicht nach methodischer Heiligkeit auf dem Stirnblatt geschrieben steht; sondern unten in der Erde gebildet wird, und in den Eingeweiden, – in den Nieren der Sachen selbst – verborgen liegt.
Virtuosen des gegenwärtigen Äons, auf welchen GOTT der HERR einen tiefen Schlaf fallen lassen! Ihr wenigen Edeln! macht euch diesen Schlaf zu Nutz, und baut aus einer Ribbe dieses Endymions die neueste Ausgabe der menschlichen Seele, die der Barde mitternächtlicher Gesänge in seinem Morgentraum sahe15, – – aber nicht von nahe. Der nächste Äon wird wie ein Riese vom Rausch erwachen, eure Muse zu umarmen, und ihr das Zeugnis zuzujauchzen: Das ist doch Bein von meinem Bein, und Fleisch von meinem Fleisch!
Sollte diese Rhapsodie im vorübergehen von einem Leviten der neuesten Litteratur in Augenschein genommen werden: so weiß ich zum voraus, daß er sich seegnen wird, wie der heilige Petrus16 vor dem großen leinenen Tuch an vier Zipfeln gebunden, darin er mit einem Blick gewahr ward, und sahe vierfüßige Thiere der Erden und wilde Thiere, und Gewürme und Vögel des Himmels – – – »O nein; besessener – Samariter!« – – (so wird er den Philologen schelten in seinem Herzen) – »für Leser von orthodoxem Geschmack gehören keine gemeine Ausdrücke noch unreine Schüsseln« – – Impossibilissimum est, communia proprie dicere – Siehe! darum geschieht es, daß ein Autor, dessen Geschmack acht Tage alt, aber beschnitten ist, lauter weißen überzogenen Entian – zur Ehre menschlicher Nothdurft! – in die Windeln thut – – Die fabelhafte Häßlichkeit des alten Phrygiers ist in der That lange so blendend nicht, als die ästhetische Schönheit Äsop des jüngern. Heuer ist Horazens typische Ode an Arist17 erfüllt, daß ein Sänger der süßlächelnden Lalage, die noch süßer küßt als sie lacht, aus sabinischen, apulischen und mauritanischen Ungeheuern Stutzer gemacht hat. – Man kann allerdings ein Mensch seyn, ohne daß man nöthig hat ein Autor zu werden. Wer aber guten Freunden zumuthet, daß sie den Schriftsteller ohne den Menschen denken sollen, ist mehr zu dichterischen als philosophischen Abstractionen aufgelegt. Wagt euch also nicht in die Metaphysick der schönen Künste, ohne in den Orgien18 und Eleusinischen Geheimnissen vollendet zu seyn. Die Sinne aber sind Ceres, und Bacchus die Leidenschaften; – alte Pflegeltern der schönen Natur.
Bacche! veni dulcisque tuis e cornibus vua
Pendeat, & spicis tempora cinge Ceres19 !
1 Buch der Richt. V, 10.
2 Siehe Platons Kratylos. Hermogenes: Και μεν δη, ω Σωκρατες, ατεχνως γε μοι δοκει ωσπερ οι ενθουσιωντες εξαιφνης χρησμωδειν. Sokrates: Και αιτιωμαι γε, ω Ερμογενες, μαλιστα αυτην απο Ευθυφρονος του Παντιου προσπεπτωκεναι μοι· εωθεν γαρ πολλα αυτω συνην και παρειχον τα ωτα· κινδυνευει ουν ενθουσιων ου μονον τα ωτα μου εμπλησαι της δαιμονιας σοφιας, αλλα και της ψυχης επειληφθαι· δοκει ουν μοι χρηναι ουτωσι ημας ποιησαι, το μεν τημερον ειναι, χρησασθαι αυτη – αυριον δ'αν και υμιν συνδοκη, αποδιοπομπησομεθα τε αυτην και καθαρουμεθα, εξευροντες οστις τα τοιαυτα δεινος καθαιρειν, ειτε των ιερεων τις, ειτε των σοφιστων – – – προβαλλε μοι, οφρα ιδηναι οιοι ΕΥΘΥΦΡΟΝΟΣ ΙΠΠΟΙ.
3 – – vt hieroglyphica literis: sic parabolae argumentis antiquiores, sagt Bacon, mein Euthyphron.
4 Παν γαρ το φανερουμενον, φως εστι. Ephes. V, 13.
5 Manilius Astron, Lib. IV.
6 Buch der Richt. IX. 2 Chron. XXV, 18.
7 – – quum planta sit poesis, quae veluti à terra luxuriante absque certo semine germinauerit, supra ceteras doctrinas excreuit & diffusa est. Bacon de Augm. Scient. Lib. II. Cap. 13. Siehe des Herrn Hofraths Johann David Michaelis Anmerkungen zu Roberti Lowth de sacra poesi Praelectionibus Academicis Oxonii habitis. p. 100. (18)
8 Rescisso discas componere nomine versum; Lucili vatis sic imitator eris Ausonius Epist. V.
9 Zur Erläuterung kann nachgesehen werden Wachters Naturae & Scripturae Concordia. Commentatio de literis ac numeris primaeuis aliisque rebus memorabilibus cum ortu literarum coniunctis. Lips. & Hafn. 1752. im ersten Abschnitt.
10 Von dieser letztern Gattung Zeichen ist folgende Stelle im Petron zu verstehen, die ich mich genöthigt sehe in ihrem Zusammenhange anzuführen, gesetzt daß man auch selbige für eine Satyre auf den Philologen selbst und seine Zeitverwandten ansehen solte: nuper ventosa isthaec & enormis loquacitas Athenas ex Asia commigrauit, animosque iuuenum ad magna surgentes veluti pestilenti quodam sidere afflauit, simulque corrupta eloquentiae regula stetit & obmutuit. Quis postea ad summam Thucydidis? (Man nennt ihn den Pindar der Geschichtschreiber) quis Hyperidis (der den Busen der Phryne entblößte, um die Richter von seiner guten Sache zu überzeugen) ad famam processit? Ac ne carmen quidem sani coloris enituit; sed omnia, quasi eodem cibo pasta, non potuerunt vsque ad senectutem canescere. PICTVRA quoque non alium exitum fecit, postquam AEGYPTIORVM AVDACIA tam magnae artis COMPENDIARIAM inuenit. Man vergleiche hiemit die tiefsinnige Prophezeyung, welche Sokrates dem ägyptischen Könige Thamus über die Erfindung des Theuts in den Mund legt, daß Phädrus darüber ausruft: ω Σωκρατες, ραδιως συ Αιγυπτιους τε και οποδαπους αν εθελης λογους ποιοιης.
11 Die eine Metapher ist aus des Grafen von Roscommon Essay on translated verse und Howel's Lettres; beyde haben dies Gleichnis aus dem Saavedra entlehnt, wo ich nicht irre; die andere aus einem der vorzüglichsten Wochenblätter (The Adventurer) entlehnt: Dort werden sie aber ad illustrationem (zur Verbrämung des Rockes); hier ad inuolucrum (zum Hemde auf bloßem Leibe) gebraucht, wie Euthyphrons Muse unterscheiden lehrt.
12 Ps. XXXIII, 9.
13 Joh. XX, 15-17.
14 Röm. IX, 21.
15 Siehe D. Youngs Schreiben an dem Verfasser des Grandison über die Originalwerke.
16 Apostelgesch. X. XI.
17 Lib. I. Od. 22.
18 Orgia nec Pentheum nec Orpheum tolerant, Baco de Augm. Scient. Lib. II. Cap. XIII.
19 Tibull. Libr. II. Eleg. I.