Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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der Lombardei Antonio Allegri: solch eine unbeschreibliche Anmut war in den Umrissen ihres Gesichts, so lieblich die Farbe, und unübertrefflich das blonde Haar gemalt, über die jungen Brüste reizend wie von einem Lüftchen verweht. Vor beiden standen Blumenstöcke; vor der Magdalena aufgeblühte Rosen und Knospen, vor der Madonna Lilien und Nelken, die sie sich selbst den Winter erzog. Auf dem Tische vor jener lagen die Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Federn und Dinte und Papier und beschriebne Blätter. Ich las das eine, wo ausgestrichen und verändert war: und fand das Lied im Provenzalischen, was sie gesungen hatte. Das wußt ich auch noch nicht, daß sie ihre Gefühle in so schöne Form von Worten bringen konnte: mir wallte dabei eine Glut nach der andern auf im Herzen. Im Petrarca war das Gediegenste, immer gerade das wenige Vortrefflichste, mit ausgetrockneten verschiednen Blumenblättern belegt und bezeichnet; besonders in den Reimen nach dem Tode der Laura. Neben der Madonna stand ihre Näharbeit in einem Rahmen; sie hatte angefangen, die lebendigen Rosen und Lilien vor sich dahinein zu sticken. Mich überlief ein Schauder, als ob ich in den Tempel der Keuschheit eingebrochen wäre und lästerlichen Frevel ausüben wollte. Ich blickte durch das Fenster am Bette, und der volle Mond wich hinter die Seealpen, den Greuel nicht anzusehen; unten rauschte zürnend das Meer auf. Ich ward erschüttert, und es fehlte nicht viel, daß ich mich wieder in den Schrank verborgen hätte; doch kniet ich vor sie hin und stemmte mich sachte mit beiden Händen auf ihr Lager; ihr ambrosischer Atem berührte mich wie Wonne des Himmels. So lag ich eine Weile in ihrem Anschauen versunken und verloren und meiner endlich nicht mehr mächtig. Ich warf die Kleider von mir und näherte mich nach und nach leise mit ganzem Leibe dem Schönsten, was die Welt hat. Ich schob alsdenn mit den äußersten Fingern das Hemd auf beide Seiten von den Brüsten, die mich mit ihren Knospen der Unschuld anlächelten, als ob sie Verschonen ihrer Jungfräulichkeit bäten; und so bracht ich das Tuch von ihren reinen trocknen Füßchen und den netten Beinen bis an die Mitte der wie Säulen runden üppig hinaufschwellenden Schenkel, worunter es festhing.

      O all ihr Mächte des Himmels und der Erden, welche Vollkommenheiten habt ihr hier vereinbart! Ich zerrann in nicht mehr zu hemmendes Entzücken und riß das Tuch los: und sie fuhr auf und tat einen Schrei unter meinen Küssen.

      »Habe keine Furcht«, stammelt ich ihr, »ich bin Ardinghello und werde dir kein Leid zufügen.« Sie hörte nicht und rief: »Bösewicht! Schändlicher! Hülfe!« und wand sich los und bedeckte sich und weinte in voller Verzweiflung: ich war wie von einem Wetterstrahl durchschlagen in allen Gebeinen.

      »Vergib, o Himmelskind, einem von unwiderstehlicher Liebe ganz Niedergeworfnen und Überwältigten diese Frechheit. Ich schwöre dir bei allen deinen und meinen Heiligen, ich werde dir kein Leid zufügen!« so faßt ich sie mit Gewalt bei ihrer Rechten und hielt sie an mein laut schlagend Herz.

      »Weg von mir, grausamer Verderber!« schluchzte sie.

      »Komme wieder zu dir, Lucinde!« sprach ich ihr ein; »sieh! ich berühre dich nicht mehr. Ich bin schon glücklich, wenn ich dich nur sehe; und wenn ich von dir bin, ist alles vor mir in Leerheit. Deine Gestalt allein, auch ohne Wort und Zuneigung, ist mir mehr als andrer feurige Liebe. Sende mich in Gefahren, worin ich tausendmal mein Leben wage: dein Wink wird mein Gesetz sein. Du bist meine beßre Seele, die alle meine Fähigkeiten füllt. Du herrschest über mich wie mein strengster Verstand; sieh! das zeig ich dir; und alles kann ich für dich tun, außer was mir unmöglich ist.«

      »O Ardinghello! Ardinghello!« weinte sie, »verlaß mich! o verlaß mich!«

      »Göttliche, und warum? Warum können zwei Menschen, wie wir sind, nicht ohne Sünde so beisammen sein! Warum immer eine Scheidewand von Mauer und Kleidung und mechanischer Gesellschaft dazwischen! Bedenke, wie die Seligen im Himmel sind und unsre erste Eltern waren. Alles dies dient nur, wenn man unter dem großen Haufen ist.«

      »Und was willst du von mir? was kann ich für dich tun, ohne mich unglücklich zu machen?« versetzte sie etwas ruhiger, sich rundum einhüllend.

      »Sage mir, wen du liebst«, fuhr ich fort; »denn daß du liebst, das weiß ich, und weiß noch, daß du unglücklich geliebt hast.«

      »Ach«, antwortete sie darauf nach einigem Stillschweigen, »den Hauptmann einer Galeere! der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu Nizza war, schon aufblühender großer Knabe, bei meinen Eltern lesen und schreiben lehrte. Hernach legte er sich auf die Handlung und führte mit der Zeit Kauffahrteischiffe; und endlich wurd er Anführer einer spanischen Galeere. Als solchen sah ich ihn nach lange vor zwei Jahren in Genua wieder, wo wir uns einander versprachen und die Vermählung feiern wollten, wenn er wieder aus dem Türkenkriege käme. Allein er kam nicht wieder; und ich hielt ihn für tot, bis ich vor wenig Tagen die zugleich frohe und traurige Botschaft hörte, daß er zu Konstantinopel in harter Sklaverei sich befinde. Mir brachte sie ein alter Schiffer aus Antibes, der von dort abfuhr und uns beide kennt. Nun hoff ich, daß man ihn erlösen und ihm seinen ehemaligen Posten wiedergeben und wir endlich glücklich sein werden.«

      »Zärtliche«, verfügt ich darauf, »deine Hoffnung steht auf schwachen Füßen. Spanien ist noch im heftigen Kriege mit den Türken; und wenn dein Bräutigam ein Held war, so werden sie ihn so leicht nicht herausgeben.« Hier verbarg sie ihr Gesicht ins Küssen und seufzte und weinte, und ich fuhr fort: »Doch wenn es von Spanien aus nicht geschieht, so kann vielleicht ein andrer ihn frei machen; und was schenkst du mir, Englische, wenn ich es wäre!« drückt ich ihr mit der Rechten in die Hand und mit der Linken ins Herz; »und ich will es dir fast so gut als gewiß versprechen; ich hab einen Freund am türkischen Hofe selbst, der alles kann.« Sie verbarg ihr Gesicht noch tiefer und sagte gebrochen unten hervor: »Ach, mein Bestes! aber du bist grausam!« »Und die Versicherung?« redt ich außer mir ihr zu. »Gib dort mir her Feder, Papier und Dinte, und leuchte!« Dies war nun mein Wille nicht, aber ich verlangte zu wissen, was das schwärmende Mädchen begänne; und nahm die Lampe von der Magdalena, Feder, Dinte und Papier, und den Petrarca zur Unterlage; und die Fromme schrieb, und lächelte unter Tränen:

      »Wenn Ardinghello mir meinen Bräutigam Florio Branca aus der Sklaverei erlöst und frei wieder herstellt und zärtlich liebt und schweigt: so soll er meine erste höchste Gunst haben mit diesen Zeilen oder Madonna mich nie zu Gnaden annehmen, aber eher er auch nicht einen gütigen Blick verlangen.

      Lucinde«

      Darauf gab sie mir das Zettelchen mit einem strengen Blick voll Bedachtsamkeit und sagte: »Nun gehorche, und verwahr es sorgfältiglich, wenn ich so viel über dich vermag, als du sprichst. Und noch eins: wer hat dich hiehergebracht?« Hier mußte mir nun platterdings eine Lüge aus der Not helfen: ich sagte, ich sei ihr nachgegangen und habe mich dort hinter den Schrank versteckt, ohne von ihr bemerkt zu werden. »Bist du so ein Tausendkünstler!« sagte sie spottend.

      Der Morgen brach an; ich wollt ihr einen Kuß zum Abschied geben, aber er ward mir nicht verstattet. Ich kleidete mich geschwind wieder zurecht und verließ sie, machte für Fulvien auf der Treppe das verabredete Zeichen, daß nichts geschehen sei und sie schweigen sollte, eröffnete sachte die Tür des Palastes und schlich in meine Wohnung.

      Den ganzen Morgen konnt ich kein Auge zutun; und als ich des Nachmittags ein paar Stunden geschlummert hatte, dünkte mich alles ein Traum.

      Kapitel 15

       Inhaltsverzeichnis

      Wie es dunkel wurde, ging ich zu Fulvien in Gesellschaft: sie und ihr Gemahl hatten mir ein für allemal Erlaubnis gegeben, zu kommen, wenn ich wollte. Es befanden sich mehrere Personen vom gestrigen Ball da; man sprach darüber und spielte hernach. Lucinde saß unterdessen für sich am Fenster, mit dem Kopf in der Hand, und blickte mich nicht an und war in geheimer Betrachtung verloren. Ich machte mich alsdenn zu ihr; sie schlug die großen schönen

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